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fällige Anregungen auf praktischem und theo retischem Gebiet, besonders durch sein Un terrichtswerk „Unterweisung im Tonsatz". In nerhalb dieses vielfältigen Schaffens verlief Hindemiths Weg aber durchaus widersprüch lich. Kennzeichnend für Hindemiths Persönlichkeit waren seine lebensbejahende Haltung und musikantische Unmittelbarkeit, die ihn die Verbindung zum volkstümlichen Musizieren suchen ließen. Auf diese Weise versuchte er den Krisen der bürgerlichen Musik, dem Klangrausch der Wagner-Epigonen entgegen zuwirken. Eine kritische Einstellung zur bürger lichen Welt führte Hindemith in den zwanziger Jahren für einige Zeit zur Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht („Das Lehrstück"), doch fand er nicht wie Hanns Eisler den konsequenten Weg auf die Seite der progressivsten Kräfte. Hindemiths musikalischer Stil ist wesentlich geprägt von polyphonen und konzertanten Traditionen der deutschen Musik. So kommt der Melodik eine bestimmte Rolle zu, ebenso der Eigenwertigkeit der Stimmen im polypho nen Satz. Ab 1935 gelangte der Komponist von dem erweiterten tonalen Gefüge dann immer mehr zu einem harmonisch bestimmten und tonal gefestigten Stil („Mathis der Ma ler") und bezog auch spätromantische Ele mente mit ein. Obwohl in einigen vokalsinfo nischen Spätwerken sein Hang zur Abstraktion und zum Mystizismus z. T. erkennbar wird, bleibt Hindemiths Bemühen um die Gestal tung grundsätzlicher ethisch-moralischer The men („Requiem“ nach W. Withman) die bestimmende humanistische Grundtendenz seines Schaffens. Das Concerto für Klarinette und Orchester schrieb Paul Hindemith im Jahre 1947 für den berühmten amerikani schen Klarinettisten und Jazzmusiker Benny Goodman, dem er es auch widmete. Die Ur aufführung erfolgte im Dezember 1950 in Philadelphia mit Goodman als Solisten. Der Dirigent war Eugene Ormandy. Es handelt sich um ein unbeschwertes Musizierstück, das dem Solisten dankbare Möglichkeiten zur Entfaltung seines virtuosen Könnens bietet. Die Ecksätze sind in Sonatensatzform gestal tet. Ihre anmutige Thematik hat tänzerischen Charakter. Die Verarbeitung des themati schen Materials ist hier — wie auch in den beiden Innensätzen — von außerordentlicher handwerklicher Kunstfertigkeit. Besonders ori ginell ist der in schneller Bewegung dahin eilende zweite Satz über ein aus fünf Tönen bestehendes Ostinato-Motiv gebaut, das im Hauptteil und dessen Reprise im Baß des Orchesters, im Mittelabschnitt vom Soloin strument im tiefen Register konsequent bei behalten ist, wozu in diesem Teil die Unter stimme des zweistimmigen Orchesterparts einen weiteren Ostinato-Gedanken festhält. Der langsame dritte Satz — in dreiteiliger Lied form angelegt — schafft mit seinem weitge spannten lyrischen Hauptgedanken den kon trastierenden Ruhepunkt zu den übrigen Sät zen des Concertos. In der alten Zählweise der Sinfonien AntÄ nin Dvoraks erschien die Sinfonl^F Nr. 6 D-Dur o p. 60 als erste, war sie doch die erste, die veröffentlicht wurde und die der bescheidene Komponist als gültiges Werk vertrat. Er hatte lange Zeit gebraucht, hatte viele harte Entbehrungen auf sich neh men müssen, ehe er mit seinen Kompositio nen in der musikalischen Welt bekannt wurde. Die „Slawischen Tänze", die „Slawischen Rhapsodien" und die „Klänge aus Mähren", Werke, deren musikalische Struktur ganz aus den nationalen Intonationen der reichen böh mischen Volksmusik erwachsen waren, trugen den Ruhm des Komponisten dann jedoch in die Welt und vermittelten Dvorak die Be kanntschaft und verehrende Freundschaft eini ger Großer der Musikwelt wie Johannes Brahms, Joseph Joachim und Franz Liszt. In dieser freudvollen Zeit der wachsenden inter nationalen Anerkennung seines Schaffens entstand die D-Dur-Sinfonie, auch mittelbar durch die Erfolge des Komponisten im Aus land veranlaßt, hatte doch der bekannte Di rigent Hans Richter nach einer Aufführung eines „Slawischen Tanzes" den Wunsch ge äußert, mit seinen Wiener Philharmonik'^a auch einmal eine Sinfonie des Meisters spielen. Von der Freude über die Anteilnah me, die man seinen Werken allerorts zollte, wesentlich bestimmt, entstand die Sinfonie in ungemein kurzer Zeit. Drei Wochen benötigte Dvorak für die Niederschrift der Skizze, drei weitere für die Ausarbeitung der Partitur. Am 25. März 1881 gelangte das Werk, das Hans Richter gewidmet war, durch das Orchester des Tschechischen Theaters in Prag zur Urauffüh rung. Die Sinfonie verleugnet in keinem Takt die nationale Herkunft des Komponisten, dennoch gehört sie bereits zu jenen Werken Dvoraks, in