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Zweite Beilage zu^Nr. 4 der „Sächsischen Dorszeitvng" vom 9. Januar 1897 den er Abschied für eine lange Zeit sich und wartete aber mit innerem Beben die eine Erinnerung an die schöne Alte« nle und sagen . . verlassen, zwinkerte und die Sonne funkelte in den Tropfen an Buschin und Baumen. Mann denn nun e> klart, oder hast „Ich fürqie, ich habe doch sprochen-, deichlete die glückliche, „Hat sich der sunge Du — ? —' vaS erste Wort ge- errötyende Dagmar. kurz und einsilbig — auf Wort oder Blick, Kinderzeü brächten. Und dann nahm — eine Studienreise. „Ich meu.te, Du woUlest mich Dagmar*, sagte Herr von Sqranthal mit den Augen. spannt den Eingang der Kunstausstellung beobachteten. Nun sag sie vor der Haidelandschaft — und auf einmal war ihr, als fächele ein sicher Wmo ihre blonden Locken, als streiften zierliche Schwalben Pfeil, schnell an ihr vorüber, al- töne das Summen der Btenen, da- Brüllen dec Kühe rn nächster Nahe. Die ihn ge- em- I« der Kunstausstellung. Novelette von H. von Sch reib erS Hofe,n. Sie saß noch immer vor dem Bilde und hielt Blick unverwandt darauf gerichtet. E- stellte keinen Aus Furcht, ihre Bewegung, ihren Schmcrz zu zeigen, lachte und scherzte fie laut, mit unterdrückten Thronen. Er blieb ernst, preßte manchmal die Lippen zu- sammen und streifte sie nur flüchtig mit dem Blicke. Ihr Bater wollte ihn eine Strecke Weges be gleiten und suchte nach Hut und Stock — so blieben sie allein. In wenigen Minuten kann sich ein LebenSschicksal enischeiden . . . Er sagte ihr Lebewohl, mit guten Wünschen für ihre Zukunft. Ja seinem Gesichte zuckte eS, seine Nasen, stügel bebten, aber er halte sich »» der Gewalt, seine Stimme kräng ganz ruhig. Sie fühlte ein brennende- Verlangen, sich ihm an dte Brust zu werfen und w»e vor Jahren zu rufen: Du darfst, Du sollst nicht weg. gehen! Doch ihre Lippen sprachen em kaltes, gleich, gütiges AvschltdSwort. Da neigte er seine hohe Gestalt etwas und sagte schnell und leise: „Ich wage eS kaum, zu bitten, daß Sie mem-r freundlich gedenken möchten; Sie zürnen mir, ich fühle e-, daß eS dem Manne noch immer nicht gelungen ist, die Knabengefühle zu über winden. Verzeihen Sie, daß ich eist so spat begriffen habe, wie wenig, wie so gar kein Nechl mir die Klnder- freundschaft dazu geben konnte!" Jetzt bebte seine Stimme, er preßte ihre Hand an seine L-ppen und war weggerüt, ehe sie elwas sagen, etwas denken konnte. Als sie an da- Fenster stürzte, sah sie ihn an ihre- Vaters Seite über die Hude gehen, den Kopf gesenkt, stamm den Worten de- effrig redenden älteien Mannes lauschend. Die Stelle, wo seine Lippen geruht, hatte ge brannt — sie mrinte, eS noch setzt zu suhlen, ebenso das tiefe Weh, wu dem sie ihres VaterS Erzählungen über ihn stets gelauscht. Vergebens harte sie auf seme Rückkehr gehofft, als der Tod ihm die Matter raubte. In ihren Armen war die mütterliche Freundin h'nuber- gegangen, kurz nachdem sie ihr Hcrz in einer langen Aussprache zum ersten Male erleichtert. Es war Alles zu schnell grkoma en, Olas's Rückkehr wäre zwecklos ge. wesen. Sv sandte Herr von Schranthal nur einen hinterlassenen Brief, der wohl tzas letzte Lebewohl der Mutter enthielt . . . Jetzt hatte er sicherlich Alle- längst überwunden und die kleine Dagmar velgtssen . . . O wäre sie ihm doch damals nachgestürzt, haue eS lhm gejagt, was ihr Herz noch immer mir zitterndem Leh erfüllte! — Sie hatte keinen der Buten erhört, die um sie geworden. Ich bleibe immer der Dir, Papa, ich will Dich nie allein lassen, halte sie jedesmal gesagt . . . Aus einmal beugte sich Dagmar vor, um daS Bild genauer anzusryen. „Aber das ist falsch, ich war nicht barfuß-, jagte sie laut una schüttelte rhrea schönen, blonden Kops. „Nern, aber ich konnte nur so zeigen, daß der eine Fuß