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Ansiedlung der Fabel, die Menschen der Ent stehungszeit, des Entstehungslandes interes siert, bewegt. Dabei kann es sich an einzelne Altersgruppen wenden, an einzelne soziale Gruppierungen, muß aber deren Standpunkt allgemeinverständlich ausdrücken. Dabei müs sen wir uns von der überholten Anschauung ab kehren, das Musical sei „heiteres Musikthea ter". Werke wie „West Side Story", „Der Mann von La Mancha", „Alexis Sorbas" oder „Caba ret" behandeln sehr ernste Themen. 2. Die Musik muß sich der Formsprache ihrer Zeit bedienen, auch auf die Gefahr hin, in zehn Jahren unmodern zu sein. Sie muß dem Musik verständnis und dem musikalischen Geschmack des Publikums angepaßt sein, denn sie will vermitteln, hat eine dramaturgische Funktion. Der Komponist Harold Rome: „Im Musical ha ¬ ben alle Lieder der Lösung des Problems, wie man dem Publikum am besten eine Geschichte erzählt, zu dienen." Musiziert, gesungen, ge tanzt wird im Musical dann, wenn das gespro chene Wort nicht ausreicht, einen Sachverhalt, ein Anliegen deutlich zu machen. 3. Das Musical kennt keine Klischees, weder im dramaturgischen Aufbau (Gliederung in drei oder fünf Akte) noch in der Besetzung (Sänger-Sängerin, Buffo-Soubrette). Es wählt sich seine Form und sein Personal nach den Erfordernissen der zu erzählenden Geschichte. Das Musical ist in ewiger Veränderung. Deshalb erhebt auch diese Aufzählung keinen Anspruch auf Vollständigkeit, auch nicht den auf dauernde Gültigkeit. Das kann mora^? schon ganz anders sein. Die Komponisten und ihre Werke IRVING BERLIN, mit dem Namen Israel Baline am 11. Mai 1888 in der sibirischen Stadt Temun geboren, ist der „große alte Mann" der amerikanischen Musical szene. Nachdem sein Vater, Kantor Moses Baline, ge schreckt durch ein furchtbares Pogrom, in die USA ge flüchtet war, begann für Irving, wie er sich später nannte, ein Lebenslauf, der exemplarisch für die Phrase „Vom Tellerwäscher zum Millionär" sein könnte. Zeitungsjunge, Kellner, Kneipensänger — das sind die ersten Stationen. Dann beginnt der Autodidakt mit dem Komponieren und landet 1911 mit „Alexanders Ragtime Band" einen Welt schlager. „Als armer junger Schlucker", erzählte Berlin, „nahm ich mir vor, Musik zu studieren, sobald ich es mir leisten könnte. Aber ehe ich das löbliche Vorhaben aus führen konnte, war ich ein gefeierter Komponist." Er selbst verstand sich aber immer als Song-Schreiber und zögerte lange, die Partitur für ein abendfüllendes Stück zu schreiben. Der Tod seines Kollegen Jerome Kern zwang ihn quasi, dessen Projekt „Annie Get Your Gun" auszuführen. Die Uraufführung 1946 brachte Berlin in die erste Reihe der Musical-Komponisten. Es folgten: „Miss Liberty" (1949), „Call Me Madam" (1950) und „Mr. Pre sident" (1962). Von Irving Berlins ungezählten Schla gern geht gerade in diesen Tagen wieder „White Christ- mas" um die Welt. LEONARD BERNSTEINs Ruhm ist zweigeteilt, die Musik welt schätzt ihn als Komponisten wie als Dirigenten. Daß er nebenher noch engagierter Erzieher (Fernsehserien für Jugendliche) und geistvoller Musikschriftsteller („The Joy of Music") ist, unterstreicht seine Vielseitigkeit. Der am 25. August 1918 als Sohn russischer Emigranten in Lawrence, Massachusetts, Geborene verschrieb sich mit 10 Jahren der Musik, studierte in Boston und an der Harvard-Universität, wurde Hilfskapellmeister bei den New Yorker Philharmonikern. Als er 1943 ohne Probe ein Konzert für den erkrankten Bruno Walter übernahm, be gründete er seinen Weltruf als Dirigent. Als Komponist war für ihn die Zusammenarbeit mit dem Choreographen Jerome Robbins von Bedeutung. Jedes seiner Werke, ob Sinfonie oder Musical, zeigt starke tänzerische Impulse, zwingt gleichsam zum Tanzen. So verdankt die „West Side Story" — eine moderne Romeo-und-Julia-Adaption — ihren Welterfolg in erster Linie den expressiven Ballett szenen. Das ein Jahr zuvor (1956) entstandene Musical „Candide", zu dem Lilian Hellman das Buch nach Vol taires Roman schrieb, hatte zwar nicht diesen großen Publikumserfolg, gilt aber bei Kennern als das geist reichste Musikwerk, das je für den Broadway geschrieben wurde. FREDERICK LOEWE nahm diesen amerisanisierten Na men an, als ihm seine Versuche, in den USA an einige europäische Schlagererfolge anzuknüpfen, nicht glücken wollten. Eigentlich hieß der am 10. Juni 1904 in Wien geborene Sohn eines Operettentenors schlicht Fritz Löwe. Aber seine Musik wurde durch den neuen Namen nicht amerikanischer. Er mußte sich in den verschiedensten Berufen herumschlagen, u. a. als