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ehe allerdings ihre Lage miteinander tauschen, so daß sich die Figur des Kreuzes — mit dem Zentralton als Schnittpunkt — zeichnet. Der vierte Teil greift die serielle Struktur des zweiten auf, arbeitet aber nur noch mit dem viertönigen Akkord und seiner Umkehrung in den Bläsern, die vom gleichzeitig spielenden Schlagzeug überlagert werden. Aus einem rie sigen Streichercluster im Pianissimo fallen die Bläser herab und führen zum fünften Teil, der die drei wesentlichen Bauelemente des ganzen Stückes jubelnd übereinandertürmt: Im Blech baut sich die dominierende Struktur (Intervalle Quarte/Tritonus) zu einer stehenden fläche auf. Darüber erhebt sich der viertönige Bkkord mit seiner Spiegelung (Zentralton e); er entfaltet sich in vielfältigen Umkehrungen nach dem Plan jener seriellen Ordnung, die bereits mehrfach als Formprinzip wirksam war. Die seriellen Proportionen werden im Zeitmaß immer mehr verkleinert. Ein Peitschenschlag zeigt jeweils eine solche neue Stufe der Ver dichtung und Steigerung an, zugleich gliedert er das frei sich ergießende Melos der Strei cher gewissermaßen in Strophen: Nach dem ersten Schlag sammeln sich die Streicher all mählich zum unisono, während bei jedem wei teren Peitschenschlag über einem Tritonus (b—e) eine Oktave aufspringt. Die visionenhaft aufleuchtende Dreiheit stürzt schließlich mit einem gewaltigen Tamtamschlag in die unge teilte Einheit." Wir weisen darauf hin, daß nach dem Kon zert am 19. Februar in den Klubräumen der Dresdner Philharmonie (2. Obergeschoß) ein Besuchergespräch zu diesem Werk stattfindet. Eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Musikgeschichte war der große italienische Geigenvirtuose Niccolö Paganini, der geradezu berauschende Wirkungen auf seine Zeitgenossen in Italien, Deutschland und Frankreich ausübte. Das Dämonisch-Aben teuerliche seiner Person führte im Bunde mit seinen phänomenalen geigerischen Fertig keiten dazu, daß man ihn sogar der Zauberei verdächtigte oder ihn mit Geistern und der Hölle im Bunde glaubte. Paganini, von gele gentlichem Geigenunterricht abgesehen, eigentlich Autodidakt, vereinte in seiner Per son, „was andere vereinzelt auszeichnete: einen hinreißend ausdrucksvollen Vortrag, einen wunderbar großen und dabei doch der verschiedensten Stärkegrade sowie des man nigfaltigsten Timbres und Kolorits fähigen Ton, ein zauberhaftes, wie in Sphärenklängen ver hallendes Flageolett, Gegensätze im Legato und Stakkato, wie man sie vor ihm nicht ge kannt, doppelgriffige Gänge, die niemand außer ihm auszuführen vermochte, Pizzikatos, gleichviel, ob mit der rechten oder der linken Hand, deren springende Passagen jedem an deren Geiger den Hals gebrochen haben würden, und, außer seiner fabelhaften Technik, jene dämonische Leidenschaftlichkeit, die ihm allein eigen war. Sprang ihm eine Saite, ja zwei Saiten, so spielte er auf den übriggeblie benen, soweit es deren Umfang erlaubte, mit solcher Vollkommenheit weiter, daß der einge tretene Mangel selbst für den Kenner kaum hörbar wurde; auch stimmte er die Saiten, um gewisse besondere Effekte damit zu erreichen, nach Bedürfnis anders, als durch den Ge brauch vorgeschrieben war (ein Wiederauf leben der früheren Scordatura), und da er das Geschick besaß, eine Saite selbst wäh rend des Spiels unbemerkt einen halben Ton hinaufzuziehen, so begannen selbst manche ihm zuhörende Geiger an ein Wunder zu glauben. So steht dieser mysteriöse Mensch, der die seltsamste Mischung von Genialität und Scharlatanerie, von tiefstem, bis zu Trä nen rührenden Ausdruck und tollen diaboli schen Kunststücken in sich vereinigte, der täuschend jeden anderen Virtuosen wiederzu geben vermochte und dabei doch ein eigenes Spiel hatte, mit dem er niemand glich und alles übertraf, als ein Unikum in der Geschich te des Geigenspiels da" (Naumann/Schmitz). Da die Paganini-Zeit die extrem-subjektivisti sche Gefühlsbetonung liebte, vergötterte sie den genialen Einzelmenschen. Diesen Zeitgeist vertrat Paganini in typischster Weise, hatte er doch kein anderes Anliegen, als ein mög lichst großes Publikum durch sein Spiel zu faszinieren. Seine wichtigsten Kompositionen — nicht alle der unter seinem Namen laufen den Werke sind echt — sind die 24 Capricci für Violine solo op. 1, die Liszt, Schumann, Brahms, Rachmaninow, Casella, Dallapiccola, Blacher und Lutoslawski zu eigenen Kompo sitionen anregten, die Violinkonzerte op. 6 D-Dur und op. 7 h-Moll sowie zwölf Sonaten für Violine und Gitarre, Zeugnisse eines Schaffens, das aus engstem Zusammenhang mit Paganinis sensationellem Virtuosentum hervorging. Von den Violinkonzert en steht vor allem das heute erklingende unverwüstliche erste in D-Dur (1811) in der Gunst der