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rienkurse für Neue Musik erstmals auf. Instru mentalwerke, vor allem aber textgebundene Arbeiten wie das Lorca-Epitaph (1952/53), La victoire de Guernica (1954) und andere ließen seine unverwechselbare Handschrift reifen und brachten ihm den Ruf ein, sowohl einer der be gabtesten wie einer der selbständigsten Köpfe unter den „Serialisten" zu sein. Das Thema des aktiven Widerstandes, der Re sistenz gegen die neofaschistische Gefahr, aber auch gegen Ausbeutung, Unterdrückung, Bru talität, physischen, psychischen und geistigen Terror aller Spielarten bildet eine Grundschicht in Nonos künstlerischer Wirklichkeitsbewälti gung. Von dieser Position her wird nicht nur klar, warum Nono mehrere Werke dem Ge dächtnis der Opfer dieser historischen Kämpfe, den Helden der Revolution gewidmet hat, son dern warum sie anders als traditionelle Me morials nicht Trauermusiken schlechthin sind : „Der Tod ist für uns nicht eine Resignation, sondern nur eine Situation in einer viel größe ren Entwicklung. Auch der Tod von Freunden ist ein Teil unseres Kampfes. Das Moment der Klage ist immer vor dem Hintergrund eines positiven Moments zu sehen, nämlich der Über zeugung von der Unaufhaltsamkeit historischer Entwicklung." Nono sagte dies 1972, unmittel bar nach Abschluß der Komposition Como una ola de fuerza y luz (Wie eine Woge von Kraft und Licht). Nono hatte wäh rend der sechziger Jahre, einer Zeit sich ver schärfender und auf die außereuropäischen Entwicklungsländer übergreifender Klassen kämpfe, seine politische Position präzisiert, den streitbaren politischen Bekenntnischarakter sei ner Musik geschärft, seine Klangsprache durch neuartige Vokalbehandlung und den Ein satz elektronischer Techniken erweitert und auf zahlreichen Reisen in die sozialistischen Staa ten und in Länder der dritten Welt mit pro gressiven Entwicklungen seine Arbeiten zur Diskussion gestellt. Andererseits orientierte er sich stärker auf die kulturelle Praxis der italie nischen Arbeiterklasse, gestaltete er Themen ihres Kampfes und erprobte die Resultate im stetigen unmittelbaren Kontakt mit ihr. Die Entstehung der Komposition Como una ola de fuerza y luz (1971/72) resultiert aus der engen Freundschaft und künstlerischen Zusam menarbeit Nonos mit dem Pianisten Maurizio Pollini und dem Dirigenten Claudio Abbado. Nono wollte ursprünglich ein Klavierkonzert für Pollini schreiben, in dem sich Live-Spiel des Solisten mit elektronisch denaturierten Klavier klängen, auf Tonband gespeichert, ergänzen würden. Im September 1971, während der Ver suche im phonologischen Studio der RAI Mai land, erreichte Nono die Nachricht vom Unfall tod eines jungen Chilenen namens Luciano Cruz. Er war Leiter der MIR, einer Bewegung der revolutionären Linken in Santiago, den der Komponist im gleichen Jahr kennengelernt hat te. Er erweiterte daraufhin die Stückkonzeption um eine Singstimme auf einige Verse aus einem Gedicht des argentinischen Poeten Julio Huasi, das Luciano Cruz gewidmet war. Der Kern des Gedichtes, der auch der Komposition ein kon kretes Programm und den Titel gibt, lautet: „Como una, Luciano!, ola/de fuerza/joven c^ mo la revolucion/siempre vivo/y seguiräs meando/luz/para vivir.“ (Luciano! Wie eine Flut von Kraft/jung wie die Revolution/stets lebendig/wirst du weiter licht strahlen/Licht fürs Leben.) Das fertige Tonband, das aus Pollinis Klavier spiel, Stimmaterial der Sängerin Slavka Tas- kova und dem Klang von Frauenchören kompo niert ist, begleitet, wie Nono berichtet, „ohne Unterbrechung Klavier, Singstimme und Orche ster, indem es diese überlagert, sie vervoll ständigt, als Echo oder als deren Weiterfüh rung. Das Orchester betätigt sich in Klangblök- ken unter Zugrundelegung von Vierteltönen, kleiner und großer Sekunden, bis zum begren zenden Tritonus. Die Blöcke sind verschiedenar tig zusammengesetzt: im Verhältnis Leere — Fülle, ansteigend als ,ein langer Marsch' vom tiefen bis zum hohen Register." Zum Abschluß des Entstehungsberichts charakterisiert Nono die vier Entwicklungsphasen der Komposition: „Erster Teil: Orchester und Singstimme live sowie verschiedene Frauenchöre auf Tonband: erläuternde Anrufung und Wehklage für Lucia no. Zweiter Teil: Klavier live, Orchester in Blöc ken, Singstimme und Klavier und Tonband cianos Gegenwart in Abwesenheit. Dritter iSl: Klavier live, Orchester und Tonband: ,der lange Marsch' ansteigend zur Höhe. Vierter Teil: Kla vier live, Orchester