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Mage zur Weisieritz-Jettung 93. Jahrgang Sonnabend, am 26. November 1927 Nr. 275 Anleihegesuche der Gemeinden. Die Ä7 ^>77 Beratungsstelle vertagt die Entscheidung, «m siq zunächst einen Ueberblick z« verschaffen. Eine Pommersche Ausländsanleihe geplant. — Stettin, 26. Novbr. Der Pommersche Provini ziaUandtag beschloß die Aufnahme einer Auslands anleihe in Höhe von 40 Millionen Mark, wovon 3! Millionen zur Behebung der Kreditnot der pommev schen Landwirtschaft und 10 Millionen für Industrie und Handwerk bestimmt sind. Ferner wurde bo schlossen, daß die Provinz sich an den staatlichen Not standsmaßnahmen für die durch die Unwetterkatastrophe geschädigte Landwirtschaft mit 2 Millionen beteiligei soll, die ebenfalls im Wege von Anleihen oufqebrach werden sollen. WZ Der Beratungsstelle für Ausländsanleihen stnl von mehreren Gemeinden Anträge zur Begutachtung von Ausländsanleihen zugegangen. Nach Mitteilungei von zuverlässiger Seite ist die Beratungsstelle jedoa der Auffassung, daß die Gesamtlage es zur Zeit nichj gestattet, einzelne solcher Anträge zu behandeln. El erscheint vielmehr erforderlich, sich zunächst ein Gesamt, bild über die für den Anleihebedarf in Betracht kom- menden Verhältnisse der Gemeinden zu machen, un eine gerechte und zweckmäßige Entscheidung in der Vev teilung des etwa zur Verfügung stehenden Auslands kapitals sicherzustellen. Daher findet zunächst ein« Rundfrage an die größeren deutschen Ge- meinden statt, die Unterlagen für das vorhanden, Anleihebedürfnis der Gemeinden unter Berücksichtigung ihrer Finanzlage bringen soll. Dabei wird insbeson dere auch eine Klärung der wichtigen Frage der kurz sristigen Verschuldung der Gemeinden angestrebt. Die Lohnpolitik der Landwirtschaft. Beschlüsse des Reichsverbandes land, und forstwirt fchaftlicher Arbeitgeber. Der Vorstand des Reichsverbandes der deutsche, land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgebervereinigun gen befaßt sich in einer Entschließung mit Fragen de, Lohnpolitik und empfiehlt seinen Verbänden die un, bedingte Ablehnung jeder weiteren Er Höhung des Tariflohnes. Zur Begründung wird auf die Verschlechterung der Lage der Landwirt schäft hingewicsen, wie sie durch die wachsende Vev schuldung, steigende Zinsenlast und den Folgen de, Erntekatastrophen gekennzeichnet sei. Unter diesen Um ständen müßten tarifliche Lohnerhöhungen die Gefahi eines Rückganges der landwirtschaftlichen Produktiv, heraufbeschworen und dazu beitragen, daß unter Ab bau der Arbeiterbelegschaften zu einem extensiverer Betrieb übergegangen werde. In Anerkennung der Tatsache, daß während de, Wintermonate regelmäßig stärkere Arbeitslosigkeit zr verzeichnen ist, werden die angeschlossenen Vereinigung gen ersucht, nach Beendigung der Hacksruchternte unbs dingt alle pol,lischen Arbeitnehmer, die sich seit Anfang 1926 in Deutslchand befinden wieder in ihre Heimat zu entlassen. Darüber Hinaul müßten auch die in der Zeit vom 1. Januar 191! und Ende 1925 nach Deutschland gekommenen Wan derarbeiter in ihre Heimat zürückkehren, die nach den jetzt getätigten deutsch-polnischen Abkomme» in einem Zeitraum von 6 Jahren wieder in die Wän de rbewegung übergeführt werden sollen. Von Woche zu Woche. Randbemerkungen zur Zeitgeschichte. Mit dem Wiederzusammentritt des Reichstag! hat die Winterarbeit des Parlaments voll eingesetzt Das Plenum hat zwar seine Beratungen nach kurze, Zeit erneut um einige Tage unterbrochen, doch konnte, trotzdem bedeutsame Vorlagen endgültig oder in erste, Lesung verabschiedet werden. So ist z. B. der deutsch französische Handelsvertrag endgültig vom Parla ment gebilligt worden, während der Vertrag mit Süd slawien an den Ausschuß ging. Das gleiche geschal mit dem Gesetzentwurf über die Errichtung des endgül tigen Reichswirtschaftsrates und mit der Vorlage