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ZUR EINFÜHRUNG Das Volkslied lebt, solange wir Musik treiben. Unbekannt und ungenannt befruchtet es die musikalischen Meister. Anfänglich wurde es nicht ernst genommen, die Kleriker der alten Zeit, ganz dem jenseitigen Leben zugewandt, ignorierten es. Es galt als „usus musicus“ (als musikalischer Gebrauch) im Gegensatz zur „ars musica“ (zur musikalischen Kunst). Im Lochamer Liederbuch (1450) erscheint das Volkslied zum ersten Male „gesellschafts fähig“, die ersten 36 Nummern dieser Sammlung sind spätestens zwischen 1450 und 1452 zusammengeschrieben worden, unzweifelhaft aber viel früher entstanden. Wir wissen nicht, wie weit Heinrich Isaac, Heinrich Finck, Arnold de Bruck, Ludwig Senfl (Liederkompo nisten aus dem 15. bis 16. Jahrhundert) und andere tatsächlich Erfinder der von ihnen bear beiteten Melodien gewesen sind, ob sie ihre Melodien nicht aus dem Volksgesang geschöpft haben. Das 17. und 18. Jahrhundert der Barockzeit war viel zu „vornehm“ bei seiner Kunstbegeisterung für die Kanzonetten, für die Arien der Kammerkantaten diese volkstüm liche Liedform zu berücksichtigen. Erst Johann Gottfried Herder in seinen „Stimmen der Völker“ von 1778 und Achim von Arnim und Klemens Brentano in ihrer Volksliedsamm lung „Des Knaben Wunderhorn“ (1806 bis 1808), schließlich das ganze 19. Jahrhundert bei seinem Hang zur Romantik, bei seiner Neigung zur alten, sagenhaften Geschichte betonen erneut die Bedeutung des Volksliedes. Johannes Brahms in seinen Bearbeitungen alter Volkslieder, Gustav Mahler in der Verwertung der Wunderhorn- und andrer Volks lieder sind Beispiele der Verwendung des Volksliedgutes. Das Volkslied hat als Haupt eigenschaften : die Allgemeingültigkeit für das Empfinden weiterer Volkskreise, eine unbe kannt-längere Geltungsdauer seines Inhalts und eine Vollständigkeit auch ohne Melodie begleitung — der Autor des Liedes ist das „Volk“, wenn der Autor wirklich bekannt ist, wird er im Interesse der Volkstümlichkeit seines Liedes rasch vergessen. Johann Nepomuk David, hat in seinem „Kume, kum, geselle min“, Divertimento ^Unter haltung) nach alten Volksliedern Werk 24 solche Weisen benutzt. Im Allegretto des ersten Satzes wird das Volkslied „Herzlich tut mich erfreuen die fröhlich Summerzeit“ einleitend von der Flöte angestimmt. Das für das ganze Werk grundlegende Lied „Kume, kum, geselle min“ ertönt dann unter Mitwirkung eines basso ostinato (d. i. ein „eigensinniger“ Baß, welcher in beständiger Wiederholung wiederkehrt) und andrer kontrapunktischer Künste. Ein naturgegebener Taktwechsel zwischen 2 / 2 -, 3 / 2 -, 3 / 4 - und 2 / 4 -Takt gibt dem Ganzen von Anfang an ein buntes, heiteres Gepräge. Das Adagio des zweiten Satzes hat als Thema neben dem „Kume, kum, geselle min“ das Volkslied „Ich schell mein Horn im Jammerton“. Der dritte und letzte Satz (Allegro leggiero) läßt anfangs die Streicher im Fugato beginnen, das Lied „Kume, kum, geselle min“ als Variationskern benutzend. Hin weise wie Glissando und Flageolett der Harfe, Flatterzunge der Flöte, Schwammschlegel im Schlagzeug, legato, staccato, pizzicato, geteilte Streicher, Fortissimo bis zum dreifachen Piano legen nicht nur Zeugnis ab für die virtuose Orchestrierung, sondern sind gleichfalls Beweis für die feindurchdachte, klar gegliederte, intensive Ordnung des ganzen Werkes — bei David eine Selbstverständlichkeit! David ist am 30. November 1895 in Elferding (Oberösterreich) geboren, er studierte an der Wiener Akademie und war Organist in Wels. In Leipzig und Salzburg, zuletzt in Stutt gart an der Hochschule für Musik, wurde er Lehrer. Der „Konstruktivismus“ (Wörner* seines sinfonischen Schaffens umschließt die Erfahrungen von Jahrhunderten. Das musi kalische Barock, Palestrina und Hindemith, Josquin und Bartök stehen dem allvermögen den Polyphoniker David nahe. „Sein echt polyphoner Stil strebt mit großem Gelingen zum Monumentalen (H. J. Moser).