Volltext Seite (XML)
ne letzte große Arbeit für Tasteninstrumente in einer Notationsform zu veröffentlichen, deren Blütezeit damals bereits mehr als ein Jahrhundert zurücklag; gewiß trug auch die scheinbar trockene, lehrhafte, altertümliche Manier, mit der er seine Fugen „Contrapunc- tus" betitelte, das Ihre dazu bei, den ober flächlicheren unter seinen Zeitgenossen den Charakter eines theoretischen Lehrwerks zu suggerieren. Wer trotz alledem etwas genauer hineinhörte, wurde alsbald eines Besseren ge- gewahr. „Joh. Sebast. Bachs so genannte Kunst der Fuge, ein praktisches und prächtiges Werk von 70 Kupfern in Folio", so verkündete, mit dem Nationalstolz seiner Zeit, kein Gerin gerer als Johann Mattheson in Hamburg, „wird alle französische und welsche Fugen macher dereinst in Erstaunen setzen, dafern sie es nur recht einsehen und wohl verstehen, will nicht sagen, spielen können." „Harmonie und Melodie darin fließen so natürlich als in der allerfreiesten Komposition", schrieb ein anderer führender Theoretiker, Friedrich Wil helm Marpurg in Berlin, der nicht nur für die zweite Auflage der Kunst der Fuge (Leipzig 1752) eine begeisterte Vorrede beisteuerte, sondern durch die Beschäftigung mit dem Werk Lust bekam, selbst eine bedeutende Ab handlung von der Fuge (1753) zu verfassen. Diese und ähnliche Stimmen stehen der, noch immer verbreiteten, Meinung entgegen, die Kunst der Fuge sei zu jener Zeit auf allgemei nes Desinteresse gestoßen; in der Folge häu fen sich die Belege weiter an. Schon wenn man von der Zahl der bis heute erhaltenen Exemplare der Originalausgabe ausgeht, steht in der Reihe der zu Lebzeiten gedruck ten Instrumentalwerke Bachs unser Werk mit an erster Stelle. Daneben war es bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in zahlreichen Gesamt- und Teilabschriften weit über die deutschen Grenzen hinaus verbreitet. „Eine Fuge zu machen ist keine Kunst"; doch „heutzutage muß in die althergebrachte Form ein anderes, ein wirklich poetisches Element kommen". Der Satz stammt von Beethoven; doch schon Bach hatte ihn wahrhaft revolutio när in die Tat umgesetzt. Folgen, nicht Ursa chen insbesondere hat vor sich, wer in der Struktur der Kunst der Fuge, in ihrem bewuß ten Übergang zur total durchorganisierten Großform die neue Qualität erreicht sieht: Hier sind eben die nämlichen Kräfte am Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Prof. Dr. habil. Dieter Hartwig Werk, die im selben Jahrzehnt das Denken in sinfonischen Kategorien konstituierten. Was hier in ungezählten Details an thematischer Durchdringung, an vielfältigster Bezogenheit über Riesenentfernungen, an modernem sinfo nisch-strategischem Denken geleistet ist, nimmt eher Jahrzehnte vorweg, als daß es Jahrhunderte zu Ende führte. Dr. Hans Gunter Hoke Entgegen der seit Jahrzehnten vorherrschen den Aufführungspraxis ist die „Kunst der Fuge" dem Kreis der Klavier- bzw. Orgelwerke Bachs zuzurechnen. Um die kunstvolle kontra- punktische Linienführung auch optisch sichtj^k zu machen, hat Bach das Werk, worauf im anstehenden Beitrag hingewiesen wird, nicht in der üblichen Klaviernotation auf zwei Sy stemen, sondern nach der älteren Praxis der italienischen Klavierpartitur jede Stimme auf einem eigenen System stechen lassen. Diese Notationsweise hat zu Mißverständnissen über die vom Komponisten intendierte Art der Wie dergabe geführt und seit Wolfgang Graesers erster Orchesterbearbeitung von 1927 eine Vielzahl von „Neuordnungen", „Neufassun gen" und „Neueinrichtungen" der „Kunst der Fuge" für verschiedenste Besetzungen ausge- iöst. Dazu gehört auch die heute erklingende, überaus stilvolle Einrichtung, die der langjäh rige Dresdner Kreuzorganist Prof. Herbert Col lum (1914—1982) im Jahre 1963 für kleines Or chester, bestehend aus Flöte, Oboe, Englisch horn, 2 Fagotten, Kontrafagott, Streichern und Cembalo schuf. Bearbeitungen dieser Art las sen sich übrigens bis auf Mozart und Zelter zurückverfolgen, haben doch diese Komponi sten bereits Sätze der „Kunst der Fuge" für Streicher umgeschrieben. Herbert Collum schloß wie auch andere dem unvollendeten Meisterwerk Bachs — gleichsam als versöhn^^ den Ausklang - jenen innigen vierstimm.^B Orgelchoral „Vor deinen Thron tret' ich mit" an, der — mit der Textbezeichnung „Wenn wir in hoechsten Noethen sein" — der Druckausgabe der „Kunst der Fuge" hinzuge fügt worden war und den der erblindete Kom ponist noch auf dem Sterbebett diktiert hatte. Mit der Choralmelodie verflochten sind in dichten Imitationen kurze melodische Bruch stücke aus der „Kunst der Fuge", so daß ein unmittelbarer geistiger Zusammenhang gege ben ist. Spielzeit 1984/85 — Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Druck: GGV, BT Heid. 111-25-16 494416 2,85 JtG 009-67-84