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Der Reichtum an motivischen Gestalten ist übergroß. Themen vom üblichen Zuschnitt teil en bis auf die Ausnahme des unmittelbar :upackenden Kopfthemas, das von acht Hör ern vorgetragen wird und anfangs als eine krt „Weckruf" fungiert. Es ist ein Thema, das einer Entwicklung fähig ist, sondern immer /ieder in verfremdeter Gestalt auftaucht. Der anze Satz ist in großen Blöcken konzipiert, lie meist einzig von einer Geräuschkulisse zu- ammengehalten werden (am stärksten die er Kleinen Trommel zwischen Durchführung nd Reprise). Der lastenden Dumpfheit des juasi-improvisierenden, rezitativischen Einlei- ungsteils folgt die Marsch-Exposition und eine rische Episode. Aber das alles ist nur Ver breitung auf den vierten, entscheidenden 'uchführungsteil, welcher von einer jähen ieste in den Bässen angekündigt wird und eise unisono einsetzt. Hier wird die Musik lleichsam losgelassen. Sie läuft nicht mehr vohl-organisiert auf ein bestimmtes Ziel zu. Vielmehr reißen die Marschrhythmen die Mo- ive mit sich fort, hetzen sie nach einem Aus- iruch förmlich zu Tode, bringen sie zum Zu- ammensturz. Auch Banales mischt sich da ein ider Vertrautes aus „niedrigen" Bereichen ler Musik. Die durcheinandergewirbelten Märsche scheinen aus beweglichen Schallquel- en zu kommen; vieles muß ohne Rücksicht auf len Takt vorgetragen werden. n der viel leichter faßlichen zweiten „Abtei- ung" der Sinfonie handelt es sich wieder — nit Ausnahme der letzten beiden Sätze — um "Jaturbilder. Jetzt wird jedoch das wahre Ar- :adien dargestellt, fast ganz ohne den Gott ’an. Die leblose Natur, die „unkristallisierte, morganische Materie" (Mahler) wird nur lüchtig gestreift, dadurch immerhin noch einen nusikalischen Zusammenhang mit der ersten Abteilung" stiftend. Schubertisch ist der zwei- k Satz, ein Menuett von natürlicher Grazie, "in (wiederholtes) Trio zitiert schon den von jnderphantasie ausgemalten Traumhimmel er vierten Sinfonie. Aus ähnlichem Bereich ommt auch der dritte Satz. Er ist ein Scherzo, essen musikalisches Material mit Ausnahme es Trios, einer lange Zeit von den Kritikern enunzierten sentimentalen Posthorn-Partie, Jnem frühen „Wunderhorn"-Lied Mahlers ent- ehnt ist. Zu den instrumentalen Mitteln tritt m vierten Satz die menschliche Stimme hinzu, n diesem geheimnisvollen Adagio, einer .Nachtmusik", deutet Mahler Worte aus -riedrich Nitzsches „Zarathustra" musikalisch- ymbolhaft aus; Alt-Solo: Mensch! O Mensch! Gib Acht I Gib Acht I Was spricht die tiefe Mitternacht? Ich schlief! Ich schlief! Aus tiefem Traum bin ich erwacht! Die Welt ist tief! und tiefer als der Tag gedacht! O Mensch! O Mensch! Tief! Tief! Tief ist ihr Weh! Tief ist ihr Weh! Lust! Lust tiefer noch als Herzeleid! Weh spricht: Vergeh! Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit! In scharfem Kontrast folgt der fünfte Satz. Zu dem hellen „Bim-Bam" eines Knaben-(Kin- der-)chores und zu vier abgestimmten Glok- ken tragen ein Frauenchor und die Alt-Solo stimme ein Lied auf Worte aus „Des Knaben Wunderhorn" vor. Es hat dort die Überschrift „Armer Kinder Bettlerlied". Wie in der 4. Sin fonie handelt der Text von den himmlischen Freuden. Nur: Hier werden sie versprochen, nicht ausgemalt wie im Finale des nachfolgen den Werkes. Auch musikalisch besteht Ver wandtschaft zwischen