denen er, über die starke Anlehnung an die böhmische Folklore hinauswachsend, in immer stärkerem Maße die sinfonischen Form probleme und die harmonische Entwicklung der westeuropäischen Romantik für sein Schaffen wirksam werden ließ. Zwar läßt auch in dieser Sinfonie der Musikant Dvorak manchmal noch ein wenig die Zügel durch gehen, führt in nimmer ermüdender musikan- tischer Kraft eine thematische Erfindung nach ■der anderen ins Treffen und gelangt noch nicht ganz zu der Bändigung der hervorquel lenden Energien, wie das in seinen letzten Sinfonien der Fall ist, die Frische aber der ^jfindung, die kraftstrotzende Gesundheit der ^Bearbeitung ist von so überzeugender Echt breit, daß man leichten Herzens kleine formale Unebenheiten in Kauf nimmt. Der tschechi sche Dvorak-Forscher Otakar Sourek sagte über die Sinfonie: „Satz für Satz ist sie ge nial stilisierte Daseinsheiterkeit, Lebensmut, Freude und Frohsinn. Dabei ist das Werk sei nem Geist und Ausdruck nach urtschechisch. Mit seinen Wurzeln haftet es im Grund und Boden der tschechischen Provinz, und die Liebe des Tondichters zu diesem Boden, der ihn hervorgebracht hat, seine Liebe zur hei matlichen Natur und zum tschechischen Volk durchwärmt und leitet jeden Gedanken des Werkes, jeden einzelnen Takt. In dieser Sin fonie leben Humor und Hochgefühl, Frohsinn und Leidenschaft des tschechischen Volkes, at met der Duft und jauchzt der Gesang der böhmischen Fluren und Wälder. Hier gibt es kein lastendes Gewölk, nicht einmal Wölk chen." Sind diese Worte auch für die ganze Sinfonie bestimmt, so treffen sie doch in besonderem Maße für den ersten Satz (Allegro non tanto) zu. Erst nach einem zweimaligen Auftakt Jammt das frische Hauptthema zum Vorschein, den Hörnern synkopisch begleitet. Ein Nebengedanke entwickelt sich rasch, dann kommt wieder das Grundthema im Grandioso daher. Alle weiteren Gedanken sind aus den einzelnen Motiven dieses Grundthemas abge leitet, atmen die gleiche musikantische Frische wie dieses. Die Durchführung dient der wei teren Zusammenführung der einzelnen Ge danken, sie vermeidet große dramatische Spannungen. Die Reprise weicht nur gering fügig von der Exposition ab: eine ausgewei tete Coda führt den kraftvollen Grundcharak ter des Satzes zu einem letzten Höhepunkt. Nach einem Zurückgehen in ein gehaltenes Pianissimo überrascht eine Fortissimo-Kadenz. Von slawischer Gefühlstiefe ist der zweite Satz (Adagio). Süß zieht der sehnsuchtsvolle Ge danke dahin, der in Rondoform noch einige Male wiederkehren soll. Ein wenig rascher im Tempo erklingt ein tänzerisches Thema in den Oboen, um dann einem besonders zarten Motiv zu weichen, das erst in der Dur-, dann in der Mollterz erscheint. Dieser letzte Einfall wird im Verlauf des Satzes noch zu besonders sinnlichen Steigerungen geführt. Erstmalig in der sinfonischen Literatur dürfte es sein, daß ein richtiger Volkstanz, ein Fu- riant, Eingang in die sinfonische Satzfolge findet. Sourek gibt uns für den Charakter die ses Tanzes und für seine Entstehung folgende Erklärung: „Das Wort furiant bezeichnet im tschechischen Volksmund einen Bauernbur schen oder Bauern, der in allen Lebenslagen selbstbewußt seinen Mann stellt . . . Ein im Milieu des begüterten tschechischen Bauern tums einstmals recht verbreiteter Menschen typus, in dem sich Dünkel, Prahlsucht, aber auch steifnackiger Mannesstolz zu einer un entwirrbaren Charaktereinheit vermengten. Von diesem bäuerlichen Lebenstypus erhielt der Dorftanz Furiant seinen Namen, ein hur tig bewegter Tanz mit wechselnder Taktart und scharfen, höchst bezeichnenden Akzentver schiebungen, der eben diesen menschlichen Dorftypus musikalisch-tänzerisch versinnbild licht." Bekannt ist ja beispielsweise der hin reißende Furiant aus Smetanas „Verkaufter Braut“. Von ähnlichem tänzerisch animieren dem Feuer ist auch der Furiant aus Dvoraks D-Dur-Sinfonie. Ganz deutlich sind die gegen den 3 /4-Takt geschriebenen Zweiermetren er kennbar, denen dann die wirbelnde Dreivier telfigur nachgestellt ist. Auch in der wiegen den zweiten Periode sind die metrischen Bin dungen verschoben. Freundlich und ein wenig pastoral gibt sich das Trio, das eine etwas dudelnde Beweglichkeit aufweist und deut lich zu dem dann wieder daherfegenden Fu riant kontrastiert. Das wiederum in Sonatenhauptsatzform ge arbeitete Finale (Allegro con spirito) beweist mit seiner Vielzahl an thematischen Erfindun gen von immer mehr sich steigender Kraft fülle und Lebenslust all die Worte, die Dvoraks Biograph über die Schönheit und den Frohsinn, die überschäumende Lebensfreude-- dieses prächtigen Werkes gesagt hat.