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Gustav Mahler: Das Lied von der Erde Aus dem Chinesischen übertragen von Hans Bethge Das Trinklied vom Jammer der Erde Schon winkt der Wein im gold’nen Pokale, Doch trinkt noch nicht, erst sing* ich euch ein Lied! Das Lied vom Kummer Soll auflachend in die Seele euch klingen. Wenn der Kummer naht, Liegen wüst die Gärten der Seele, Welkt hin und stirbt die Freude, der Gesang. Dunkel ist das Leben, ist der Tod. Herr dieses Hauses! Dein Keller birgt die Fülle des goldenen Weins! Hier, diese Laute nenn’ ich mein! Die Laute schlagen und die Gläser leeren, Das sind die Dinge, die zusammen passen. Ein voller Becher Weins zur rechten Zeit Ist mehr wert, als alle Reiche dieser Erde! Dunkel ist das Leben, ist der Tod. Das Firmament blaut ewig, und die Erde Wird lange fest steh’n und aufblühn im Lenz. Du aber, Mensch, wie lange lebst denn du? Nicht hundert Jahre darfst du dich ergötzen An all dem morschen Tande dieser Erde! Seht dort hinab! Im Mondschein auf den Gräbern Hockt eine wild-gespenstische Gestalt — Ein Aff’ ist’s! Hört ihr, wie sein Heulen Hinausgellt in den süßen Duft des Lebens! Jetzt nehmt den Wein! Jetzt ist es Zeit, Genossen! Leert eure gold’nen Becher zu Grund! Dunkel ist das Leben, ist der Tod I Der Einsame im Herbst Herbstnebel wallen bläulich überm See; Vom Reif bezogen stehen alle Gräser; Man meint, ein Künstler habe Staub von Jade über die feinen Blüten ausgestreut. Der süße Duft der Blumen ist verflogen; Ein kalter Wind beugt ihre Stengel nieder. Bald werden die verwelkten, gold’nen Blätter Der Lotosblüten auf dem Wasser zieh’n. Mein Herz ist müde. Meine kleine Lampe Erlosch mit Knistern, es gemahnt mich an den Schlaf. Ich komm’ zu dir, traute Ruhestätte! Ja, gib mir Ruh’, ich hab’ Erquickung not! Ich weine viel in meinen Einsamkeiten. Der Herbst in meinem Herzen währt zu lange. Sonne der Liebe, willst du nie mehr scheinen, Um meine bittern Tränen mild aufzutrocknen? Von der Jugend Mitten in dem kleinen Teiche Steht ein Pavillon aus grünem Und aus weißem Porzellan. Wie der Rücken eines Tigers Wölbt die Brücke sich aus Jade Zu dem Pavillon hinüber — In dem Häuschen sitzen Freunde, Schön gekleidet, trinken, plaudern. Manche schreiben Verse nieder. Ihre seidnen Ärmel gleiten Rückwärts, ihre seidnen Mützen Hocken lustig tief im Nacken. Auf des kleinen Teiches stiller Wasserfläche zeigt sich alles Wunderlich im Spiegelbilde. Alles auf dem Kopfe stehend In dem Pavillon aus grünem Und aus weißem Porzellan; Wie ein Halbmond steht die Brücke, Umgekehrt der Bogen, Freunde, Schön gekleidet, trinken, plaudern. Von der Schönheit Junge Mädchen pflücken Blumen, Pflücken Lotosblumen an dem Uferrande. Zwischen Büschen und Blättern sitzen sie, Sammeln Blüten in den Schoß und rufen Sich einander Neckereien zu. Gold’ne Sonne webt um die Gestalten, Spiegelt sie im blanken Wasser wider. Sonne spiegelt ihre schlanken Glieder, Ihre süßen Augen wider, Und der Zephir hebt mit Schmeichelkosen Das Gewebe ihrer Ärmel auf, Führt den Zauber Ihrer Wohlgerüche durch die