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Sil. 2. Beiblatt zum Hfchopauer Tageblatt Ml-EiIM Als Hanspeter, der junge Förster, sein Cchlit- tengespann wendete, strich er mit der Hand fröh. lich über die schmale Kiste und den schwerbe packten Soldatenrucksack. Rund um den End bahnhof der kleinen Nebenstrecke grüßte aus ge ringer Höhe der Wald herein. Im blauen Nebel des späten Nachmittags sah Hanspeter vor sich auf der Straße eine Gestalt schreiten. Dunkle Schier ragten steil über di« Schulter hinaus. Als er die rasch Ausschreiten de einholte, folgte er einem schnellen Einfall und hielt sein Geführt an. „Wir haben wohl deng leichen Weg. Wollen wir nicht mitsammen fahren?" Die Angesprochene wandte sich herum. Da zuckte Hanspeter rasch empor. Er hätte viel ge geben, wäre seine Einladung ungesagt geblie ben. Aber er faßt« sich schnell. „Du bist es, Hanne?" Auch die Angesprochene war jäh erblaßt. Sie lenkte den Kopf, ehe sie als Antwort zurück- fragte: „Bist du wieder daheim, jetzt?" „2a, auf zehn Tage." Hanspeter deutete auf sein Gepäck. „Gestern bin ich gekommen." Und als der Braune anzog: „Willst du nicht auf- ützen?" Hanne spürte den unsicheren Ton seiner Frage. Sie schüttelte rasch den Kopf. „Nein, danke, Hanspeter. Ich freu mich schon darauf, die Bretter anzuschnallen. Und auf halbem Weg trennen sich ja unsere Pfade." „Allerdings, auf halbem Weg. — Eure Heim kehr also und ein schönes Fest!" Als er wieder allein war, fluchte Hanspeter leise. Ausgerechnet Hanne mußte er begegnen! Da gab es wohl nichts zu flunkern — er hatte sich einen neuen Korb geholt! . Oben auf der Höhe huschte ein leiser Wind über die Bäume hin und stäubt« feine Schleier Schnees von den Bäumen. ... Das war doch auch damals im winterlichen Wald. Sie glitten mitsammen auf Schiern über sie Höhen, als Hanne sagt«, die Schwärmerei 'ür den Wald wäre recht schön, — aber «in ganzes Leben lang darin zu Hausen, das ver langte doch^viel Ueberwindung. — „Hüh, gib acht, Brauner!" fuhr der junge Förster auf, als der Schlitten in eine Vertie fung geriet. Der Wind wehte stärker. Aus dem lastenden Nebel begannen große Schnee flocken zu flattern. Hanspeter wurde seine Ee- oanken nicht los. — Damals hatte, ihm dies Wort von Hanne den Mund verschlossen. Mein Gott, was hatte er nicht alles schon auf der Zunge gehabt! Später war Hanne aus dem elterlichen Lehrerhaus fort und in die Stadt gezogen... Eine dichte Garbe Schnee fuhr dem Träu menden ins Gesicht. Er strich sich über di« Au gen und blickte auf. Durch die Bäume sang das tiefe Rauschen des wachsenden Windes. Ganz« Wolken von Schnee sanken herein und hatten die Spur der Herfahrt längst verweht. Hanspeter hielt an und sprang ab. Die Büsche peitschten ihm ins Gesicht, als «r dem Pferd voraus nach einer Spur suchte. Die wachsende Schneelage hatte das vertraute Gesicht des Waldes verändert. Er fand bald wieder Zeichen des Pfades und lächelte froh. Das schönste Weihnachtswetter! Allmählich deckten Schnee und Sturm die dämmrige Welt leise zu. Als er etwas später das dampfende Pferd in den Stall des Forsthauses führte, kam ihm ein< blitzende Lust an, noch einmal gegen das weih nachtliche Stürmen in den Wald zu wandern. Er dachte der langen Wochen hoch oben im Oed land des Nordens am donnernden Eismeer und an sein oft schmerzliches Verlangen nach Wald, Wald, Wald. Die Mutter schüttelte sorgend den Kopf, aber Hanspeter lächelte beruhigend, vielleicht wäre das Christkind schon um die Wege — er war als Kind immer sehr wunder gläubig gewesen. Auf der freieren Höhe hinter dem Haus riß der Sturm wütend an ihm. Er band lachend die Windbluse bis auf einen schmalen Schlitz für die Augen zu. Später zog er talab seine Spur, und die Fahrt wurde noch hundertmal schöner, als er sich's gedacht. 