beiden Sätzen. Klänge ganz eigener Art entstehen durch die beson dere Besetzung: Holzbläser, Hörner und Harfe bestimmen den Orchesterklang zunächst; erst später treten die tiefen Streicher hinzu, wäh rend die Violinen gänzlich fehlen. Frauenchor mit Alt-Solo: Es sungen drei Engel einen süßen Gesang; mit Freuden es selig in den Himmel klang, sie jauchzten fröhlich auch dabei. daß Petrus sei von Sünden frei, er sei von Sünden frei, er sei von Sünden frei. Und als der Herr Jesus zu Tische saß, mit seinen zwölf Jüngern das Abendmahl aß: Da sprach der Herr Jesus, Herr Jesus: Wenn ich dich anseh, so weinest du mir! Und sollt ich nicht weinen, du gütiger Gott. Ich hab übertreten die zehn Gebot. Ich gehe und weine ja bitterlich. Ach komm und erbarme dich! Ach komm und erbarme dich über mich! Hast du denn übertreten die zehen Gebot, so fall auf die Knie und bete zu Gott! Liebe Gott in aller Zeit! So wirst du erlangen die himmlische Freud, die himmlische Freud, die himmlische Freude war Petro bereift, Jesum und allen zur Seligkeit, durch Jesum und allen zur Seligkeit. Das größte Extrem gegenüber dem ersten Satz ist nun das an Bruckner gemahnende, hymnisch strömende, langsame Finale (in D- Dur). Mahler soll von diesem Satz gesagt ha ben, daß in ihm die unartikulierten Laute des Sinfonie-Anfangs zur höchsten Artikulation gebracht worden seien, daß alles Dumpfe und Starre endlich gewichen sei einem höchsten Bewußtsein, das vom Menschen handelt und zu ihm spricht. Gleichwohl wird auf einem Hö hepunkt des Finales nochmals die Panmusik der Einleitung zitiert. Die dritte Sinfonie Mahlers ist eine Roman- Sinfonie, geschrieben in sechs „Kapiteln". Ih nen hat Mahler einmal folgende Überschriften gegeben: 1. „Pan erwacht. Der Sommer zieht ein", 2. „Was mir die Blumen auf der Wiese erzählen." 3. „Was mir die Tiere im Walde er zählen." 4. „Was mir die Nacht erzählt." 5. „Was mir die Morgenglocken erzählen". 6. „Was mir die Liebe erzählt." (Ein geplan tes 7. „Kapitel", „Was mir das Kind erzählt", wurde zum Finale der vierten Sinfonie.) Es wäre freilich falsch, solche Überschriften wörtlich zu nehmen. Mahler hat sie größten teils im nachhinein erdacht, über das Kom ponierte immer wieder reflektierend. Außer dem ist auch eine Reihe ganz anders lauten der Titel zu den einzelnen Sätzen überliefert. Immerhin hat Mahler solchen poetischen Bil dern zeitweilig die Kraft zugetraut, den Zu gang zu seiner Musik zu erleichtern. Mehr hat er kaum bezweckt. Als untauglich befunaÄt wurden sie später wieder fallengelasserl^^ VORANKÜNDIGUNG: Sonnabend, den 7. April 1984, 20.00 Uhr (Anrecht A 1) Sonntag, den 8. April 1984, 20.00 Uhr (Anrecht A 2) Festsaal des Kulturpalastes Dresden Einführungsvorträge jeweils 19.00 Uhr Dr. habil. Dieter Hartwig 7. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Herbert Kegel Solist: Alexander Melnikow, Sowjetunion, Violine Werke von Mozart, Chatschaturjan und Prokofjew Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dipl.-Phil. Sabine Grosse Der Einführungstext folgt im wesentlichen einer Werk analyse von Eberhardt Klemm. Verwendete Literatur außerdem: Wolfgang Schreiber „Gustav Mahler", Ro wohlt-Verlag. Spielzeit 1983 84 — Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Druck: GGV, BT Heid. 111-25-16 493191 3 JtG 009-17-84 EPV 0,25 M 6. PHILHARMONISCHES KONZERT 1983/84