Cowboy, Preisboxer und Schlachtvieh-Punzierer, bis er wieder mit einigem Erfolg zur Musik zurückfand. Die 1942 begonnene Zusam menarbeit mit Allan Jay Lerner als Texter brachte zu nächst auch nicht den großen Durchbruch. „What’s (1943) und „The Day Before Spring" (1945) erlebten wenige Vorstellungen. Erst „Brigadoon" ebnete den bei den 1947 den Weg zum Broadway. Nach dem ebenfalls nicht sehr erfolgreichen „Paint Your Wagon" (1951) schlug dann am 15. März 1956 die große Stunde: Urauf führung von „My Fair Lady", eine Sensation, die sich bis heute nicht wiederholt hat. Auch spätere Werke des Autoren-Teams — „Camelot“ (1960) und „Gigi“ (1973) — konnten da nichts aufholen, so daß die Meinung bestä tigt wird, der eigentliche Genius der „Lady" sei doch George Bernard Shaw, dessen Komödie „Pygmalion" die Fabel hergegeben hat. GUIDO MASANETZ, geboren am 17. Mai 1914 in Friedek (Frydek-Mistek, CSSR), wollte zunächst Konzertpianist werden, absolvierte dann ein Kompositionsstudium in Plzen. Von 1945 bis 1948 war er Theaterkapellmeister in Zittau, von 1951 bis 1953 musikalischer Oberleiter des Staatlichen Volkskunstensembles der DDR. Seitdem lebt er als freischaffender Komponist. Zum heiteren Musik theater kam er durch den Librettisten und Musikschrift steller Otto Schneidereit, der ihm ein Stück „Wer braucht Geld?“ zur Vertonung anbot. Die Premiere am 17. No vember 1956 am Metropol-Theater Berlin war ein Miß erfolg. Das Publikum stand der hier gezeigten Welt der Bootleggers in den USA doch zu fremd gegenüber. Erst eine Bearbeitung des Stückes durch Maurycy Janowsky mit gründlicher Straffung, besserer Charakterisierung der vorher sehr typenhaft angelegten Figuren sicherte dem Stück, das 1962 erneut am Metropol-Theater heraus kam, jetzt unter dem Titel „In Frisco ist der Teufel los“, den Erfolg, der ihm bis heute treu geblieben ist. Masa- netz beschäftigte sich intensiv mit außereuropäischen Musikkulturen. Zeugnisse sind seine frühe Oper „Der Wundervogel“ (uraufgeführt an den Landesbühnen Sach sen) nach chinesischen Motiven und das Musical „Va- santasena“, zu dem Peter Ensikat nach dem altindischen * „Mritschakatika" (Tonwägelchen) von Schudraka Libretto schrieb. GERD NATSCHINSKI ist zweifellos der erfolgreichste Komponist des heiteren Musiktheaters in der DDR. Sein Musical „Mein Freund Bunbury“ (nach Oscar Wilde) erzielte seit der Uraufführung 1964 Serienerfolge in meh reren Ländern und erlebte an vielen Bühnen bereits Remakes. Natschinski wurde am 23. August 1923 in Chem nitz geboren, studierte Musik in Dresden, Leipzig und Berlin (u. a. bei Hanns Eisler). Sein Schaffen umfaßt Kinder- und Jugendlieder, Tanzmusiktitel, Chansons, Filmmusiken (u. a. „Meine Frau macht Musik") und vor allem Bühnenwerke. Erstling war 1960 die Operette „Messeschlager Gisela“, es folgte „Servus Peter“ (1961). Die späteren Stücke „Terzett“ (1974), „Casanova“ (1976) und „Das Dekamaronical“ (1979) werden von vielen Theatern mit gutem Publikumszuspruch gespielt, konn ten aber die Wirkung von „Mein Freund Bunbury“ nicht wiederholen. Natschinskis jüngstes Werk „Ein Fall für Sherlock Holmes“ wurde 1982 in Erfurt uraufgeführt. COLE PORTER, geboren am 9. Juni 1893 in Peru, Indiana, war, wie er selbst sagte, zeitlebens ein professioneller Amateur. In sagenhaftem Reichtum aufgewachsen, hatte er es nie nötig, um des Geldes willen zu schreiben. Er führte das Leben eines Playboys, pendelte zwischen sei nem Appartement im New Yorker Waldorf Astoria und seinen Besitzungen an der Riviera, studierte Jura, saß aber mehr in musikwissenschaftlichen Kollegs. Das Schreiben von Songs und Songtexten betrieb er als Hobby, aber mit Genie, Leidenschaft und Ernsthaftigkeit. Er experimentierte mit überlieferten Formen, durchbrach Schemata. Seine Weltschlager „Begin The Beguine“ (aus dem Musical „Jubilee“ 1935) und „Night And Day“ sind mit der gleichen Meisterschaft gebaut wie klassi sche Sonaten. Porter schrieb die Musik zu 22 Filmen und 21 Musicals, von denen das 1948 uraufgeführte „Kiss Me Kate“ (nach Shakespeares „Der Widerspenstigen Zäh mung“) sicher das beste ist. Seit 1937 durch einen Unfall schwer behindert, 1958 beinamputiert, arbeitete er vom Bett und Rollstuhl mit Besessenheit und unverminderter Frische an seinen Stücken, z. B. an „Can Can“ mit dem Welt-Hit „Ganz Paris träumt von der Liebe". Als er am 16. November 1964 starb, äußerte einer seiner Bewun derer: „Dieser Mann war eine Schule in sich, eine Schule ohne Schüler. Andere Song-Schreiber mag man imitieren können, aber nicht Cole Porter." de« O)w8diiw QdlullKimiUULL^ i cdlt gjudbuL