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5. PHILHARMONISCHES KONZERT Festsaal des Kulturpalastes Dresden Freitag, den 10. Februar 1984, 20.00 Uhr Sonnabend, den 11. Februar 1984, 20.00 Uhr jOlniHnsrnooni Dirigent: Johannes Winkler, Schwerin Solist: Daniel Veis, CSSR, Violoncello Sven-David Sandstrom geb. 1942 Culminations for Orchestra (1976) Erstaufführung Antonin Dvorak 1841-1904 Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op. 104 AI leg ro Adagio ma non troppo Finale (Allegro moderato) PAUSE Joseph Haydn 1732-1809 Sinfonie Nr. 98 B-Dur Adagio — Allegro Andante cantabile Menuett (Allegro) Finale (Presto) JOHANNES WINKLER ZUR EINFÜHRUNG Sven-David Sandstrom, namhafter Vertreter der heutigen mittleren Komponisten generation Schwedens, wurde 1942 in Motala rgötland) geboren. Er studierte 1964 bis an der Universität Stockholm Musikwis senschaft und Kunstgeschichte („Es hat mich immer interessiert, leere Bögen zu füllen - ich zeichne, male und schreibe Noten." Von 1968 bis 1971 studierte er Komposition bei Ingvar Lidholm an der Musikhochschule in Stockholm. Wichtige Impulse empfing er von Gastprofessoren wie György Ligeti und Per Nörgärd. Zunächst wirkte er als Assistent sei nes Lehrers Lidholm an der Musikhochschule Stockholm. Seit Mitte der 70er Jahre arbeitet er als freier Komponist in Stockholm. Obwohl nach eigenem Bekenntnis nicht dem spontanen schöpferischen Typ zugehörig - er bevorzugt eher wohlabgezirkelte, strenge und auch komplizierte musikalische Konstruktio nen —, ist sein bisheriges Oeuvre dank hoher Produktivität bereits recht umfangreich. Kam mermusik für einzelne Instrumente und kleine re Instrumentalgruppen entstand zuerst, bis Sandstrom allmählich auch Werke für Orche ster schrieb. Verhältnismäßig spät wurde sein Interesse für Vokalmusik aller Art geweckt (Chorwerke, Requiem, Musiktheater). Mit „Disturbances" für Blechbläser hatte er 1972 in Graz beim Musikfest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) sein in ternationales Debüt. Der eigentliche interna tionale Durchbruch gelang jedoch erst 1974 anläßlich der IGNM-Tage in Amsterdam, als Ernest Bour mit dem Concertgebouworchester das Orchesterstück „Through and trough aufführte. Viele bedeutende Dirigenten (wie überhaupt Interpreten) haben sich übrigens seitdem für das Schaffen Sandstroms einge setzt, darunter Pierre Boulez, Sixten Ehrling, Herbert Blomstedt. Das vom Komponisten zwar nicht als Ouver türe bezeichnete, aber in diesem Sinne aufge faßte einsätzige Orchesterstück „Culmina tions" wurde im Sommer 1976 auf Bestellung des Schwedischen Rundfunks geschrieben und dem Musikforscher Bo Wallner gewidmet. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Stockholm brachte die Komposition im Februar 1977 zur Urauffüh rung und stellte sie einige Tage später auch bei der Musikbiennale in Berlin vor. Die Par titur verlangt doppelte Bläserbesetzung, zwei Schlagzeuger, Klavier, Harfe, zwölf Violinen, vier Bratschen, vier Celli und zwei Kontrabäs se. Die vom Titel verheißenen Kulminationen (d. h. Höhepunkte, Gipfelpunkte, Gipfelungen) verkörpern sozusagen das Formprinzip des Stückes. Der Komponist Daniel Börtz bezeich nete dieses Prinzip als das „ständige Suchen nach dem Ton E, der immer da ist, manchmal sehr deutlich, manchmal nur als Schatten. Chromatik und Vierteltonabweichungen stören diesen Ton fortwährend, so daß er nie richtig stabilisieren kann". Es kommen Anspielungen auf romantische Orchestermusik vor. Das Stück wirkt brillant und frisch, besitzt instrumentalen