zu, Regelung des Auslieserungswesens. Die Beratung dei Besoldungsresorm im Ausschuß geht ihrem End- entgegen. Reichsregierung und Parteien kamen über ein, die Arbeit mit Hochdruck sortzusetzen, damit di- Besoldungsreform noch im Dezember Gesetzeskraft ev langen kann! Die neuen Gehälter sollen dann bo reits zu Weihnachten ausgezahlt werden. ' In der Frage der Neuwahlen scheint man siä jetzt dahin geeinigt zu haben, daß Neuwahlen zun Reichstag nicht vor Juni 1928 anberaumt werden sol len. Die Verwirklichung dieser Absicht hängt davon ab daß Regierungskrisen bei der Verabschiedung des Schul gesetzes, des Etats und der Strasrechtsvorlage strikt, ausgeschaltet werden. Erfreulicherweise sind in dis sen Tagen auch die Erörterungen über das Reichs ehrenmal erneut in Fluß gekommen. Hoffen wir daß wenigstens diesmal alle Schwierigkeiten überwun den werden, damit den Gefallenen endlich ein würdige! Erinnerungsmal errichtet wird, das dem Gedenken de! deutschen Volkes an seine im Kampf für das Vaterlanl gefallenen Söhne auch äußerlich Ausdruck verleiht Der Reise des Reichskanzlers nach München is Ende der Woche auch eine Fahrt des preußischen Mi nisterpräsidenten Braun nach der bayerischen Haupt stadt gefolgt. Den äußeren Anlaß bildete die Neu einweihung der Räume der preußischen Gesandtschafi in München, die seit dem Kriege anderen Zwecke, dienten und nun ihrer alten Bestimmung wieder zu geführt wurden. Ministerpräsident Braun zollte de, Arbeit des Münchener Handwerks und des Kunst gewerbes anerkennende Worte für die treffliche Her richtung der Räume und wies dann daraus hin, das Preußen seine Gesandtschaften bet deutschen Länder, bis auf die in München ausgehoben habe, weil es sfi als entbehrlich betrachte. Wenn es die Gesandtschast in München unter Aufwendung erheblicher Mittel ne, eingerichtet habe, so deshalb, weil es aus ihren Fort bestand Wert lege und ihr eine besondere Aus gabe zuwetse. Und diese Ausgabe sei die, das Ver hältnis zwischen den beiden größten Ländern des Rei ches, zwischen Nord und Süd, zum Wohle des gemein samen deutschen Vaterlandes immer enger zu gestalten euftretende Mißverständnisse und Spannungen schor in ihrem Entstehen auszuklären und zu beseitigen unk damit dazu beizutragen, die sogenannte Mainlinie, die noch in manchen Köpfen spuke, vollends zu ver wischen! Ministerpräsident Braun behandelte dann noch die gegenwärtige Struktur des Reiches und gab dabei seiner Meinung dahin Ausdruck, daß man über di« Unhaltbarkeit des heutigen Zustandes im Staatsaufbau nicht im Zweifel sein könne. Strittig sei nur die Frage, in welcher Richtung sich die unerläßliche Aenderung bewegen solle. Zum Schluß betonte der preußische Ministerpräsident die Schicksalsverbundenheit der deut schen Länder und verwahrte sich gegen den Vorwurf, Preußen erstrebe die Vorherrschaft im Reiche. Der bayerische Ministerpräsident Dr. Held erwiderte, auch Bayern wolle dem Reiche treu dienen und seine Krast- entsaltung auf allen Gebieten fördern. Das sicherste Mittel dazu sei die Wahrung der eigenen verfassungs mäßigen Rechte des Landes. Außenpolitisch stand der Abschluß der deutsch-polnischen Vorbesprechungen über die neuen Handelsvertragsverhandlungen im Vorder grund des öffentlichen Interesses. Größere Beachtung fanden auch noch die Abrüstungsdebatten im englischen Unterhaus, die wiederholt durch das Versagen des elektrischen Lichtes unterbrochen wurden. Ander Zwischenzeit behalf man sich mit Streichhölzern und Kerzen, die teilweise zusammengekauft, teilweise aber auch von dem früheren noch reich mit Kerzen besteckten Kronleuchter herabaebolt wurden. Macdo- Politische Rundschau. — Berlin, den 26. November 1927. — Die gegenseitige Beleidigungsklage des Stahlhelm- lihrerS Dürsterberg und des Regierungsp.