und Tonband: kollektive Explosion in der Gewißheit der Anwesenheit. Programmusik? Nun, warum nicht? Wo der Titel in direktem Zusammenhang mit der klang lichen Struktur steht. Die Widmung: Für Lucia no Cruz, um zu leben." Die Uraufführung des Werkes erfolgte am 28. Juni 1972 in der Mai länder Scala mit Claudio Abbado als Dirigen ten, Slavka Taskova (Sopran) und Maurizio Pollini (Klavier). Dr. Frank Schneider Das Gedicht: Wie eine Flut von Kraft und Licht Luciano I Luciano I Luciano! In den gewagten Stürmen dieser Erde wirst du weiter licht strahlen jung wie die Revolution in jedem Kampf deines Volkes stets lebendig und nah wie der Schmerz deines Todes. » eine, Luciano I, Flut Kraft jung wie die Revolution stets lebendig wirst du weiter licht strahlen Licht für’s Leben Kinderstimmen begleiten sanfte Glocken für deine Jugend. Julio Huasi Der österreichische Komponist Alban Berg, dessen 100. Geburtstag am 9. Februar 1985 zu begehen sein wird, von 1904 bis 1910 Schüler von Arnold Schönberg, dessen spätere Kompo sitionsmethode „mit 12 nur aufeinander bezo genen Tönen" in persönlicher Modifizierung Grundlage seines Schaffens wurde, 1930 zum Mitglied der Preußischen Akademie der Künste ernannt und 1933 von den Faschisten verfemt und verboten, schuf mit seiner 1925 von Erich lü^ber an der Berliner Staatsoper uraufgeführ- ^BOper „Wozzeck“ ein Hauptwerk des musi kalischen Expressionismus, das würdig neben den Leistungen der expressionistischen Maler Marc, Nolde, Pechstein, Schmidt-Rottluff, Kirch ner, Kokoschka steht. Sein Lehrer Schönberg der seinen künstlerischen und menschlichen Weg von 1904 an entscheidend bestimmen soll te, gehört zu den bedeutendsten und ursprüng lichsten Liederkomponisten nach Schubert, Schumann, Brahms und Hugo Wolf. Verständ lich, daß Alban Berg, dessen hauptsächliche Liederproduktion in die Jahre 1900 bis 1909, also zwischen das 16. und 24. Lebensjahr fällt, sich ebenfalls diesem Genre zuwandte, das ihn, den Schöpfer der musikalischen Dramen „Woz zeck'' und „Lulu", freilich nach erlangter Mei sterschaft späterhin nicht mehr interessierte. Die „Sieben frühen Lieder" entstan den zwischen dem Sommer 1905 und dem Früh jahr 1908 zunächst mit Klavierbegleitung und wurden 1928 auch in einer Orchesterfassung vorgelegt, die den skizzierten Klang der Erst fassung sinfonisch auskonstruierte und sich in der Enthüllung ihrer latenten sinfonisch-opern- haften Möglichkeiten als die Vorherbestimm ung des späteren Musikdramatikers erwies trotz noch gelegentlicher Abhängigkeit von Stilmodellen (etwa des Schumannschen und Brahmsschen Liedes) und harmonischer Bezüge auf Liszt, Wagner und Debussy. Die heute er klingende Orchesterfassung behandelt jedes der sieben Lieder ganz individuell. Während „Nacht", „Liebesode" und „Sommertage" den großen instrumentalen Apparat einsetzen, ist „Die Nachtigall" ausschließlich für vielfach ge teilte Streicher gesetzt und kommt „Im Zimmer" — unter Verzicht auf Streicher — mit Holzbläsern, Hörnern, Harfe und Schlagwerk aus. Textlich fällt die Buntheit in der Wahl der Dich ter auf, darunter heute vergessene Namen wie Paul Hohenberg, der um die Jahrhundertwende durchaus ein gewisses Ansehen besaß, auf fallender jedoch die Reihe moderner Dichter, denen damals noch wenig Aufmerksamkeit von den Komponisten geschenkt wurde: Johannes Schlaf, der zeitweilige Mitarbeiter von Arno Holz, Carl Hauptmann (Gerharts weniger be kannter Bruder), Rilke. Das ganz auf koloristische Stimmungseffekte gestellte Lied „Nacht", zuletzt komponiert und die Druckausgabe von 1928 eröffnend, ist das fortgeschrittenste des ganzen Zyklus. Alle Mo tive und Harmonien des streng konstruierten Stückes erwachsen aus dem Thema des ersten Taktes der Singstimme. Im kurzen Orchester nachspiel wird die geistige Nähe zu Debussy spürbar. Das „Schilflied " (1908) folgtSchumann- scher Stimmungskunst, besonders im liebevoll nachzeichnenden Detail der Orchesterfassung berührt es stark. „Die Nachtigall" (1907) und „Das Zimmer“ (1905) sind ebenfalls noch auf Schumannschen und Brahmsschen Bahnen wan delnde „Gesellenstücke“ des jungen Kompo nisten, der in „Traumgekrönt" (1907) bei hoch romantischer Harmonik bereits den ekstati schen Schwung seiner späteren großen lyrischen Melodiebögen offenbart und sich meisterlich der Reprisenform der Instrumentalsonate be dient. Die „Liebesode" (1906) verrät den be stimmenden Einfluß des Lehrers und Kompo nisten Schönberg; er verwirft die dreiteilige