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E I N F ü H RUNG 1823 wurde die „große heroisch-romantische Oper Euryanlhe“ op. 81 von Carl Maria von Weber in Wien uraufgeführt. Von diesem Werk, das Webers schon begründeten Ruf vertiefen hal?, hört man im Konzertsaal die Ouvertüre ziemlich häufig. Mit Recht! Weber hat sich in diesem Werke um eine Tonsprache und um eine Aussage bemüht, die an der Sprache seines großen Zeit genossen Beethoven geschult ist. Die Ouvertüre ist klar und übersichtlich in der Sonatenform auf gebaut. Nach einleitenden, markanten Takten mit sehr lebendigen Triolen in den Streichern wird von dem gesamten Bläserchor das erste Thema hingestellt, dem als Gegensatz nur das von den Streichern getragene zweite Thema in seiner lyrischen Haltung gegenübersteht. Aus diesem Kontrast entwickelt Weber mit großer handwerklicher Kunst einen immer spannenden Durchführungsteil, in dem die Triolen des Anfanges und ein aus dem ersten Thema entwickelter punktierter Rhythmus eine wichtige Rolle für den Aufbau des Werkes spielen. Eine sehr zarte Episode von gedämpften Streichern schiebt sich ein — um darauf einer stürmischen Entwicklung und einem feurigen Ablauf zu einem glanzvollen Schluß hin freie Bahn zu lassen. Strawinsky nannte Weber einen großen Fürsten im Reiche der Musik. Wahrscheinlich geht sein treffendes Urteil auf das Erlebnis zurück, das er beim Hören der Euryanthe-Ouvertüre hatte. Das zweite Konzert in B-Dur für Klavier und Orchester, op. 83, schrieb Brahms in den Jahren von 1878 bis 1881. Genauer wäre die Bezeichnung „Sinfonie mit obligatem Klavier". Dieses Werk ist allerdings klarer Ausdruck der erreichten Reife sowohl im Handwerklichen als auch im Geistigen. Der Klavierpart spiegelt die etwas spröde Art seines Spiels wider, die sich in Voll griffigkeit, in oftmals rhythmischer Widerborstigkeit und in einer gewissen Großräumigkeit äußert. Das Hornmotiv zu Beginn des ersten Satzes hat auf die Gestaltung dieses Satzes einen starken Einfluß. Es ist immer wieder herauszuhören. Das erste Thema ist für die Struktur von größter Bedeutung, während sich das zweite Thema nicht durchzusetzen vermag. Dieser Satz rollt in einer durchaus männlichen Sphäre ab und gibt ebenfalls ein getreues Abbild der Seele des Komponisten. Der zweite Satz ist wesentlich sparsamer und kammermusikalischer instrumentiert. Er vertritt die Stelle des Scherzos. Auch hier ist das Anfangsmotiv dieses Satzes für den weiteren Verlauf von größter Bedeutung, überall taucht es auf, in allen Instrumentengruppen geistert es herum. Mit einem wirklich schönen, echt romantischen Gesang des Solocellos beginnt das Andante. Diese Melodie bleibt im Ohre haften, weil sie Träger allmenschlicher Sehnsucht ist. Die weiche schwärme rische Note durchdringt diesen ganzen Satz, der zu den schönsten Eingebungen Brahms' gehört. Das Finale, ein Rondo von graziöser, völlig unproblematischer Haltung, gibt dem gesamten Werke einen vergnüglichen Abschluß. Die punktierten Melodienoten des Rondothemas vermitteln so etwas wie eine ungarische Farbgebung, die Brahms als romantisches Gegenstück zu seiner sonstigen Strenge und oft verbissenen Ernsthaftigkeit besonders liebte. Hier deutet er dies Kolorit nur an. Dar. Finale macht einen gesunden und männlich-fröhlichen Eindruck und verhilft dem ganzen Werk immer zu einer starken und überzeugenden Wirkung. Peter Iljitsch Tschaikowski (1840—1893) hat sich zu seiner 5. Sinfonie in e-Moll ein mal in einem Notizheft selbst geäußert, und man kann diese Bemerkung als Hinweis auffassen, gleichsam als das Motto, das über diesem Werke stehen könnte. „Vollständige Beugung vor dem Schicksal oder, was dasselbe ist, vor dem unergründlichen Walten der Vorsehung." Mit der Sin fonie, die seine drei letzten großen Sinfonien einleitet, war Tschaikowski nicht zufrieden, weil sie dem Inhalt einen zu breiten Raum gönnt und dabei die künstlerische Form etwas vernach lässigt. Dafür spricht die Briefstelle: „Nach jeder Aufführung meiner neuen Sinfonie empfinde ich immer stärker, daß dieses Werk mir mißlungen ist. Die Sinfonie erscheint mir zu bunt, zu massiv, zu künstlich, zu lang, überhaupt unsympathisch." Wir wundern uns über die Schärfe des eigenen Urteils, wir bewundern seine schonungslose Selbstkritik, die wir heute nicht mehr teilen. Das Werk ist viersätzig. Im ersten Satz leitet ein Thema das Ganze ein, welches gewissermaßen als Leitmotiv in allen vier Sätzen immer wieder ei scheint. Der eigentliche erste Satz bringt die beiden sehr gegensätzlichen Themen, die die Form der Sonate verlangt. Der zweite Satz versucht, von dunklen Klängen zu lichten Höhen emporzuschwingen, der Schluß verklingt in Ruhe und Harmonie. Der dritte Satz heißt „Valse", also ein eleganter, weltmännischer Walzer mit fran zösischem Einschlag, der ein einziges Wiegen und Gleiten darstellt. Der Schlußsatz, das Finale, ist ein toller Wirbel der verschiedensten Stimmungen: ein aufreizender Tanz, ein eilig hastender Galopp, ein jauchzender Wirbel, ein hemmungsloses, brutales Gestampfe, das am Schluß in eine schmetternd-glänzendo Fanfare mündet, die dem düsteren Werk einen überraschenden, aber um so wirkungsvolleren optimistischen Ausgang verleiht. Johannes Paul Thilman