verletzt war und ich oaourch gezwungen, VaS schwere kleine Mädchen zu tragen-, antwortete eine Stimme dlchl neven chr. kKme Dagmar stand auf der Wiese und pflückte gelbe, - -^aue und weiße Blumen, kaum konnte ihre winzige Hand den Strauß umspannen. Entzückt hielt sie sensationellen oder besonders ergreifenden Vorgang dar, aber eS war wundervoll in Farbe und Stimmung. Alle Kritiker hatten einstimmig die Lufttöne und du herrliche Färbung der Haide gerühmt. . ES zeigte eme weite Ebene, auf welcher Wald- strecken mit Weideplätzen abwechselten; im Vordergründe durch einen Deich begrenzt. Aus dem grünen Wall stand ein «nabe, der ein etwa- kleineres Mädchen auf den Armen trug. Sein Gesicht war nur im Profil sichtbar, da- Antlitz des Mäochens aber mit dem Aus drucke höchster Angst einer «uy zugewendet, die unter, halb des Deiches stand und einen Strauß Wiesen- blumen fraß. empor, da fiel ihr Blick auf emeS der großen hörnten Ungrthüme, ble ihr eme unsägliche Angst flößten. Eine Kuh, dte bisher ruhig gegrast, setzte Der Regen hatte längst ausgehört spiegelte sich tu dru Wasserlachen können. Doch seine Zurückhaltung reizte sie zu noch größerer Kälte und Gleichgiltigkeit, erbittert suchte sir ihn zu verwunden, wie und wo fie konnte — ohne seine Ruhe zu erschüttern. Wie ost stand fie hinter den Gardinen verborgen, mit laut pochendem Herzen, den Blick gebannt auf seine seinen schönen Züge gerichtet. Als ob sie diesen festgeschloffenen, charaktervollen Mund, diese feurigen, dunklen Augen, diese freie, edle Stirn nicht wachend und schlafend vor sich sehe! Sprach er aber mit ihr, so schien sie zerstreut und antwortete nur langsam m Bewegung und kam schwerfällig auf oie Kleine zu, die nach dem ersten Entsetzen einen Schrei auSstteß und sich zur Flucht wandle. Doch je schneller sie lles, um sv eüsetttger trottele die Kuh hinter ihr drein, oermutylich durch die dustenden Wiesenblumen angelockt, welche das Kind erschrickt fallen ließ. Die ktelnen Füße fingen an zu stolpern, die Angst verumne das kleine Dmg, der Alyem ging ihm aus — da sah Dagmar den Knaben auf dem Deiche stehen. Auf »yr Geschrei kam er Yuan und hals der Klemen mit raschem Schwünge auf den Deich. „Warum schreist Lu denn jo-, fragte der Knabe und belrachiite eas kleine Fräulein ziemlich neugierig. „Die thul Dir doch nichts!" Mu dem ganzen Entsetzen eines dem Landleben und seinen mannigfachen Anforderungen vollständig fremden Gemütes starrte die Kleine ihn an, schüttelte ihren blonden Kops und holte lief Aiyem. Ihr Hut war verloren gegangen, der Wind spielte am ihrem Haare und irreo die krausen Löckchen über ihre weiße Stirn. „Wo wohnst Du?" fragte der Knabe und sie deutele stumm auf em langgcstreckleS Dach hinter den nächsten Baumen. „Ach svl Ihr seid erst jetzt ge kommen, nicht wahr?" Sie mckie. „Sonst wüßtest Lu doch auch, daß Lu hier oben blS dicht an Euer Haus gehen kannst und Dir die Kühe nichts thuli." In seinen Worten lag eme lel^e Verachtung — daß man sich vor einer Kuh fürchten konnte! Er nickte und wollte Weggehen, doch sie hielt ihn fest und sagte weinerlich: „Du sollst nicht Weggehen, ich habe Angst." „Wovor? Du kannst ja Euer HauS von hieraus sehrn." Sie biach in Thränen aus. „Aber — die Kuh —" „Dummes Zeug! Bleibe nur auf dem Deiche —" „Ich will aber nicht allein gehen!' rief sie aus und ihre Thränen versiegten so rasch, wie sie gekommen waren. Er lachte, da wollte sie mit dem Fuße aufstampfen, stieß ab,r statt d.ssen emen kläglichen Schrei aus und ktammerle sich mit beiden Händen an seinen Arm. „Mem Fuß, o mein Fuß, o er thut so furcht bar weh!" „Was hast Du denn daran?" fragte er und wollte nachseyen, aber jeoe Berührung schmerzte sie so, daß sie laut wimmerte. Die dunklen Augen deS K..ablN sahen unschlüssig umher, dann flog em Lächeln über sem Gesichl. „Da mutz ich Dich am Ende nach Hause tragen." LaS Lächeln war wie Sonnenschein, das kleine Mädchen- Herz ward auf einmal ganz froh. „Ja bitte — wenn ich Dlr nur nicht zu schwer bm!" VerirauenSooll legie sie die Arme um seinen Hals, als er sie emporyoo und langsam aus dem Deiche vorwärts ging. Sie war schwer, schwerer al- er gedacht, er mußte von Zelt zu Zeit sieh.n bleiben, um sich auSzuruyen. Ader ihr war so sicher und behaglich zu Mutye, daß sie vergnügt schwatzte und thn auch nach seinem Namen fragte. „Ich heiße Olas Und ich Dagmar. Wohnst Du auch immer hier?