2n den Büschen sang das braune Winterlaub, die Flocken zischten waag recht über die Hänge herein. Aber schon zehn Meter hinter ihm war die Spur ausgelöscht. Eine wellige, schütter bewachsene Hochfläche senkte sich allmählich. Einzelne Büsche schwank ten vor ihm auf und ab wie lebende Wesen. Hanspeter glitt hindurch und fand sich auf ein mal aus vollem Halse gegen den Sturm singend. Was er brüllte, war ohne Bedeutung. Dann besann er sich und summte leise den Anfang von „Stille Nacht". Plötzlich aber, als er in den Windschatten der Bäume hineinglitt, horchte er auf. Sang noch jemand in dieser stürmenden Einöde? Er lauschte. Lang« waren nur die Stimmen von Wald und Wind um ihn. „Ha-al-looo!" Plötzlich wehte wieder der Laut herbei. Ohne Zweifel, da schrie ein Mensch! Hans- peter brüllt« zurück, aber der Sturm riß ihm den Schrei in F«tzen vom Mund. Er keuchte über den jenseitigen windstillen Hang hinauf. Oben auf der freien Höhe starrt« er mit brennenden Augen um sich. Er hätte die Richtung verloren, wäre nicht von neuem der Ruf aufgebrochen. Er glitt hinein unter das Niederholz. Drüben lag wieder freieres Land. Da fand er das rufende Wesen — es war Hann«. Sie stieß «inen leisen Schrei aus, als neben ihr der vermummte Mann auftauchte. Hans peter riß mit einem Ruck die Hülle herab. (Fortsetzung auf Seite 2) Ich habe eine Kerze angczündet. Jene blaue Kerze, die dem Hansjörg Brand stetter gehörte. Jetzt, in dieser Nacht mußte ich es tun. Ein Jahr fast trage ich sie mit mir herum wie einen kostbaren Schatz. Nun ist Weihnachten wieder nahe. Mir ist's, als steige aus der gelben milden Flamme Hansjörg Brandstetters Antlitz. Kantig, gebräunt, mit etwas schrägen, grauen Augen, die ihm den Ausdruck verliehen, als trüge er stets ein Lachen in seinem Jungen gesicht. Ich stütze den Kopf auf die Fäuste. Und die Wände versinken um mich. Es ist wieder Weihnachten des Kriegsjahres 1941. — — Damals steckten Hansjörg Brandstetter und ich in einer Funkerstaffel und waren bei einer Kompanie im ersten Graben eingesetzt. Der Hansjörg war 22 Jahre alt — ein Jahr älter als ich. Wir hatten zusammen den Marsch mitgemacht von Lemberg bis nach Stalino hinunter. Wir hatten auch die glei che Heimat und hingen wie Brüder aneiw- Ostwind wehte. Tag um Tag, Nacht um Nacht brachte er aus der Unendlichkeit der Eben« im Ost«n den Schnee heran, der ohne Laut siel, der Gräben füllte, der sacht an Haus und Stall emporwuchs. Es war kein Himmel da und auch kein Hori zont. Es stand, ringsum geschichtet, «in falber Dunst zwischen Nähe und Ferne. Es gab nichts zu sehen beim Blick aus dem Fenster des Guts- Hauses von Wellnau, das auf flachen Hügel an der Ostseite des Dorfs lag. An jedem Tag stand Britta, die junge Frau auf Wellnau, an ihrem Fenster und starrte in das Treiben des Schnees, in das Wehen des Winds, in das Grau, unter dem das Land lag. Sie stand unbeweglich. Nur wenn drüben, in den jetzt unsichtbaren Wäldern, das Rollen des Schnellzuges sich dumpf und verhalten ankündigte, horchte sie auf ander. An diesem Heiligen Abend holt« ich bei der Kompaniefeldküch« das Essen und auch die Post. Es waren viel« Päckchen dabei aus der fernen Heimat. Die Dämmerung war schon müd' und grau über den matb- blinkenden Tag gesunken, als ich nach vorn« ging. Die Front war ruhig. Nur hin und wieder schwoll in weiter Ferne ein leises Grollen an und erstarb wieder. Meine Skier glitten leise surrend durch de» harschigen Schnee, mein Atem dampfte. Di« Last des Kanisters drückte auch meine Schultern, doch ich ertrug es gerne. Es war ja Weihnachten heute — Eine freudige Eile trieb mich vorwärts. In meinem weißen Schneemantel kam ich mir vor wie der Weihnachtsmann. Die Nacht überfiel mich und eisiger Gegen wind kam auf. Vorne stiegen manchmal weiße Leuchtkugeln hoch — gespenstisch, lautlos, und versanken wieder im Dunkel init sprühen den Funken. Durch die Stille bellte kurz (Fortsetzung auf Seite 2) lief sie hin und her, strich sie über Tisch und Sessel, tat sie dies und das, ohne wohl zu willen, was si« tat. Viele Monate schon waren vergangen seit dem Urlaub d«s Herrn auf Wellnau, der in Polen, in Frankreich, in Serbien, in Griechenland da beigewesen war, und der nun im Osten stand, das Gesicht Asten zugewendet. Britta halte ihn zum letztenmal