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ZUR EINFÜHRUNG Das 1910 in Paris durch das Djagilew-Ballett uraufgeführte Ballett „Der Feuervo gel" gehört zu den beliebtesten Schöpfun gen Igor Strawinskys, des am 6. April 1971 im Alter von 89 Jahren in New York verstorbenen Meisters. Die aus diesem Werk zusammengestellte Konzertsuite hat wegen ihres bestrickenden Klangzaubers und ihrer lyrischen Verhaltenheit, die mit barbari scher Wildheit wechselt, einen Stammplatz im Repertoire vieler Orchester der Welt errungen. Von der Suite gibt es drei Fassungen: die von 1910 für sehr großes Orchester, die heute er klingende von 1919 für mittleres Orchester, ganz dem Zuge der Sparsamkeit nach dem er sten Weltkrieg und der Entwicklung Strawins kys folgend, und die von 1945 für normales Orchester mit eigenen Instrumentationsretu schen. Die Fabel des Balletts folgt einem russischen Märchen vom Prinzen Iwan, der im Zaubergar ten des Menschenfressers Kaschtschei dem Feuervogel begegnet, ihn einfängt und gegen Überlassung einer Feder wieder freiläßt. Ge fangene Prinzessinnen tanzen im mondbe schienenen Park, Prinz Iwan verliebt sich in eine von ihnen, der er trotz aller Warnungen ins Schloß folgen will. Der Zauberer Kasch tschei tritt ihm entgegen, um ihn in Stein zu verwandeln. Der durch die Feder herbeigeru fene Feuervogel verrät dem Prinzen das Le bensgeheimnis des Zauberers. Der Prinz tötet ihn und befreit dadurch alle Gefangenen und Verzauberten. Die geliebte Prinzessin ist eine Zarentochter, mit der er sich verlobt. Die Suite gibt die wichtigsten Episoden des Balletts wieder. Die Introduktion (Einleitung) läßt den Zaubergarten aufblühen. Eine Figur wächst aus dunkler Tiefe (Violoncello, Kontra bässe) zu einer lyrischen Melodie der Oboe. Die Farbigkeit, durch eine zauberhafte Instru mentation hervorgerufen, versetzt den Hörer sofort in eine märchenhafte Stimmung. Ein bunter Vogel, der Feuervogel, schwirrt plötzlich in diesem Zaubergarten umher. Das Schwir ren, durch spielerische Figuren zweier Flöten und einer Klarinette, durch Tremoli und das Pizzicato der Streicher, durch Glissandi des Klaviers und der Harfe unterstrichen, ist mu sikalisch äußerst suggestiv gestaltet. In einem Pas de deux (Tanz zu zweien) wird die Begeg nung des Prinzen, mit dem Feuervogel ge schildert. Dann tanzen die verzauberten Prin zessinnen (Scherzo). Ein Rondo erzählt von der aufkeimenden Liebe des Prinzen zu der schönsten Prinzessin. Hier hat Strawinsky eine Oboenmelodie von anmutiger Süße geschaf fen. Ihr steht eine Violinmelodie von ähnlicher Lieblichkeit und lyrischer Verhaltenheit zur Seite. Aber der Zauberer Kaschtschei bannt zu nächst alle in seine höllischen Fänge; der barbarisch-wilde Tanz, in dem, nach einem Wort Debussys, die „rhythmische Gewaltherr schaft" der Musik beginnt, hat etwas Brutales an sich, durch Schlagzeugpassagen und syn kopische Melodiefetzen gekennzeichnet. Hier sind die Ansätze, die später im „Sucre du Printemps" zur Vorherrschaft gelangen, die den Rhythmus in den Vordergrund rück^^ Strawinsky läßt auf dieses entfesselte ein Wiegenlied des Feuervogels folgen, das nicht nur durch den gewaltigen Kontrast, son dern auch durch den bestrickenden Liebreiz der Melodie (Fagott) einen tiefen Eindruck hervorruft. Eine Hymne krönt die Ballettsuite, 'n der er allen moskowitischen Prunk und Reichtum aufleuchten läßt, so wie ihn auch viele der alten Märchen Rußlands enthalten. Die Hornmelodie steigt über die Violinen und Flöten immer höher empor, wird immer rei cher harmonisiert und immer verführerischer 'm Klang ausgestattet. Sie wird metrisch vom Drei-Halbe-Takt zum Sieben-Viertel Takt um gewandelt, und vor der endgültigen Steige rung werden durch Klavier- und Harfenakkor de, durch Pauken und tiefste Instrumente Glockeneffekte erzielt. Musikalisch wird der Eindruck einer gewaltigen, feierlich-großarti gen Prozession im alten Rußland hervorgeru fen. Strawinsky ist in diesem Werk Folklorist, nicht nur, weil seine Melodien Volksliedcharakter haben, sondern auch, weil die Harmonik so spezifisch russisch ist, der Klang (trotz aller impressionistischen Anklänge, die aber auch bei Rimski-Korsakow zu finden sind) den Z^B ber des Rußlands der alten Märchen schwört und der Rhythmus die Kraft dieses großartigen Landes und Volkes zum Ausdruck bringt. Die Feuervogel-Suite wurde anstelle des ur sprünglich vorgesehenen Klavierkonzertes von Arnold Schönberg in das Programm aufge nommen, da der verpflichtete Solist, Roger Woodward (Australien), absagte. Nach Beendigung der „Sinfonie der Tausend", der 8. Sinfonie, schuf Gustav Mahler im Sommer des Jahres 1908 sein „Lied von der Erde". Der Komponist bezog dieses als „Sinfonie für eine Tenor- und eine Alt stimme mit Orchester" bezeichnete Werk aus