Luft. O sieh, was tummeln sich für schöne Knaben Dort an dem Uferrand auf mut’gen Rossen, Weithin glänzend wie die Sonnenstrahlen; Schon zwischen dem Geäst der grünen Weiden Trabt das jungfrische Volk einher! Das Roß des einen wiehert fröhlich auf Und scheut und saust dahin, über Blumen, Gräser wanken hin die Hufe, Sie zerstampfen jäh im Sturm die hingesunk’nen Blüten. Hei! Wie flattern im Taumel seine Mähnen, Dampfen heiß die Nüstern! Gold’ne Sonne webt um die Gestalten, Spiegelt sie im blanken Wasser wider. Und die schönste von den Jungfrau’n sendet Lange Blicke ihm der Sehnsucht nach. Ihre stolze Haltung ist nur Verstellung. In dem Funkeln ihrer großen Augen, In dem Dunkel ihres heißen Blicks Schwingt klagend noch die Erregung ihres Herzens nach. Der Trunkene im Frühling Wenn nur ein Traum das Leben ist, Warum denn Müh und Plag’!? rinke, bis ich nicht mehr kann, ganzen, lieben Tag! Und wenn ich nicht mehr trinken kann, Weil Kehl’ und Seele voll. So tauml’ ich bis zu meiner Tür Und schlafe wundervoll! Was hör ich beim Erwachen? Horch! Ein Vogel singt im Baum. Ich frag’ ihn, ob schon Frühling sei, Mir ist als wie im Traum. Der Vogel zwitschert: ja! Der Lenz ist da, sei kommen über Nacht! Aus tiefstem Schauen lauscht’ ich auf. Der Vogel singt und lacht! Ich fülle mir den Becher neu Und leer’ ihn bis zum Grund Und singe, bis der Mond erglänzt Am schwarzen Firmament! Und wenn ich nicht mehr singen kann, So schlaf’ ich wieder ein, Was geht mich denn der Frühling an!? Laßt mich betrunken sein! Der Abschied Die Sonne scheidet hinter dem Gebirge. In alle Täler steigt der Abend nieder Mit seinen Schatten, die voll Kühlung sind. O sieh! Wie eine Silberbarke schwebt Der Mond am blauen Himmelssee herauf. Ich spüre eines feinen Windes Weh’n Hinter den dunklen Fichten! Der Bach singt voller Wohllaut durch das Dunkel. Die Blumen blassen im Dämmerschein. Die Erde atmet voll von Ruh’ und Schlaf, Alle Sehnsucht will nun träumen. Die müden Menschen geh'n heimwärts, Um im Schlaf vergeß’nes Glück Und Jugend neu zu lernen! Die Vögel hocken still in ihren Zweigen. Die Welt schläft ein! Es wehet kühl im Schatten meiner Fichten. Ich steh hier und harre meines Freundes; Ich harre sein zum letzten Lebewohl. Ich sehne mich, o Freund, an deiner Seite Die Schönheit dieses Abends zu genießen. Wo bleibst du! Du läßt mich lang allein! Ich wandle auf und nieder mit meiner Laute Auf Wegen, die vom weichen Grase schwellen. O Schönheit! O ewige Liebes-Lebens-trunk’ne Welt! Er stieg vom Pferd und reichte ihm den Trunk Des Abschieds dar. Er fragte ihn, wohin er führe Und auch, warum es müßte sein. Er sprach, seine Stimme war umflort: Du, mein Freund, Mir war auf dieser Welt das Glück nicht hold! Wohin ich geh’? Ich geh’, ich wand’re in die Berge. Ich suche Ruhe für mein einsam Herz. Ich wandle nach der Heimat, meiner Stätte. Ich werde niemals in die Ferne schweifen. Still ist mein Herz und harret seiner Stunde! Die liebe Erde allüberall Blüht auf im Lenz und grünt aufs neu! Allüberall und ewig blauen licht die Fernen! Ewig . . . ewig . . .