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ZUR EI N Zu den Haydn-Variationen, die Johannes Brahms 1873 a l s sein Opus 5 6 schrieb, verwendete er als Thema ein Stück aus einem Divertimento für Blasinstru mente von Joseph Haydn, das mit den Worten ,,Choräle St. Antoni“ näher bezeichnet wird. Der Brahmsbiograph Kalbeck behauptet, Brahms habe mit diesem Werk die Versuchungen des Hei ligen Antonius darstellen wollen, wie etwa heute Hindemith im Schlußsatz seiner Sinfonie Mathis der Maler. Die Variationen von Brahms sind als Cha raktervariationen anzusprechen. Brahms hat also nicht variiert, indem er nur Veränderungen an der Melodie, an den Harmonien, am Rhythmus und an der Lautstärke vornahm, sondern er hat mit Hilfe des immer veränderten Thomas andere inhaltliche Aussagen machen wollen. Es sind dadurch in sich geschlossene Musikstücke entstanden, die von gegen sätzlichem Charakter sind und das Thema nach seiner ganzen inhaltlichen Tiefe auszuloten versuchen. Den Höhepunkt schafft Brahms im Finale (als ein Beweis dafür anzusehen, daß Brahms meisterhaft disponieren konnte und fähig zur letzten Steigerung war), das selbst wiederum eine Variationsfolge über einen fünftaktigen ostinaten (immer wiedererklin genden) Baß darstellt, wobei das Haydn-Thema all mählich immer klarer, machtvoller und schöner hervortritt. Dieses Werk ist ein Vorläufer seiner Sinfonien; es ist eigentlich durchaus sinfonisch emp funden und reiht sich also würdig in die schöne Kette seiner vier Sinfonien ein. Mozart (1756—1791) schrieb im Jahre 1788 in knapp anderthalb Monaten drei Sinfonien, die in Es- dur, in g-Moll und C-Dur, die zu seinen bedeutend sten Werken gehören. Man nennt sie zusammen Mo zarts „Sinfonische Trilogie“ und will damit aussagen, welchen Wert diese drei Werke in sich tragen. Die g-Moll-Sinfonie ist am 25. Juli 1788 beendet wor den. In ihr tritt ein wehmütiges, der Trauer und der Klage zugewandtes Element zutage, das man beim Mozart, den man gern als den „Heiteren“ oder den „Göttlichen“ abstempeln möchte, zunächst gar nicht vermutet. Aber schon im ersten Thema des ersten Satzes sind die Seufzer einer mit Leid erfüllten Seele nicht zu überhören. Auch der langsame Satz enthält etwas Schmachtendes und Leidendes und zeigt uns, daß Mozart auch in tiefere Schichten seiner Seele hinabsteigt und sie ans Licht holt. Das Menuett läßt volkstümliche Töne auf klingen, vor allem hat das Trio Volksliedverwandtschaft. Der Schlußsatz ist in einem trotzigen Ungestüm geschrieben, in ihm herrscht Unruhe und Anstrengung eines ringenden F Ü H R U N G Menschen. Dieser Schlußsatz hat das Schwergewicht erhalten, das bisher nur die ersten Sätze seiner Sin fonien in sich trugen. Er ist geistig selbständig ge worden und gibt dadurch dem gesamten Werk ein ganz anderes Ansehen. Von nun an ist die Sinfonie im allgemeinen ein Werk geworden, aus dem das künstlerische Glaubensbekenntnis seines Schöpfers herauszuhören ist. Beethoven hat gerade von dieser Mozartschen Trilogie Entscheidendes gelernt. Mozart schrieb nach diesen letzten Sinfonien keine mehr, deshalb gelten sie in der musikalischen Welt als sein Vermächtnis auf diesem Gebiet. Die g-Moll- Sinfonie (K. V. 550) hat darin ihren bevorzugten Platz. Franz Schubert schrieb seine Siebente Sinfonie in C-Dur im März des Jahres 1828,das auch sein Todes jahr werden sollte. Schubert (1797-1828) führte ein Leben, das er selbst, im Hinblick auf die Jahre ab 1823, wo er sich eine tuberkulöse Erkrankung zuzog, als einen „Martergang“ ansprach. Aber in der Sin fonie in C-Dur ist weder eine Todesahnung noch der Anklang an sein leidvolles Leben zu spüren, vielmehr erhebt sich Schubert als echter Romantiker in eine Welt, die traumhaften, außerirdischen Ursprungs ist. Als Robert Schumann dieses Werk im Jahre 1838 bei Schuberts Bruder im Nachlaß entdeckte, war er begeistert von den „himmlischen“ Klängen, sah allerdings auch sofort die „himmlichen Längen“ des Werkes, womit er in pietätvoller Verschleierung eine Kritik an Schuberts lyrisch-epischer Breite der Form, an seiner nicht enden wollenden Themen darbietung ausdrückte. Schuberts C-Dur-Sinfonie ist anders als die gedanklich scharfe und knappe Sin fonie eines Haydn oder Beethoven, er neigt zu einem köstlich-ruhevollen Verströmen seiner lyrischen Ein fälle, er reiht wundervolle Perlen gleicher Größe und gleicher Form aneinander, so daß eine Kette von unvergleichlicher Schönheit entsteht. Schubert hat eine andere innere Dynamik als Beethoven — ihm fehlt in der Sinfonie jenes Element der dramatischen Straffung, das Beethovens Werken ihren titanischen Zug gibt. Schubert war als Sinfoniker nicht titanisch. Er war Lyriker, er war Träumer, nach innen ge wandter Mensch voll von Gesang und Melodie. Mit dieser Einstellung kann man sich den vier Sätzen seiner 7. Sinfonie in C-Dur nähern, mit ihr wird man auch die schnellen Sätze (1., 3. und 4.) verstehen, die im Grunde ebenso lyrisch und liedmäßig sind wie der 2. Satz. „Himmlisch“ ist alles nach Schumanns Worten, was in diesem Werke erklingt. Lassen wir uns etwas von diesem Abglanz des Himmels über strahlen! Johannes Paul Thilman Bedenken Sie stets, daß die Musik keine andere Kunst oder Betätigung ersetzen kann. Kommt sie doch unmittelbar aus dem Innern und rührt den Menschen an seine empfindlichste Stelle. So wird sie zur universalen Kunst, aus der wir alle anderen zu verstehen haben. Johann Wolfgang von Goethe