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Mit einer langsamen Einleitung wird der erste Satz eröffnet. Diese Melodie - in allen Sätzen als treibende Kraft wiederkehrend — stellt gleichsam eine Art Schicksalsmotiv dar, über das der Komponist in einem Brief an seine mütterliche Freundin Frau von Meck berichtete: „Unser Ich wird, in Musik übersetzt, nicht mehr sein können, als eine idee fixe im Sinne von Berlioz." Das heißt soviel wie ein unveränderlicher musikalischer Gedanke im Sinne eines Leitmotivs. Der sich steigernde Rhythmus des ersten Themas, der lyrische Strom des zweiten und das leidenschaftliche Gefühl des Abganges (zugleich das dritte Hauptthema) werden - ganz im Sinne der klassischen Sinfonieform — von Tschaikowskis Schöpferkraft zu einem geschlossenen Ganzen packender Eindringlichkeit zusammengeballt. Der langsame Satz setzt sich zusammen aus zwei Hauptgedanken, die durch einen Mittelteil getrennt werden. Das Schicksalsmotiv, die „idee fixe", erfährt eine bedeutsame Verarbeitung. Der mitreißende Strom der Melodien, die Innigkeit des Gefühls und die starke menschliche Ausstrahlung verleihen dem Satz ein überaus persönliches Gepräge. Das Scherzo wurde von Tschaikowski als Walzer niedergeschrieben: In seiner eleganten, unterhaltsamen Art ein starker Kontrast zu dem aufwühlenden Seelengemälde der beiden Anfangssätze. Das Finale er innert mit seinem Hauptthema an russische Tanzrhythmen, und auch das zweite Thema wird von starken Bewegungsimpulsen getragen. Erinnnern wir uns der be zeichnenden Worte des Komponisten: „Wenn ich Elemente der russischen Volks musik, ihre Melodik und Harmonik benutze, so geschieht das, weil ich auf dem Lande aufgewachsen bin und seit meiner frühesten Kindheit mich von der unbe schreiblichen Schönheit russischer Volkslieder ergreifen ließ, weil ich alles Russische in seinen verschiedenartigen Äußerungen leidenschaftlich liebe, kurzum, weil ich Russe im wahrsten Sinne des Wortes bin.“ Während im Walzer die „idee fixe" nur verhalten als leise Erinnerung aufklang, gewinnt sie im Finale an Bedeutung. Festliche Marschrhythmen leiten über zum Höhepunkt und Schluß der Sinfonie, wobei Tschaikowski noch einmal auf das Hauptthema des ersten Satzes zurückgreift, um damit das gesamte Werk formal und inhaltlich zu runden. Gottfried Schmiedel 111-9-110 JG 03-60-41 4326