Volltext Seite (XML)
ZUR EINFÜHRUNG Friedrich Schenker, 1942 in Zeulen roda geboren, studierte seit 1961 an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler" in Ber lin Posaune bei H. Stachowiak und Komposition bei Günter Kochan, wurde 1964 Soloposaunist im Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig und setzte gleichzeitig sein Kompositionsstudium an der Leipziger Musikhochschule bei Fritz Geißler fort, das er 1967 mit dem Staatsexa men abschloß. 1973/75 war er Meisterschüler Paul Dessaus an der Akademie der Künste der DDR. 1971 erhielt er für sein Fagottkonzert, das 1975 von den Dresdner Philharmonikern uraufgeführt wurde, den Carl-Maria-von-We- ber-Preis der Stadt Dresden, 1975 den Hanns- Eisler-Preis. Seit 1970 ist er Mitglied der von ihm mitbegründeten Gruppe „Neue Musik Hanns Eisler“ und ist als einer der fähigsten Vertreter der mittleren Komponistengeneration unseres Landes mit zahlreichen, ebenso gesell schaftlich engagierten wie kompositionstech nisch progessiven, um nicht zu sagen avant gardistischen Werken verschiedenster Genres hervorgetreten. Schenkers Sinfonie „In m e m o r i a m Martin Luther King", 1969/70 kompo niert, wurde am 14. und 15. Januar 1972 von den Dresdner Philharmonikern unter Kurt Masur uraufgeführt und löste seinerzeit wider sprüchlichste Publikumsreaktionen, aus. Nun stellen wir das Werk, das sich mittlerweile als bedeutsames Zeugnis der neueren DDR-Sin- fonik ausgewiesen hat und von Herbert Kegel mit dem Leipziger Rundfunk-Sinfonieorchester 1974 für Eterna als Schallplatte eingespielt wurde, nach reichlich 10 Jahren unseren Hörern erneut vor in der Überzeugung, daß Inhalt und Form dieses vitalen sinfonischen Erstlings nach wie vor aktuell sind und uns zur Ausein andersetzung veranlassen sollten. Frank Schneider äußerte u. a. über die Sinfonie: Ihr Untertitel „In memoriam Martin Luther King" benennt sie als ein Werk der Trauer und des Protestes. Sie knüpft an eine große Tradi tion programmatischer, bekenntnishafter Sin- fonik an, wie sie etwa durch Berlioz, Mahler, Berg, Hartmann bis hin zu Dessau markiert wird. Doch folgt sie weder den klassischen Form- und Gestaltungstypen noch den deskrip tiven Methoden der Programm-Musik. In va- riativer Reihung von klanglich und in der Faktur kontrastierenden Abschnitten baut Schenker einen durchgehenden, auf zwei Sätze verteil ten Spannungsbogen. Die verwirrende Fülle der klanglichen und thematischen Details, die wie erzählend ausgebreitet und stets neu ar tikuliert werden, erfährt nicht nur eine präzise und beziehungsvolle Formgliederung, sondern „hebt“ sich auch „auf“ in einer vereinheitli chenden und bedeutungsvollen melodischen Grundreihe: im Zitat, der Bearbeitung und der Variation der Lutherischen Choralweise „Ein feste Burg ist unser Gott" (1529). Durch diese symbolische Integration des kämpferischen, frühprotestantischen Massengesanges, seine verfremdende, kommentierende Aufarbeitung und die dazu „kontrapunktierte“ sinfonisd^ Gestik erhellt die Musik Adäquates von der^^ neren Problematik des mit dem Namen Kings verbundenen großen Gegenstandes und ver mag sie auch für den Hörer konkret im leiden schaftlichen Bekenntnis kritisch Stellung zu be ziehen. Die Schwierigkeiten der Komposition, das Ringen um brennenden Ausdruck, ihre bohrende, herausfordernde Haltung können bequeme Hörbedürfnisse wohl stören. Die Sinfonie ist jedoch nicht als Trauermusik schlechthin zu hören. Zwar zielt ihr Gegenstand auf die Tragik von Wirklichem; aber ihr