Glanz, vielfach einen durchsichtigen Klang und ein ereignisreiches Geschehen. Das Violoncellokonzert h-Moll o p. 104 begann Antonin Dvorak am 8. November 1894 in New York, noch während seines Aufenthaltes in Amerika, zu komponie ren und schloß die Arbeit im wesentlichen am 9. Februar des folgenden Jahres ab. Nach sei ner Rückkehr in die tschechoslowakische Hei mat wurde dann der letzte Satz noch entschei dend erweitert. Auf die Gestaltung des Solo parts nahm der damals berühmte Cellist des Böhmischen Quartetts, Hanus Wihan, dem das Konzert auch gewidmet wurde, wesentlichen Einfluß. Obwohl Dvorak das Violoncello nicht eigentlich liebte — weil es, wie er sich aus drückte, „oben kreischt und unten brummt" — schuf er mit seinem h-Moll-Konzert, das eine Sinfonie mit obligatem Violoncello genannt zu werden verdient, eine der schönsten Perlen der Cello-Literatur, da es dem Solisten alles gibt, was er sich wünschen kann: ausdrucksvolle Kantilenen, einen mitreißenden rhythmischen Elan und technische Brillanz. Unter der Lei tung des Komponisten erklang das Werk zum erstenmal am 19. März 1896 in London mit dem englischen Solisten Leo Stern, der das Konzert auch einen Monat später in Prag bekannt machte. Der erste Satz (Allegro) beginnt mit einer längeren ausdrucksvollen Orchestereinleitung, die das thematische Material vorstellt, na mentlich die beiden führenden Themen: das besonders gelungene erste mit seinem hero isch-kraftvollen Charakter und das lyrische zweite, zunächst vom Waldhorn angestimmte. Beide Themen werden danach auch vom So loinstrument aufgegriffen. Der Aufbau des ganzen Satzes ist locker, fast rhapsodisch. Der zweite Satz (Adagio) ist eine der schön sten lyrischen Eingebungen Dvoraks. Das ge sangvolle Thema erklingt zuerst in den Klari netten, bevor es vom Solocello aufgegriffen wird. Der spannungsgeladene Mittelteil geM in eine Reminiszenz an Dvoraks Lied schafft über. Der wirkungsvollste Teil des Konzerts ist frag los das Finale (Allegro moderato) mit seiner Fülle von pathetischen, melancholischen und rhythmisch-zündenden Gedanken. Das Haupt thema drückt die Freude des Komponisten über die bevorstehende Rückkehr in die Heimat aus, das Soloinstrument führt die lapidare Melodie nach kurzem Orchestervorspiel vor. Seitenthemen unterstützen diesen Ausdrucks gedanken (u. a. ein Zwiegesang zwischen So locello und Solovioline). Dann erklingen Moti ve aus den vorangegangenen Sätzen (Haupt thema des ersten Satzes, das Adagio-Thema) in träumerischer Haltung, bis mit dem Haupt thema des Finales der jubelnde Ausklang des Werkes herbeigeführt wird. Joseph Haydns klassische Position in der Musikgeschichte, die sich auf die Einheit von „Populärem" und „Kompositionswissen schaft", auf die vollgültige Herausbildung der klassischen Sinfonie und des Streichquartettes gründet, belegen auf sinfonischem Gebiet b<4 sonders nachdrücklich die in der ersten Hälft™ der neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts für London geschaffenen zwölf Sinfonien (Nr. 93 bis 104), mit denen er sein sinfonisches Schaf fen zugleich krönte und abschloß. Immer wie der aufs neue fasziniert die außerordentliche Differenziertheit des musikalischen Ausdrucks dieser „Londoner Sinfonien", die schier uner schöpfliche Meisterschaft, mit der hier das gesamte melodische Material eines Satzes aus dem motivischen Bestand eines Themas oder höchstens zweier Themen gewonnen wird. Ein selten gespieltes Werk dieser Gruppe ist die Sinfonie Nr. 98 B-Dur, die Haydn am 2. März 1792 in London in einem