äsidenten Dr. Grützner-Merseburg wurde durch Vergleich aus der Welt geschafft. — Der Zentrumsavgeordnete Prälat Kaas, der eine ebenSgefährliche Overation durchmachen mußte, befindet ich auf dem Wege zur Besserung. — Die Gesamtverschuldung der bayerischen Landwirt- chaft wird von der Regierung in München auf 1,135 Milliarden Mark beziffert. * :: Zwischenfall im Pommersche« Provinzialland» ag. Anläßlich der Einweihung des neuen pommerschen Verwaltungsgebäudes fand ein Festmahl statt, zu dem mch Generalfeldmarschall von Mackensen eingeladen oar« Generalseldmarschall v. Mackensen sagte jedoch ab, veil die Sozialdemokraten erklärten, bei seiner An wesenheit an der Feier nicht teilnehmen zu können. Zur Begründung ihrer Haltung gab die Sozialvemo-- Katie in der letzten Sitzung des Provinziallandtages Üne längere Erklärung ab. Die deutschnationale Frak- Son bedauerte die Absage des Feldmarschalls und ver- irteilte das Vorgehen der Sozialdemokraten als schwere Schädigung des Ansehens des Provinziallandtages. nald begründete das von'der Arbeiterpartei einge brachte Mißtrauensvotum gegen Baldwin, fordert, energische Schritte zur Abrüstung und Unterzeichnung der Schiedsgerichtsklausel, doch litten seine Ausfüh rungen unter seiner seit längerer Zeit bestehenden Erkrankung. > Chamberlain gab zu, daß die Seeabrüstungs- konserenz diplomatisch nicht vorbereitet worden sei, glaubte aber, Englands Haltung aus der Konferenz rechtfertigen zu können und erklärte in der Frage der Schiedsgerichtsklausel, daß England nur vorläufig nichts zur Unterzeichnung unternehmen könne. LloyL George ritt eine scharfe Attacke gegen das Rüstungs fieber, stellte fest, daß die Deutschland auferlegteri Friedensbedingungen die schwersten seit mehr denn 2000 Jahren seien und forderte die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht. Das Unterhaus ließ sich je doch nicht beirren und lehnte den Antrag der Ar beiterpartei mit 316 gegen 105 Stimmen ab. Die bedeutsamsten Ereignisse im Auslands spiel ten sich in der letzten Woche aus dem Balkan ab. Rumäniens Diktator Bratianu erkrankte plötzlich und starb: Droht dieses Ereignis schon Wirren aus zulösen, erfuhr die Lage aus dem Balkan wenige Stun den später eine Verschärfung, indem Mussolini mit Albanien ein unverhülltes Militärbündnis abschloß, wie es in dieser Offenheit bisher nicht zu verzeichnen war. Konfliktstoff häuft sich aus Kon fliktstoff, und um das Matz voll zu machen, gibt es auch über Wilna und Litauen neues Wetterleuchten seinerzeit den Handstreich gegen Wilna durchführte, zu ersetzen. Das würde natürlich neue Erregung Hervor rufen. In Deutschland steht man den Alarmmeldun gen abwartend gegenüber. Tatsache ist allerdings, das der Wilna-Streit neu im Gange ist. Kowno hat be- kanntlich an den Völkerbund eine Note gerichtet, ru der es Polen Wühlereien gegen Litauen beschuldigt, Versuche, Litauen zur Zurücknahme seiner Note zu veranlassen, sind sehlgeschlagen. Damit mutz der Völ kerbund im Dezember zum polnisch-litauischen Streit Stellung nehmen. Polen scheint nun die Absicht zu haben, den Spieß umzudrehen und Litauen veranlasse« zu wollen, den noch bestehenden Kriegszustand mit Po len zu beenden. Litauen soll sich mit dem Verlust Wil- nas endgültig abfinden! Neben der polnischen Re gierung scheinen aber auch noch andere Elemente ani Werke zu sein, deren Absichten und Handlungen un kontrollierbar sind. Genf-Reise Pilsudskis? - Warschau, 26. Novbr. Marschall Pilsudski isl von Wilna nach hier zurückgekehrt. Die Blätter ver zeichnen das Gerücht, daß Pilsudski aller Wahrschein lichkeit nach zur Dczembertagung des Nates mit Zaleski nach Genf fährt, um Polens Standpunkt im Streu mit Litauen persönlich zu vertreten. Umsturzversuche im Osten? Polnischer Handstreich aus Litauen be fürchtet! — Rußland warnt Polen. Die politische Lage im Osten und Südosten Euro pas spitzt sich immer mehr zul Seit einiger Zeit sind Gerüchte über polnische