Grund gestus meint den Einspruch dagegen, zielt auf die Entwicklung alternativer Haltungen von der leidvollen Anklage über zornigen, appellieren den Protest bis zur kämpferischen Agitation. Die Ermordung des bisher wohl bedeutendsten politischen Führers der nordamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, des Baptistenpfarrers, Friedensnobelpreisträgers und Theoretikers des gewaltlosen Widerstandes der Neger gegen die Rassenpolitik war der unmittelbare Anlaß zur Komposition und zum Versuch einer künst lerischen Auseinandersetzung mit einem der noch immer schandbarsten sozialen Konflikte in der Welt. Aber gerade die Intention des Sinfonischen, der Schenker nach klassisch^k Anspruch mehr folgt als nach Art und M^K haftet weder an den empirischen Zügen der vorgegebenen, noch an den Privatgefühlen der künstlerisch nachgestaltenden Persönlichkeit. Deren Aufgabe ist, die soziale Symbolik, die parteiliche Bedeutsamkeit der Figur und ihres Schicksals so als musikalischen Prozeß zu ge stalten, daß die verdichtete und disponierte Gestaltung davon schockierend betroffener Ge fühle und Gedanken den Hörer auch unmittel bar sinnlich provozieren und ihn zur Stellung nahme gegenüber dem aufgerufenen Problem bewegen kann. Im Schnittpunkt dieser drei Aspekte wird von künstlerischer Qualität — und dies ja wohl niemals abschließend — die Rede Heinrich Sutermeister: „Consolatio philosophiae" nach Versen des Boethius" Deutsche Übersetzung von Olof Gigon I. Der Weg der Wahrheit Quisquis profunda mente vestigat verum Cupitque nullis ille deviis falli, In se revolvat Intimi lucem visus Longosque in orbem cogat inflectens motus mumque doceat, quidquid extra molitur, s retrusum possidere thesauris. Dudum quod atra texit erroris nubes, Lucebit ipso perspicacius Phoebo. Haeret profecto semen introrsum veri Quod excitatur ventilante doctrina. II. Die Versuchungen Nubibus atris Condita. nullum Fundere possunt Sidera lumen. Si mare volvens Turbidus Auster Mesceat aestum, Vitrea dudum Parque serenis Unda diebus Mox resuluto Sordida caeno Visibus obstat. Quid tantos juvat excitare motus Et propria fatum sollicitare manu? Si mortem petitis, propinquat ipsa Sponte sua volucres nec remoratur equos. IV. Die Liebe Habet hoc voluptas omnis: Stimulis agit fruentes Apiumque par volantum, Ubi grata mella fudit, Fugit et nimis tenaci Ferit icta corda morsu. Wer tiefen Sinnes auf der Wahrheit Spuren geht, Wer nie auf falschen Wegen straucheln mag Der wende zu sich selbst des inneren Blickes Licht Den weiten Bogen zwingend, schließe er den Kreis; Er lehre seinen Geist: was draußen er gesucht, Besitzt er längst beschlossen in ureigenem Schatz; Was ihm des Irrtums schwarze Wolke lang verdeckt. Wird heller leuchten als selbst Phoebus’ Strahl. In seinem Innern schläft der Wahrheit Samen korn, Und von der Lehre angefacht, sprießt es hervor. Hüllen die dunklen Wolken die Sterne, Nimmer senden Freundliches Licht sie. Wälzt auf dem Meer sich Tobend der Südwind Brandung vermischend, Dann wird die Welle, Lieblich und klar erst Am heiteren Tage, Jetzt von des Schlammes Schmutziger Lösung Trübe sich zeigen. Was freut euch, zu erregen solches Toben, Daß ihr mit eigner Hand anlockt euer Geschick? Wie strebt ihr nach dem Tod? Der naht von selber, Freiwillig hemmt er nie sein geflügelt Gespann. Dies hat an sich das Vergnügen: Der Genuß birgt nur den Stachel, Wie der Schwarm der Bienen gibt es Süßen Honig, dann beflügelt Flieht’s und läßt den Widerhaken In dem tief getroffnen Herzen.