“ Johann Abraham Peter Schulz, 1747 in Lüneburg geboren, 1800 in Schwedt verstorben, studierte in Berlin bei Joh. Phil. Kirnberger, war in Posen, Berlin, Rheinsberg, zuletzt in Kopenhagen, Berlin, Rheinsberg, Stettin und Schwedt musikalisch tätig, ist recht eigentlich der Erfinder des norddeutschen Liedes im gesunden „Volkston“. Manche seiner volkstüm lichen Lieder leben noch heute als Weisen, deren Komponisten man gleichsam vergessen hat: Alle Jahre wieder, Der Mond ist aufgegangen, Des Jahres letzte Stunde. Bezeichnend für die Festlichkeit von Joseph Haydns (1732—1809) Werken „bei jeder Gelegenheit“ ist es, daß er, nach eigenem Geständnis, seinen besten Rock anzuziehen pflegte, wenn er in sein Gartenhäuschen zum Komponieren ging. Gewiß hat er zum besten Rock noch ein ent sprechend ernst-fröhliches Gesicht aufgesetzt, als er sein Schäferlied im Odenstil des 18. Jahrhunderts komponierte! Und Friedrich Heinrich Himmel (geboren 1765 in Treuen- brietzen, gestorben 1814 in Berlin) studierte in Dresden beim berühmten Johann Gottlieb Naumann, war als Berliner Hofkapellmeister tätig. Sein Liederspiel „Fanchon, das Leyer- mädchen“ (1804) war seinerzeit hochbeliebt. Seine Lieder (Es kann ja nicht immer so bleiben!) wirken wie erstes Biedermeier. Von diesen drei genannten Meistern hat Heinz Bongartz „Drei alte Lieder für Sopran und Bläser“ (Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott) reizvoll bearbeitet. „Die Lerche sang, die Sonne schien, es färbte sich die Wiese grün und braungeschwollne Keime verschönten Busch und Bäume!“ — so fröhlich gehts zu in J. A. P. Schulz’ „Frühlingsliebe“ ! „Denn mein Lubin ist fort!“ — so traurig klingts in Joseph Haydns Allegretto vom „Schäferlied“. Und „O möchte mein Liebster ein Rosen stock sein“ — so zärtlich tönts im „Rosenstock“ von F. H. Himmel. Die reine Volkslied- Atmosphäre ! Musik unserer Zeit erklingt in Hans-Georg Görner s ,,Ei du feiner Reiter“, Variationen zu einem Landsknechtslied von Samuel Scheidt (1624) opus 25 für großes Orchester — das große Orchester besteht tatsächlich aus Pikkoloflöte, 2 großen Flöten, 2 Oboen, Eng lisch Horn, 2 Klarinetten, 2 Fagotten, 4 Hörnern, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug, Xylophon, kleiner Trommel, Becken mit Paukenschlägel und Stahl stab, Violinen, Violen, Violoncelli und Kontrabässen. Der Autor des musikalisch beschei denen Landsknechtslieds „Ei du feiner Reiter“ ist Samuel Scheidt, eines der großen „S“ seiner Zeit (die beiden anderen waren die berühmten Meister Heinrich Schütz und Johann Hermann Schein). Scheidt, 1587 in Flalle geboren und 1654 ebendort verstorben, war Organist, Hofkapeilmeister und gesuchter Lehrer. Er war nicht nur Schüler vom allerwelts verehrten Amsterdamer Orgelmeister Jan Pieter Sweelinck, er wurde persönlich hochgefeiert als Komponist der „Tabulatura nova“, der „Lieblichen Kraftblümlein“ und der weltlichen Lieder. Hans-Georg Görner läßt sein Landsknechtslied in der Einleitung von der Oboe aufsagen, sodann wird es vom ganzen Orchester in einer ausdrucksmäßig unterschied lichen Reihe variiert. Görner ist 1908 in Berlin-Niederschönhausen geboren, studierte an der Berliner Hochschule für Musik (bei W. Fischer, S. Ochs, L. Schrattenholz), an der Universität Berlin Musikwissenschaft (bei Schering und Schünemann), wurde Organist an der Nicolai- und Klosterkirche, Musikdirektor an der Propstei Berlin, nach dem Kriege Landeskirchenmusikdirektor in Mecklenburg, schließlich Professor an der ehemaligen Hochschule für Musik in Halle. Er schrieb eine ganze Reihe von Kompositionen für Orgel, für Orchester (Symphonien, Orchestersuiten, sinfonischer Dialog, Ostinato u. a.), Vokal werke für Chor und Einzelstimmen. Ferruccio Busonis Tanz-Walzer für Orchester op. 53, „Dem Andenken Johann Strauß’“ gewidmet, bildet den gegebenen Übergang zum nachfolgenden „richtigen“ Straußwalzer. Busoni (1866—1924) hatte mütterlicherseits einen deutschen Großvater, war Lehrer in Helsingfors, Moskau, Boston, Weimar, Wien, Zürich, zuletzt unter großem Zuspruch in berlin. Nicht nur als Pianist von hohen Graden, sondern als Komponist und Theoretiker wurde Busoni von aller Welt geehrt: Er bereiste als Klavier virtuose Europa und Amerika, Zürich ernannte ihn zum Doktor honoris causa. Unter seinen zahlreichen Kompositionen nimmt dieser lustige Walzer (Andante-Introduktion mit gedämpften Bläsern und Streichern, Tempo di Valse sostenuto in 4 Teilen) eine Ausnahmestellung ein. Wenn hell der Vögel Lied erschallt, wenn Jubel durch die Berge hallt, dann ziehn wir durch den Wiener Wald!“ jauchzt der Koloratur-Sopran graziös und locker durch den Saal. Johann Strauß der Sohn (1825 bis 1899 in Wien), bejubelt in Wien, Petersburg, Berlin, London, Paris mit seinen Walzern (An der schönen blauen Donau, G’schichten aus dem Wiener Wald, Wiener Blut, Rosen aus dem Süden, Kaiserwalzer, Künstlerleben), seinen Operetten (Die Fledermaus, Der Zigeunerbaron), seinen Quadrillen, Polkas, Mazurken und