Geiger unserer Tage. Naturgemäß interessieren uns heute an dem Werk nicht so sehr die musikali sche Substanz oder satztechnische Gestaltung (das Orchester ist zumeist „dürftig" behandelt, damit der Solist um so mehr hervortreten kann), sondern vor allem die auf die Spitze getriebene Virtuosität des Soloparts. Dieser nämlich ist mit allen Kunststücken ausgestat tet, mit denen Paganini seine Zeitgenossen begeisterte: Doppelgriffe in verschiedensten Lagen, Pizzikati der linken Hand und raffi nierte Springbogenpassagen, Flageoletts, das bravouröse Spiel auf einer Saite. Dennoch ist das Konzert nicht nur eine brillante Anein anderreihung geigentechnischer Aufgaben und Effekte, auch die Musik kommt durchaus zu ih rem Recht. Man denke an das innig-schlichte zweite Thema des ersten Satzes (Allegro mae stoso), das nach dem markanten ersten Thema bereits in der Orchestereinleitung vorgestellt wird, ehe sich das Soloinstrument der The men spielerisch-virtuos bemächtigt, oder an das cantable Adagio espressivo, das mit sei nem opernhaften Anklang an Rossini erinnert. Das Rondo-Finale (Allegro spirituoso) aller dings dient weitgehend virtuosen Zwecken, obwohl auch hier das thematische Material prägnant ist. Peter Tschaikowski schuf einschließ lich der Programmsinfonie „Manfred" sieben Sinfonien. Die 2. Sinfonie in c-Moll o p. 17, die sehr selten in unseren Konzert sälen zu hören ist, entstand während eines Sommeraufenthaltes in der Ukraine. Tschai kowski wohnte damals auf dem Gut Kamenka bei Kiew, bei der Familie seiner Schwester. Hier fand er Gelegenheit, die Eigenart des ukrainischen Volksliedes zu studieren. Ein flüsse dieser Begegnung mit der ukrainischen Folklore zeigen mehrere in jener Zeit entstan dene Kompositionen wie die Oper „Wakula der Schmied", das 2. Quartett, das Klavierkonzert Nr. 1 und die 2. Sinfonie, die einst von den Zeitgenossen Tschaikowskis mit großer Zu stimmung aufgenommen wurde. Als der Kom ponist sie 1872 im Hause Rimski-Korsakows vor trug, riß ihn „die ganze Gesellschaft", unter VORANKÜNDIGUNG: Nach dem Konzert am 19. Februar 1983 findet in den Klubräumen der Dresdner Philharmonie (2. Oberge schoß, links) ein Besuchergespräch zu Jörg Herchets Komposition 1 für Orchester statt. Die Garderobe ist bitte unmittelbar nach Konzertende abzuholen. der sich auch Meister wie Mussorgski und Bo rodin befanden, „fast in Stücke vor Begeiste rung", wie der Komponist seinem Bruder mit teilte. Der Beifall des Publikums konnte jedoch Tschaikowski nicht davon abhalten, sein Werk 1879 einer ausfeilenden Bearbeitung zu un terziehen. In dieser endgültigen Fassung — besonders der erste Satz wurde einschneidend verändert — erklingt die Sinfonie heute. Den ersten Satz, einen Sonatensatz, eröffnet eine langsame Einleitung (Andante sostenuto), deren thematische Grundlage die ukrainische Version des russischen Volksliedes „Mütter chen Wolga“ bildet. Ein energievoll-stürmisches Hauptthema kennzeichnet das anschließende Allegro vivo. Auch ein schwermütiger SeitjH gedanke spielt eine gewisse Rolle. Die Tl^^ men des Allegroteiles und der Einleitung lie fern das Material der dramatischen Durchfüh rung. Mit dem Volksliedthema der langsamen Einleitung schließt der Satz in verhaltener Stimmung. Der zweite Satz (Andantino marciale quasi moderato) erweist sich als ein grotesker Marsch, dessen Hauptthema Tschaikowski seiner eigenhändig vernichteten Jugendoper „Undine" entnahm. Auch hier begegnet ein zweiter musikalischer Gedanke, dessen vor wiegend melodische Anlage breit ausgespon nen wird. Dem ariosen Mittelteil liegt wieder ein russisches Lied zugrunde. In sprühender Bewegung läuft das Scherzo (Allegro molto vivace) vor dem Hörer ab. Für das Trio benutzte Tschaikowski ein ukraini sches Scherzlied. Wie in seiner 1. und 4. Sin fonie stellt sich auch das Finale seiner „Zwei ten" als die farbenprächtige Schilderung eines Volksfestes dar. Thematisch wird der Satz in erster Linie von dem ukrainischen Tanzlied „Der Kranich" getragen, dem sich später ein lyrischer Gedanke hinzugesellt. Ein tempera mentvoll dahinwirbelnder Volkstanz krönt Sinfonie. Dr. Dieter Härtwig Sonnabend, den 19. März 1983, 20.00 Uhr (Anrecht A 1) Sonntag, den 20. März 1983, 20.00 Uhr (Anrecht A 2) Festsaal des Kulturpalastes Dresden Einführungsvorträge jeweils 19.00 Uhr Dr. habil. Dieter Härtwig 7. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Michel Plasson, Frankreich Solist: Ilja Grubert, Sowjetunion, Violine Werke von Beethoven und Berlioz Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dipl.-Phil. Sabine Grosse Spielzeit 1932 83 — Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Druck: GGV, Prod.-Stätte Pirna 111-25-12 ItG 009-8-83 EVP: —,25 M 6. PHILHARMONISCHES KONZERT 1 982/83