einer gewissen abergläubischen Angst vor der schicksalhaft-verhängnisvollen „Neunten" her aus numerierungsmäßig nicht, in die Reihe sei ner Sinfonien ein, obwohl er den großen, sechsteilig angelegten Zyklus von Sologesän gen ausdrücklich als sinfonische Schöpfung gewertet wissen wollte. Die Texte dieser erst nach seinem Tode, im November 1911, unter der Leitung Bruno Walters in' München urauf geführten „Liedsinfonie" hatte Mahler einem (1908 unter dem Titel „Die chinesische Flöte“ erschienenen) Sammelband altchinesischer Ly rik in deutschen Übertragungen Hans Bethges ajtnommen. Vier der daraus ausgewählten ®htungen stammen von dem hochberühmten cninesischen Dichter Li-Tai-Po, die übrigen von drei bei uns weniger bekannten Lyrikern; Mahler nahm jedoch an vielen Stellen kleine Änderungen und Hinzufügungen vor, die z. T. für den Grundcharakter durchaus wesentlich sind (so wurden beispielsweise die Schluß worte von ihm selbst verfaßt). Gustav Mahler schrieb das „Lied von der Er de“, nachdem er erfahren hatte, daß eine schwere Herzkrankheit sein Leben bedrohte; er schrieb das Werk in einer Stimmung, die ihm das Leben mit erhöhtem Glanz verklärt erscheinen und ihn gleichzeitig in der Weh mut des Wissens um ein baldiges Scheiden müssen Töne menschlich ergreifender Trau rigkeit finden ließ. „Ein großes Lebewohlsa gen, einen Abschied von Jugend, Schönheit und Freundschaft" nannte er dieses Werk. Gewiß sprechen aus diesem Lebewohlsagen auch Müdigkeit und Resignation, Bitterkeit und Weltschmerz — das ist unüberhörbar, aber doch nur zu begreiflich, wenn man be denkt, von welcher Welt, von welcher Zeit Mahler hier rückschauend Abschied nahm, welche Enttäuschungen und Schmerzen er ^hpchlebt hatte. Und immer wieder klingt auch ^^r durch dunkle Schwermut, Trauer und Ver zweiflung hindurch, wie stark sich der Kompo nist trotz allem zum Leben bekannte, wie sehr er die Erde, die Natur, alle Freuden des menschlichen Daseins liebte, wie unsagbar schwer ihm der Abschied fiel. Stilistisch ist das „Lied von der Erde" gekennzeichnet durch eine maßvolle Zurückhaltung in der Verwen dung der musikalischen Mittel. Der Orche stersatz erreicht stellenweise eine geradezu kammermusikalische, den Klangcharakter der einzelnen Instrumente betonende Durchsich tigkeit. Die nur durch eine selbständige Or chesterüberleitung zwischen dem fünften und dem sechsten Gesang unterbrochene Folge der sechs abwechselnd einer Tenor- und einer Altstimme anvertrauten Orchesterlieder, die z. T. strophisch gestaltet, z. T. frei durchkom poniert sind, zeigt eine Anordnung im Sinne sinfonischer Entwicklung. Große gestalterische Kraft, Konzentration und Prägnanz des Ausdrucks läßt gleich das zwin gende, gedrängte erste Stück des Zyklus, das dreistrophige „Trinklied vom Jammer der Er de" erkennen, das durch ein stimmungsmäßi ges Schwanken zwischen tiefster Melancholie, kraftvoll, wildem Aufbegehren, und verzweifel tem Übermut mit grotesk-phantastischen, glü hend ekstatischen Zügen charakterisiert ist. „Etwas schleichend, ermüdet“ steht über dem sehr verinnerlichten, in Rondoform gearbeite ten Satz, „Der Einsame im Herbst" betitelt, über gedämpften, gleichmäßigen Streicher klängen ertönt zuerst elegischer Oboenge sang, dann die Klage der Altstimme; die glei tende Melodik weist eine leicht pentatonische Färbung auf. Bildhafte Anmut, Beschwingtheit und Leichtigkeit zeichnen den folgenden Ge sang („Von der Jugend") aus, ein reizendes, gläsern-transparentes Genrestück von subtiler Farbgebung, apartem Reiz. Ein leicht exoti- sierender Klangstil wird auch im vierten Satz, „Von der Schönheit" genannt, bemerkbar, wo bei hier in der Instrumentation zwei Harfen und eine Mandoline hervortreten. Dieses stärkere rhythmische Impulse aufweisende, sprühende Lebensfreude ausströmende Stück klingt nach einer großen Steigerung im mitt leren Teil ganz zart und sensibel aus. An die Atmosphäre des Anfangs erinnert der fünfte, wild und keck einsetzende Teil, „Der Trunkene im Frühling“. Auch hier wieder Wechsel der Stimmungen, Wechsel zwischen. Trotz und Gleichgültigkeit, auflachendem Übermut und lyrisch-weltschmerzlichen Wendungen. Erschüt ternde Traurigkeit, tiefste Melancholie prägen nach all den bunten, verschiedenfarbigen Bil dern des Lebens, die in den vorangegange nen Stücken gezeichnet wurden, in stärkster Stimmungsgewalt den Charakter des Schluß satzes. Bereits dem äußeren Umfang nach übertrifft dieser als Hauptstück des Ganzen aufzufassende „Abschied" bei weitem alle übrigen Teile, bildet in seiner poetischen Kraft, seiner großlinigen Architektur aber auch den wirklichen musikalischen Höhepunkt. „Gänzlich ersterbend", in dreifachem Pianis- simo — vom Moll des Anfangs nach Dur auf gehellt — wird das Werk beschlossen. Dr. habil. Dieter Härtwig