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ZUR EINFÜHRUNG Es war Anton Bruckner im Traum gesagt worden, daß die 7. Sinfonie die Sinfonie des Erfolges werden würde. Vom ersten Thema des ersten Satzes nämlich, einem \yahrhaft grandiosen Thema, wie es selbst Anton Bruckner, dem Meister des sinfonischen Themas, selten gelungen ist, erzählte er: „Dieses Thema ist gar nicht von mir. Eines Nachts erschien mir Dorn (es war dies ein Freund aus der Linzer Zeit, der Nachfolger Kitzlers) und diktierte mir das Thema, das ich sogleich aufschrieb: ,Paß auf, mit dem wirst du dein Glück machen!“ Bruckner, der dem Traum mehr traute als seinem eigenen Genie, mochte es geglaubt haben, daß hier überirdische Mächte im Spiel waren, er, der tiefgläubige Mensch, dessen ganzes Schaffen ein Gespräch mit dem „lieben Gott“ war. Jenes Thema erscheint nach zwei Einleitungstakten (Tremolo der Violinen mit dem Grundton und der Terz des E-dur-Dreildangs) in den Celli und in den Hörnern, die von den Bratschen abgelöst werden. Später tritt dann die Klarinette hinzu. (Welch eine Kunst der Nuancierung durch die Instrumentation!) Dann wird es im Glanz des vollen Orchesters wieder holt. Nicht minder bedeutend ist der Einfall, der das zweite Thema melodisch und, über das erste hinaus gehend, auch harmonisch sehr reizvoll gestaltet. Und gerade dieses „Gesangsthema“ wird in kontrapunk tisch reicher Weise weitergeführt, bis es in den Vio linen in Umkehrung erscheint. Eine große Steigerung führt zum Einsatz des dritten Themas, das nicht wie sonst bei Bruckner ein „Monumental-Thema“ ist, sondern in einem geheimnisvollen Pianissimo daher kommt, ein Unisono in den Streichern, das die Holz bläser nur unmerklich auflockern. Es wird schließlich zu einer großen Steigerung geführt, die im dreifachen Forte des Blechs ausklingt. Die Trompete leitet mit dem Thema-Kern einen ruhevollen Abgesang ein, aus dem das Horn mit der „Vergrößerung" jenes Thema-Kerns in die Durchführung überleitet. Gleich die erste Partiturseite gibt ein Bild von der kontrapunktisch dichten und zugleich hochpoeti schen Weise, wie Anton Bruckner die von Joseph Haydn in die Sinfonie eingeführte Kunst der Theinen- Veränderung und Themen-Kombination handhabt. Die Klarinetten beginnen mit dem ersten Thema in Umkehrung, die Oboe folgt nach einem Takt diesem Beispiel. Dann setzen die Posaunen mit einer dunkel grundierenden Akkordfolge von wenigen Takten ein. Sie wird abgelöst von der Flöte, die solo das dritte Thema andeutet, eine luftige Brücke zur Wieder holung des gleichen Vorgangs, der im Detail aber verändert ist. Die Flötenfigur leitet jetzt über zum Einsatz der Celli, die mit seelenvollem Ton dem zweiten Thema (ebenfalls in Umkehrung) für längere Zeit das Wort geben. Im weiteren Verlauf der Durch führung drängt sich das erste Thema in den Vorder grund. Immer wieder begegnen wir seinen weiten, die Höhe und Inefe abmessenden Schritten. Aus der Wirrnis entlegener Tonarten findet Bruckner durei^ eine ebenso einfache wie kühne Halbtonrückung iir die Haupttonart E-dur zurück und tritt damit in die Reprise ein. Auch in dieser Sinfonie ist sie nicht eine einfache-Wiederholung der Exposition. So erscheint zum Beispiel gleich das erste Thema in den Celli zusammen mit seiner Umkehrung in den ersten Violinen und in der Flöte. Eine sehr ausführliche Coda auf einem 53 Takte währenden Orgelpunkt E schließt mit dem Material des ersten Themas den Satz ab.