- Er deutete mit dem Kopfe nach rückwärts, wo hinter alten Eichen die Kirche lag, von einigen Haujern umgeben. „Vater war Pastor, wir wohnen jetzt im Wutwenhause.- „Sle thut Dtr nichts", sagte sie dann luut, sah sich aoer sofort erschrocken um. Doch Niemand hatte sie gehört, sie war ganz allem. Ihr Vater saß m der großen Rotunde und wartete anscheinend auf das Nachtassen des Regens, wahrend seine Augen ge- Sie sah sich um, da- Blut strömte ihr zum Herzen — nun konnte sie ihm Alle-, Verwischtes. — Berlin, 4. Januar. Der Minister de- Innern weist in einem Erlaß an tue Provinzialdehörden darauf hin, daß dre Verlockung weiblicher Personen nach dem SuSlanoe zu unsittlichen Zwecken neuerdings wieder in starkem Umfange stallzufiuden scheine. Nicht nur m die öffentlichen Häuser der holländischen und belgischen See städte, sondern namentlich auch nach Südamerika und nach dem Orient werde anscheinend ein starker Mädchen handel betrieben. Seien auch die meisten der von Kupplern nach dem AuSlande verbrachten weiblichen Personen solche, die schon in der Heimath dem Laster ergeben waren, so fallen doch auch viele andere, häufig durchaus unbescholtene junge Mädchen in tue Hände der Kuppler. Mit Recht werde heroorgehoben, daß bei der Verkuppelung unbeschol tener weiblicher Personen diese selbst und ihre Angehörigen häufig von Mitschuld insofern nicht frerzusprechen find, al- fie unvorsichtiger Welse den Anerbietungen von angeblich glänzenden Stellen im Au-laude al» Gouvernanten, Haus hälterinnen, Erzieherinnen rc. Glauben schenken oder zweifelhaften Stelleuvermittlern vertrauen. Der Minister weist besonders darauf hin, daß al» ein vorzugsweise geeignetes Mittel zur Warnung unerfahrener Personen e» sich empfiehlt, von Zeit zu Zeit durch die Presse aus da» geschilderte Treiben der Suppler aufmerksam zu mache» Olaf betrat die große Hausflur, wo eine alte Magd fie empfing, dte Kleine dem Knaben adnahm und ihn mit Fragen und Borwürfen überschüttete. „Sie hat sich am Fuße weh gethan", sagte er. „Aber ein so schwere- Mädchen so weit zu tragen!" rief sie und schob ihn in em Zimmer zu ebener Erde, wo ein schlanker, blasser Mann an einem Tische voll Bücher saß. Er hielt eine lange Pfeife rn der Hand, trug eia Sammtkäppchen auf dem spärlichen Haare und drückte sich eine goldene Brille fester auf die Augen, als sich die Thür öffnete. „Ist der Kleinen etwa- geschehen, Justine? Wer bist Du, mein Junge, wie heißt Du und was willst Du?" Olaf nannte sich und wiederholte seinen kurzen Bericht mit der hinzugefügten Erläuterung, Dagmar sei vor einer Kuh weggelaufen. Herr von Schranthal schwenkte seine Pfeife und zog die Augenbrauen empor. „Wo wohnt der hiesige Arzt, mein Junge?" Olaf schüttelte den Kopf. „Hier ist keiner. Wenn den Leuten etwa- fehlt, kommen sie zu memer Muller." „Hm, so, so! Aljo Deine Mutter. — Wie heißest Du, mein Sohn?" „Olaf Johannsen —" „Olaf Johannsen, eS wäre schön, wollte sich Deine Mutter auch meine- kleinen Mädchens an nehmen", sagte Herr von Schranthal nach einer Weile. Ja, Olaf war überzeugt, seine Mutier werde kommen, er wollte sie gleich holen. Doch die Kieme wollte ihn nicht weglassen und schrie: „Du sollst nicht weggehen!" „Ich komme wi-der", rief der Knabe und sprang