Absichten zur Einverleibung Litauens im Umlauf, die jetzt durch einen Schritt Mos kaus i« Warschau eiu ernsteres Gesicht bekommen. Di! plötzliche Reise des polnischen Außenministers Zaleski und Marschalls Pilsudski nach Wilna, wo sie mit den polnischen Gesandten in Moskau, Patek, zufammentra- fen, hat in Rußland uud den Randstaaten große Er regung ausgelöst. Wie aus Warschau gemeldet wird, hat der russische Gesandte Bogomolow im Auftrag« der Sowjetregierung am Freitag eine Note überreicht, in der die Polnische Regierung auf die ernste Gefahi aufmerksam gemacht wird, die dem Frieden droht, 4ven« Litauen seine Unabhängigkeit verlieren würde! Gleich! zeitig hat Rußland auch in der litauischen Hauptstadl Kowno eine Rote überreichen lassen. Wie ernst die Lage in Rußland betrachtet wirkt beweist eine Meldung aus Moskau, der Erkundigungen an zuständiger Stelle zu Grunde liegen und in der et heißt: Ueber die Wilnaer Zusammenkunft besteht i« Moskau größte Beunruhigung. Die Reise Pateks naq Wilna wird hier als ein Symptom bevorstehender Aunektionspläne gedeutet, und zwar in dem Sinne, daß der polnische Ge sandte im Falle der Verwirklichung der Annektion» Pläne in Moskau nicht anwesend sein möchte. Man be fürchtet, daß die Besprechungen in Gens zu spät kom men, um das vor der Tür stehende Ereignis der Besitzergreifung Litauens abzuwenden! Ein sol ches Faktum würde hier als eine Verschiebung des euro päischen Gleichgewichtes aufgefaßt, die die schwerste Ge fährdung des Friedens in Europa bedeuten würde. Weitere alarmierende Nachrichten kommen aus Maa, wo die Zeitungen aussehenerregende Artikel mi! Ueberschriften wie „Litauen vor großen Erregungen?", ,Hat die letzte Stunde von Litauens Unabhängig keit geschlagen?" bringen. Aus Wilna trifft die Rachricht ei«, daß dt« titanische« Emigranten, die dort mit PleschkaitiS a» der Spitze mit polnischer Hilfe den Bormarsch «als Kowno vorbereiteten, ihre sämtlichen Kräfte mobili sieren. Die litauischen Emigranten aus Riga, soweit sie Anhänger PleschkaitiS sind, wurden telegraphisck nach Wilna berufen. Ferner soll Polen beabsichtigen, den jetzigen Woje- woden von Wilna durch General Zeligowski, der Rundschau im Auslande. ; Die vom Völkerbund nach Bulgarien entsandte Fi- lanzkommisston wurde nach Abschluß ihrer Rundfahrt durch Bulgarien von König Boris empfangen. * Wegen Aufreizung von Militärpersonen zum Un- -ehorsam erhielt der Geschäftsführer der kommunistische» ^umanitö acht Monate Gefängnis und 2000 Franken »eldstraf«. * Der bei Freigabe beschlagnahmter deutscher Ver mögenswerte von Amerika bisher in Abzug gebrachte VSr- »altungSbeitrag von einem Prozent ist verdoppelt worden. Fortschritte auf der Eiseubahnkonfereuz. ! Seit drei Tagen tagt in Budapest die fünfte inter-- lattonale Eisenbabnverkehrskonferen». die hauptsächlich.die Chronik des Tages. — Berlin, den 26. November 1927. — Reichsaußenminister Dr. Stresemann hatte ein« Unterredung mit dem Führer der russischen Abrüstung» Delegation, Litwinow. — Der Reichstag unterbrach am Freitag seine Plenav- leratungen und vertagte sich auf Donnerstag. — Das deutsch-polnische Wanderarbeiterabkommen isl nunmehr in Warschau unterzeichnet worden. — Rußland hat in Warschau und Kowno Noten zum polnisch-litauischen Streit überreichen lassen. — Der in Tirana unterzeichnete Militärbündnisver- trag zwischen Italien und Albanien hat in Frankreich große Erregung hervoraerufen. — Non vem Dampfer „Mexiko", der sich mit mehi als 150 Personen an Bord im Golf von Mexiko befinden soll, werden SOS-Rufe ausgesandt. — Zu einer gewaltigen Revolte kam es im kalb sornischen Zuchthaus Folsom. Das Zuchthaus mußte mil Feldartillerre, Tanks und 500 Maschinengewehren belager werden. Neun Zuchthäusler und zwei Wärter würben getötet. — In Buenos Aires konnte die 33. Schachrund« nicht begonnen werden, da Aljechin erkrankt war. MM-