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zur Erhabenheit des Trauermarsches aus Va riation 8. Die liebliche Melodik von Verände rung 11 und 12 assoziiert Vorstellungen von Schalmeienklängen und Nachtigallengesang. Nach der 13. Variation, die mit ihren Puszta rhythmen einen ersten Höhepunkt des Werkes darstellt, bringt die folgende den Eindruck von fröhlichem Schellengeklingel hervor. Das „Si ciliano" der 19. Variation vermittelt Gedanken an den sonnigen Süden. Die letzten Variationen, dynamisch gesteigert und in einem lebhaften Tempo vorgetragen, gipfeln in der kraftvollen 25. Veränderung, die zur großangelegten, brillanten vierstimmigen fuge überleitet, deren freie Gestaltung nur Jn das Sechzehntelmotiv des Originalthemas anknüpft. Die Fuge weist kontrapunktische Künste wie Umkehrung, Vergrößerung, Spie gelung, Kopplung des vergrößerten Fugen themas, das im Baß erklingt, mit dem ursprüng lichen Thema und komplizierte Orgelpunkt bildungen auf. Aus dem scheinbar unentwirr baren Stimmengewebe der Fuge schimmern in den Mittelstimmen noch einmal die einfachen Konturen des Themas hervor und werden ab schließend ins Triumphale gesteigert. Nach dem Vorgang der Haydn-Variationen, die Brahms zunächst, wie Alfred Orel glaubhaft gemacht hat, in einer Fassung für 2 Klaviere niederschrieb, ehe er — im gleichen Sommer 1873 — die bedeutsamere Orchesterversion schuf, hat der Gastdirigent des heutigen Kon zertes, Roberto Benzi, im Jahre 1973 die Hän del-Variationen für klassische, mittlere Orche sterbesetzung instrumentiert, die womöglich die Kunstfertigkeit dieses bedeutenden Varia tionszyklus durch ihre größere Farbigkeit noch deutlicher zutage treten läßt. (Bereits 1970 legte er eine Instrumentation der von Brahms für Klavier zu 4 Händen geschriebenen Schu- |sann-Variationen op. 23 vor). Das Verfahren ^scheint legitim, zumal Brahms auch in seinen Klavierwerken stets orchestral gedacht hat Zu den genialsten Komponisten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich zählt Georges Bizet. 1838 als Sohn eines Ge sangslehrers in Paris geboren, wurde der hochbegabte Knabe bereits im Alter von neun Jahren Schüler des Pariser Konservatoriums, wo J. F. Halevy und zeitweilig auch Charles Gounod zu seinen Lehrern gehörten. Während der zehnjährigen Studienzeit errang der junge Bizet zahlreiche Preise. Neunzehnjährig erhielt er schließlich den Großen Rompreis, der ihm einen längeren Studienaufenthalt in ItaHen ermöglichte. 1863 wurde im Pariser Theätre lyrique seine große Oper „Die Perlenfischer uraufgeführt — ohne Erfolg. Es entstanden weiter die Opern „Iwan der Schreckliche , „Das schöne Mädchen von Perth", der Ein akter „Djamileh", die Bühnenmusik zu Dau- dets „L’Arlesienne" und viele andere heitere und tragische, zum Teil unvollendete Bühnen werke. Bizets Weltruhm begründete seine Oper „Carmen", deren Uraufführung am 3. März 1875 in der Pariser Opera comique vor einem ablehnenden Publikum stattfand, das für den Realismus dieser genialen Musik kein Verständnis hatte. Tief enttäuscht starb der sechsunddreißigjährige Bizet wenige Monate darauf, am 3. Juni 1875, in Bougival bei Paris an einem Herzleiden. Die Musik zu dem Drama "L’Arle sienne" („Die Arlesierin") von Alphonse Daudet wurde erstmals 1872, drei Jahre vor dem Tode des Komponisten, auf einer Pariser Bühne aufgeführt. Die Konzertfassung, die in den Pasdeloup-Konzerten kurz darauf gespielt wurde, ist die einzige Musik, die dem Kom ponisten schon zu Lebzeiten eine gewisse An erkennung brachte. Klar, knapp und natürlich, von strahlender Schönheit, unmittelbar wirk sam und wesentlich national im melodischen Ausdruck, steht dieses Werk zweifellos dem Herzen