davon. Ec kam wieder, nicht nur an diesem Tage, auch an allen folgenden und bald waren die Kinder unzer trennlich. Sie saßen zusammen aus dem grünen Deiche, sahen den ad- und zufliegenden Störchen nach, lauschten dem Sausen de- WmdeS in den Haidebüschen und be obachteten die duntflügeligen Insekten, die leise surrend in den Sonnenstrahlen tanzten. Selbst Olas's Schul besuch in der nächsten größeren Stadt machte kermn Unterjchied, ec kam ja in den Ferien wieder. „Du sollst nicht Weggehen", hatte Dagmar wieder gesagt und er sie abermals getröstet m>l der Aussicht aus sein Wleberkommen. Aber noch nie hatte er eS als eine Last empsunden. Herr von Schranthal hatte sich nur vorübergehend hur mederlassen wollen, emer Arbeit halber, die er in Ruhe zu vollenden wünschte. Aber die wetten Halde flächen mit ihren wechselnden Lichtern, der ferne Silver, säum DeS Meeres, der so märchenhaft herüberschimwerte, die großartige, geheimntßvollc Einsamkeit und ^as stille träumerische Layinleben halten ihn bald mit tausend Zauberfäden umsponnen — er blub. Vielleicht hätte er sich mit semem Töchterchen hier ganz vergraben — doch Dagmar sorgte ganz gegen ihren Willen selbst für da- Gegeniheil. Gesund und reizend wie eine Haidealume, aber auch ebenso wild und ungeschult ausgewachsen, kannte sie nach keiner Seite hin irgend einen Zwang Als ihr Vater zum ersten Male versuchte, ihr den Unterschied klar zu machen zwischen dem Knaben Olas, der ste aor der Kuh gerettet und auf seinen Armen yeimgetragen und dem erwachsenen jungen Manne, dem werdenden Künstler, erklärte ste mit »rotzig stammenden Blicken und einem energischen Zuge um den vollen, schönen Mund, sie werde niemals ander- gegen Olaf sein, sie wolle ,yn heiralhen, kein Anderer werde sie je sein nennen. Nachdenklich rieb sich der überraschte Baler das Kinn und vergaß sogar weiter zu rauchen. „Ah Wilk- ttq — hat sich der junge Mann Dir schon erklärt?" Innerlich lachte er etwas über Dagmar'« Erröihen bei dieser Frage, fügte aber sehr ernsthufl die Bitte hinzu, seine Tvchier möge ihr Vertrauen vervollständigen und ihm ihre Antwort auf des jungen Mannes Werbung miitheilen. Geduldig wartete er auf ihre Woite, die leise und zögernd kamen. Er hatte sich noch nicht enlschleden ausgesprochen. — „Aber ec hätte eS gewiß schon gethan, er hat nur Angst vor Du!" „Ja,-ich bin, wie eS scheint, ein harter, unan genehmer Bater —" „Ich werde es ihm selbst sagen, sobald er wieder kommt." Herr von Schranthal zündete erst die Pfeife wieder an, hüllte sich m undurchdringliche Dampswolken und sa^te dann langsam: „Gewöhnlich pflegen junge Damen auf solche Frugen zu warten, eS gilt als ihr Vorrecht. ES möchte unserem jungtn Friunde am Ende nicht gefallen, maßttst Lu Dir an, was als jein Recht gilt, er könnte es für unweidlich, für unzart —" Dagmar stürzte hinweg mit dem Gefühle, als sei etwa- in ihr mS Schwanken gerathen. M t einer un aussprechlichen Beschämung kauerte ste stundenlang hinter dem grünen Deiche zwischen dem blühenden Haide- kraute, die Hände auf die Augen gepreßt. Wenn sie nur Olaf nie, nie wiedeizusehen brauchte! Und doch ward ihr der Abschied von Olas's Mutter unsäglich schwer, als sie kurze Zeit darauf in ein In- stltm am Rhein eintrat. Über sie »rüg der Wttlwe kemen Gruß an ihren Sohn auf . . . Erst nach mehreren Jahren trafen die beiden Jugendgespitlen wlrder m der alten Heimath zusammen, aber nun halte Dagmar gelernt, sich zu beherrschen. Angstvoll wachte sie über Blick und Wort und übersah seine Betrüblich, sein Erschrecken de« lyrer kalten Anrede. Settdem verneth mchl- m seinem Benrhmen eine Leidenschaft oder Verehrung, die sie hätte zurückweiseu „Kann eS sein!" murmelte die junge Dame, die vor dem Bilde saß, immer wieder und la- wohl zum zehnten Male den Namen des Künstler-.- Olaf Jo hannsen. '