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5. ZYKLUS-KONZERT Johannes Brahms Zoltän Kodäly Karol Szymanowski Festsaal des Kulturpalastes Dresden Donnerstag, den 24. März 1983, 20.00 Uhr Freitag, den 25. März 1983, 20.00 Uhr Nachholung vom 21. und 22. Januar 1983 philhQrnnoniiet ■ Dirigent: Martin Flämig Solisten: Helga Termer, Dresden, Sopran Annedore Albrecht, Dresden, Sopran Birgit Walther, Dresden, Sopran Violetta Madjarowa, VR Bulgarien/Berlin, Alt Albrecht Lepetit, Köthen, Tenor Olaf Bär, Dresden, Baß Chöre: Dresdner Kreuzchor Philharmonischer Chor Dresden Einstudierung Matthias Geissler Orgel: Hans Otto Johannes Brahms 1833-1897 Rhapsodie für eine Altstimme, Männerchor und Orchester op. 53 Text: Johann Wolfgang von Goethe Adagio — Poco Andante — Adagio Karol Szymanowski 1882—1937 Sinfonie Nr. 3 für Tenorsolo, Chor, Orgel und Orchester op. 27 („Das Lied von der Nacht") Text: Dscheläl ed-din Rümi PAUSE Zoltän Kodäly 1882-1967 Missa brevis für Soli, Chor, Orgel und Orchester Introitus (Maestoso) — Kyrie (Andante) Gloria (Allegro) Credo (Allegro moderato) Sanctus (Larghetto) Benedictus (Tranquillo — Larghetto) Agnus Dei (Adagio) Ite missa est (Maestoso) Erstaufführung ZUR EINFÜHRUNG Die sogenannte Alt-Rhapsodie aus Goethes „Harzreise im Winter“ für Altstimme, Männerchor und Orchester op. 53 wurde von Johannes Brahms bald nach dem Re quiem geschrieben und unmittelbar nach den Liebesliederwalzern, als deren Nachspiel sie der Meister bezeichnete. Die Uraufführung erfolgte am 3. März 1870 in Jena mit der berühmten Pauline Viardot-Garcia als Solistin; späterhin wurde das Werk vor allem durch Amalie Joachim Erfolg geführt. Schon Johann Friedrich Rei- Mirdt hatte den Text vertont, ebenfalls als ^agment (für Singstimme und Klavier). In drei Strophen werden die Gedanken der grenzenlosen Einsamkeit, des Menschenhasses, schließlich des Trostes, der Erquickung in herr lichen Worten gestaltet — der rechte Text für einen Komponisten wie Brahms, dem jedes Wort aus dem Herzen gesprochen sein mußte. Den verzweifelten Gängen des c-Moll-Adagios mit seinen vielen Sforzati und abgerissenen Klängen folgt der schon weit trostreichere Ge sang des Poco andante, Beethovensche Vor haltsmelodik ganz ins Brahmsische wendend, wundersame Kadenzen ausschwingen lassend. Erst die letzte „Strophe" („Ist auf deinem Psal ter, Vater der Liebe, ein Ton von seinem Ohre vernehmlich, so erquicke sein Herz") läßt im Adagio C-Dur den Männerchor mit der Altstim me zusammenklingen, was einen der reizvollsten Sätze ergibt. Das Orchester trägt die schöne Doppelmelodie weiter, nur zaghaft melden sich in dieser weichen Stimmung strengere kontra- punktische Gelüste; Brahms wird nicht müde, das „erquicke sein Herz" durch süße Vorhalte zu malen, um dennoch plagal im einfachsten ^^Dur-Klang zu schließen. ist unverständlich, wie von einigen Zeitge nossen dieses Werk als zu „herb" abgelehnt werden konnte. Aber Hugo Wolf, der ständige Lästerer, sagte: „Die Rhapsodie zählt zu dem Besten, was wir von Brahms besitzen." Brahms selbst liebte das Werk sehr. Die 3. Sinfonie op. 27 für Tenor-Solo, Chor und Orchester, auch „Lied der Nacht" genannt, wurde zwischen 1914 und 1916 komponiert. Wie meist benötigte Karol Szymanowski auch hier mehrere Jahre zur Fertigstellung des Werkes: Er war sich selbst gegenüber äußerst kritisch, zuweilen auch der Öffentlichkeit gegenüber zu ängstlich. (Eine der wenigen Ausnahmen bildete das erste Violin konzert, das in knapp acht Wochen fertig wur de.) In der einsätzigen 3. Sinfonie sagte sich Szymanowski weitgehend von der mitteleuro päischen Tradition los. Allein der Einfluß Mah lers läßt sich noch feststellen. Ähnlich dessen 8. Sinfonie, die er in Wien zweimal gehört hatte, und dem „Lied von der Erde" ist Szymanowskis „Dritte" eine Art Sinfonie-Kantate. Das Neue indessen besteht darin, daß hier französische, polnische und exotische Charakteristika zu ei nem ganz und gar individuellen Stil verschmol zen werden. Man könnte ihn auch als Szyma nowskis „style luxuriant" bezeichnen. Eine sinn lichere und ekstatischere Musik ist bis dahin kaum je von einem anderen Komponisten ge schrieben worden. Wer diese ungewöhnlich viel stimmige, großformatige Partitur richtig hören will, muß die Kritik mithören, die am deutschen Ideal handwerklicher Korrektheit (die oft zu ei nem sterilen Akademismus ausartete), unsinn licher Spiritualität und massiger Architektur ge übt wird. Gleichwohl hat diese Musik auch ihre ästhetischen Gefahren. Der sinnliche Reiz der harmonischen und melodischen Details er schwert es, daß der Hörer das Ganze des Wer kes aufnimmt. Am ehesten wird es zusammen gehalten durch die beinahe durchgehende Ek stase, die noch den grüblerischsten Ton zu sich hoch reißt. Der Text, „Lied der Nacht" betitelt, ist hier das stimulierende Moment. Er entstammt dem zwei ten „Divan“ von Dscheläl ed-din Rümi (1207 bis 1273), einem der größten mystischen Dichter der Perser im 13. Jahrhundert. Dieser besang — wie alle Anhänger der sufistischen Weltan schauung — die Liebe, den Wein und die Schön heit, alles trotz religiöser Askese. Wie das hier verwendete Gedicht kulminiert fast sämtliche sufistische Literatur in ekstatischer Erhebung, im Genuß des Weins, den sie in ein überirdisches Genießen verwandelt, in der Liebe zum schönen Menschen, der mit den Gestirnen des Himmels identifiziert wird, und im Einsfühlen mit der Natur. Durch die persische Dichtung wurde Goethe der Orient zum Erlebnis. Er symboli sierte für ihn etwas ewig Gültiges, die Einheit von Ferne und Gegenwart; der Orient wurde bekanntlich der wichtigste Anreger für die Dich tung des „Westöstlichen Divans". Nicht zu übersehen dagegen sind die Flucht motive bei Szymanowski, der, wie viele spät-