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Erläuterungen Richard Wagner (1813—1883), der größte Musikdramatiker, zugleich einer der umfassendsten Denker in der Geschichte der Menschheit überhaupt, hat für den Konzertsaal wenig geschrieben. Für den Konzertzweck sind am besten geeignet die Vor- und Zwischenspiele aus seinen Bühnenwerken. Ouvertüre zu „Der fliegende Holländer" Die Holländer-Ouvertüre ist ein Orchesterwerk von leidenschaftlicher Ausdrucksgewalt. Das gespenstische Holländermotiv beginnt und kehrt oft wieder. Die Schilderung der qualvollen Irrfahrten des zur Ruhelosigkeit verdammten holländischen Seefahrers nimmt den Hauptteil des Werkes ein. Inmitten klingt das tröstende Erlösungsmotiv der Senta herein, des Weibes, die ihn durch todbereite Treue vom Fluche löst; ferner auch einmal der Matrosenchor. Machtvoll entfaltet sich als Schlußkrönung der freudige Erlösungshymnus. cchanale aus „Tannhäuser" Wagner mußte seinen 1845 in Dresden zur Uraufführung gekommenen „Tannhäuser“ zur Erstaufführung in Paris im Jahre 1861 umarbeiten. Diese Umarbeitung besteht im wesentlichen in der Erweiterung der Venusberg-Musik, um Gelegenheit zu einer großen Ballettszene, wie sie der Franzose von alters her in jeder Oper und zwar stets in der Mitte der Oper sehen will, zu schaffen. Da Wagner den Gang des zweiten Aktes nicht sinnlos durch ein Ballett zerstören konnte, brachte er die streng aufgezwungene Ballettmusik an der ihm am geeignetsten er scheinenden Stelle: am Anfang der Oper, eben beim Venusberg an, was aber die Pariser bekanntlich so kränkte, daß sie den ganzen Tannhäuser ablehnten. Die Tanzorgie, das Bacchanale geht gleich aus der Tannhäuser-Ouvertüre hervor. Die Venusberg-Musik der Ouvertüre leitet im Bacchanale nicht in den Pilgerchor zurück, sondern wird weiter entwickelt. In reichen, farbenprächtigen Tonbildern wird die antike Lebens- und Sinnen freude am Hofe der Venus vorgeführt. Es herrscht im Bacchanale die sinnliche Glut des „Tristan“. Vorspiel zu „Die Meistersinger von Nürnberg" Das Meistersinger-Vorspiel von Richard Wagner kann man als das Fest-Vorspiel be zeichnen. Nicht nur eines von vielen, sondern das Muster. Die festlichen, wuchtigen Akkorde des Meistersingerthemas eröffnen. Die Sehnsuchtsmelodie Stolzings und die Fanfare der Meistersinger folgen. Stolzings Liebesseligkeit wird dann von dem in ver kleinerten Notenwerten erscheinenden Meisterthema abgelöst. Die Verkleinerung des Themas soll die zunftmäßige Tüftelei der Arbeit der Meister kennzeichnen. In bewunderns- f irtem Kontrapunkt kombiniert dann Wagner die drei Hauptthemen: Liebesseligkeit, Mare, Meisterthema. Die Fanfare wird in imponierender Schlußsteigerung vom äserchor übernommen. In höchstem Glanze erscheint nochmals das Meisterthema. Das Vorspiel und der Liebestod aus „Tristan und Isolde" jenem großen Spiel von der Sehnsucht, baut sich auf Themen auf, die sehr stark von Chromatik (Halbtonschreitungen) leben, weil ja die Chromatik mit ihrem Drängen nach vorwärts ein treffendes musikalisches Mittel ist, um Sehnsucht zu versinnlichen. Die ersten Töne des Vorspiels sind das Thema des unstillbaren Liebessehnens. Es folgt das Thema der Blickfesselung und das des Liebeszaubers, aus dem weiter durch Um bildung noch das Verhängnismotiv gewonnen wird. Das Drohende des Verhängnismotives mildert sich aber bald, weil ja Tristan und Isolde das Verhängnis, welches ihrer Liebe durch Entdeckung bevorsteht, gar nicht als solches empfinden, sondern bei gesteigerter Todessehnsucht im Gegenteil als Erfüllung ihres letzten Wünschens ansehen. In schwel gerischen, rauschenden Tonfolgen kommt das beiderseitige Entzücken zu beseligendem Ausdruck, bis plötzlich alles Drängen und Sehnen erstirbt. Dumpf, mystisch endet das Stück. Im Konzertsaal wird nun gleich das Schlußstück des ganzen Tristandramas: Isoldes Liebes tod, angefügt, welcher das Schwelgerische des Vorspieles bis zur Verzückung steigert. Dr. Kreiser.