des französischen Volkes besonders nahe. Keine andere Musik hat solche Wirkung auf die Franzosen ausgeübt und ihrem Emp findungsideal so tief und dauerhaft entspro chen. Die Handlung des Stückes spielt in der Pro vence, in der Nähe von Arles. Die Atmosphä re dieser Landschaft, die von den Franzosen wegen ihrer Lieblichkeit und ihrer strahlen den Sonne so geliebt wird, ist in der intimen, realistischen Dichtung Daudets eingefangen. Der junge Frederi liebt eine Arlesierin, aber sie erweist sich seiner Liebe als unwürdig. Das Ehrgefühl veranlaßt den jungen Mann, sie aufzugeben. Er verlobt sich mit einem anderen jungen Mädchen namens Vivette. Aber die leidenschaftliche Neigung zu seiner ersten Geliebten treibt ihn zur Verzweiflung. Am Abend seiner Verlobungsfeier nimmt er sich das Leben. Verschiedene Nebenpersonen umrahmen diese einfache Handlung, die Alphonse Daudet schon zu einem seiner be rühmt gewordenen „Lettres de mon moulin" („Briefe aus meiner Mühle") angeregt hatte. Zunächst stellte Bizet selbst eine Suite (Nr. 1) zusammen und bearbeitete sie für großes Or chester. Nach dem Tode des Komponisten wurde die 2. Suite von seinem Freund Ernest Guiraud herausgebracht. Beide Suiten ent halten Stücke zur Bühnenmusik, die mit Be dacht auf kontrastierende Wirkung einander folgen. Die Suite Nr. 1 eröffnet ein prachtvolles Vorspiel (Prelude), das aus vier Variationen über die alte provenzalische Volksweise „La Marche des Rois” („Der Marsch der Könige") besteht. Der leidenschaftliche Ausgang dieses Stückes charakterisiert die Liebe Frederis. Es folgt ein Menuett, ein anmutiges Stück im Stile des 18. Jahrhunderts. Der dritte Satz, ein Ada- gietto für Streicher, wirkt ergreifend durch den zarten Ausdruck der Empfindung. Er begleitet die Begegnung der beiden Alten, des Schäfers Balthasar und der Mutter Renaude, die sich einst geliebt hatten, aber aus Pflichtgefühl auf ¬ einander verzichteten. Das Finale dieser, Suite ist der berühmt gewordene „Carillon , ein fröhliches, lebhaftes „Glockenspiel". Der Mit telteil dieses festlichen Stückes hat elegischen Charakter. In diesem Satz wird die Szene des Verlobungsfestes veranschaulicht. Suite Nr. 2 : Der erste Satz (Pastorale) schildert ein Schäferidyll am Teich von Vacca- res in der Camargue. Es folgen ein etwas de klamatorisches Andante moderato und ein Flöten-Menuett mit begleitender Harfe. Die berühmte „Farandole" (ein leidenschaftlicher provenzalischer Volkstanz) ist Finale und Hö hepunkt dieser Suite. Das Thema der „Marche des Rois" und ein anderes volkstümliches tän zerisches Motiv, provenzalischen Tamb^M- spielern abgelauscht, greifen in die Entwick lung des Satzes ein, der in eine stürmische Bewegung übergeht. Mit wilder, überschäu mender Freudigkeit endet dieses großartige Tanzstück. VORANKÜNDIGUNG: Sonntag, den 22. Januar 1984, 11.00 Uhr (Freiverkauf) (Vorverlegung vom Montag, dem 23. Januar 1984) Sonntag, den 22. Januar 1984, 20.00 Uhr (AK/J) Festsaal des Kulturpalastes Dresden 5. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Jean-Claude Casadesus, Frankreich Solist: Andrej Korsakow, Sowjetunion, Violine Werke von Haydn, Bach und Beethoven Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Die Einführung in die Händel-Variationen von Brahms schrieb unsere Praktikantin Kerstin Fichte vom Fachbe reich Musikwissenschaft der Karl-Marx-Universität Leip zig; der Beitrag über Bizet und die Arlesienne-Suiten von Serge Nigg wurde dem Konzertbuch I, Leipzig 1972, entnommen Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel — Spielzeit 1983/84 Druck: GGV, Betriebsteil Heidenau JtG 009-67-83 EVP -25 M 4. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1983/84