flüchtig ge sehen, aus dem Bahnhof der nahen Stadt, als er nach dem Osten fuhr. „Ich halte es nicht mehr aus auf Wellnau!" hatte sie aufgcschricn, als er sich von ihr verabschiedete. „Es ist nicht so sehr das Alleinsein, was mich umbringt: es ist die Ebene, die Grenzenlosigkeit des Landes. Verstehst du mich? Ich habe es nicht gewußt, daß die Ebene so furchtbar sein kann!" Hanns verstand seine junge Frau. Er lä chelte, als er in den Zug stieg, der nach kurzem Halt weiterfuhr. Er strich ihr übers Haar: „Weihnachten, hoffe ich, bin ich wieder hier. Halt« aus! Es muß gehen!" Weihnachten! Der Winter war gekommen, mit ihm der Ostwind und mit dem Ostwind der Schnee, in dem die Ebene ertrank. Dreimal schon hatte Britta das Weihnachtsfest im Osten gefeiert. Ueber drei Jahre schon hatte sie ausgehalten in dem Lande, das nicht ihrs Heimat war. Sie kannte die Berge des Sü dens, sie standen immer vor ihr. Sie kannte dis bunten Städte, das Lachen, den Gesang der Menschen, die nicht wußten, was das war: Eben« im Osten. Die nichts ahnten von der Unheimlichkeit eines Landes, das keine Grenzen hatte. Zu kurz war die Ehe Brittas gewesen bis zum Beginn des Kriegs/ zu kurz für das Lin- gswöhnen in «ine Umgebung, die ihr nicht nur fremd, die ihr feindlich zu sein schien. An der Seit« ihres Mannes, der ihr Helfer und Kame rad war, hatte sie versucht, sich langsam in das Neuland vorzutasten. Bis der Krieg kam, der alle diese Versuche jäh unterbrach, und der si« allein ließ auf Wellnau. Weihnacht! Mußte «s nicht doppelt schwer sein für sie, dieses Weihnachtsfest allein zu feiern unter Menschen, die ihr auch jetzt noch so fremd waren wie das Land, in dem sie verloren stand? 2a, sie würde allein sein, Hanns hatte ihr ge schrieben, daß es nichts werden würde mit dem Urlaub zu Weihnachten, er werde an der Front bleib«n müllen, nicht alle könnten ja in dis Heimat fahren, und nur ein« ganz kleine Hoff nung, daß «r doch kommen werd«, bestehe noch. Im Wehen des Ostwinds erstarb diese Hoff nung. Keine Zeile kam mehr von Hanns. Britta hatte ihre Koffer gepackt in plötzlichem Entschluß. Weg wollte si«. Das Gluckern und Schlurfen des Winds wollte sie nicht mehr hö ren, den verhangenen Himmel nicht mehr sehen, der ersterbenden Schrei der Krähen nicht mehr hören. Schöner, leuchtender, verlockender als je stand die Heimat vor ihr mit Bach und Berg, mit Burg und ragendem Gemäuer, eine Heimat, die der ewige Ostwind nicht erreicht«. Brittas Hände wurden müde, als sie den Weihnachtsbaum schmückte. Für wen tat st« das? Seine Kerzen würden nicht brennen. Hier war kein Mensch, dem sie leuchteten, wenn st« davonsuhr in die Heimat. Und doch schmückt» sie den Baum, stellte sie di« Kerzen in die Hal ter, befestigte sie Stern und Silberkugel,Ee- glitzer und wattigen Schnee. Für wen, für wen nur? Eine leise, eine ganz leise Hoffnung blieb: Vielleicht kam Hanns doch! Sie erschrak. Was sollt« werden, wenn «r kam? Wenn sie nicht auf Wellnau blieb? Si» verschob ihre Abreise. Wenn si« am ersten Feiertag fuhr oder noch «inen Tag später? Dann kam «r bestimmt nicht m«hr. Morgen war H«iligabend. Britta trat ans Fenster, wie so oft schon. Aus dem Wald kam verhalten das Rollen de» Zuges, der die Urlauber aus dem Osten bracht«, di« letzten fast, die rechtzeitig zum Fest «in- trafen. Morgen, vielleicht, kamen noch ein paar Nachzügler. Morgen war Heiligabend.., In der Nacht war das Schabc-n, Rasseln, Schlur- fen und Schleifen des Winds stärker als bis her. Der Wald stand da, blaugrün Lis zum Horizont hin, der weit und fern war. Der hoho Himmel hing über der Grenzenlosigkeit der östlichen Ebene. Die Sonn« war groß und rot, der Schn«« von makelloser Weiße. Es war kalt geworden, sehr kalt. Selten nur war Britta die Eben« so weit, so unendlich erschienen wie an diesem Weihnachtstag. Sie blinzelt« in die Helle, die von draußen zu ihr hereinkam, eine Helle, wie sie nur die Ebene kennt. Am Nachmittag fing Britta an, unruhig zu werden. Es war eine seltsame Unruhe in ihr. die stil Von Otto Klingele