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Zur Einführung Gustav Mahler (1860-1911) begann seine musikalische Laufbahn nach Studien am Wiener Konservatorium und an der Wiener Universität (Theorie bei Bruckner) in Hall (Obcröstcrrcich). Der steile Dirigentenaufstieg führte ihn danach an die Theater in Laibach, Olmütz, Wien, Kassel, Prag, Leipzig, Budapest, Hamburg, an die Staatsoper Wien, an das Metropolitan Opera House und an die New York Philharmonie Society. Todkrank kam er nach Wien zurück, wo der am 7. Juli 1860 in Kalist (Böhmen) Ge borene am 18. Mai 1911 starb. Seinem Lob als genialer, konsequenter und kompromiß loser Orchestcrorganisator („Tradition ist Schlamperei!“ äußerte er in Wien) steht voran sein Ruf als hochbedeutender deutsch-österreichischer Komponist. „Eine tief ethische (= sittliche) Natur, strebte Mahler nach dem Höchsten. Die Symphonie war für Mahler das Mittel, ein Bild seiner Welt in Tönen zu geben. In diesem großangelegten Konzept störte oft die naive Volkstümlichkeit (Riemann: Musiklexikon 1961).“ Die zweite, dritte schlichte, romantische Liedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“ mit Volkslicdthcmcn - und vierte seiner Symphonien benutzen als Texte für die mitwirkenden Vokalisten die im Gegensatz zur sonstigen, besetzungsmäßigen Größe und Pracht der Symphonien. Die achte Symphonie (wegen der großen Besetzung „Symphonie der Tausend“ genannt) hat in ihren Sätzen freilich sakrale Texte von Hrabanus Maurus und die Schlußszene aus Goethes Faust II für die Sänger. Die zehnte und letzte Symphonie, ein nachgelassenes Fragment (= Bruchstück), war ursprünglich fünfsätzig gedacht. Sie sollte „Dante-Symphonie“ (nach dem italienischen Renaissancedichter Dante Alighieri) oder „Inferno-Symphonie“ (inferno = die Hölle, nach Dantes Drama „Divina Commedia“) heißen. Der nur Partiturskizze gebliebene zweite Satz mit dem Titel „Purgatorio“ (= Reinigung im Fegefeuer) erinnert daran. Auf führbar hinterlassen hat Mahler nur den zwischen Adagio und Andante wechselnden ersten Satz (noch!) ohne einen programmatischen Titel. Ein Bratschentsolo beginnt ge heimnisvoll und nachdenklich, von den Gesamtstreichern, Posaunen und Holzbläsern fortgesetzt. Wiederholt hören wir die Bratschen als Ausdruck des Nachdenklichen. Große Intcrvallsprünge in den Themen erinnern an die langsamen Bruckncrschen Sätze. In diesem einzigen und letzten Symphoniesatz Mahlers hat „auch seine Melancholie noch immer den Hoffnungsschimmer eines verklärten Lächelns des Menschen, der an den Menschen glaubt (Kurt Blaukopf)“. Robert Schumann schwärmt von Frcderic Chopin: „Was ist ein ganzer Jahrgang einer musikalischen Zeitung gegen ein Klavierkonzert von Chopin? Was Magisterwahn sinn gegen dichterischen? Seinen Unterricht hat Chopin bei Beethoven, bei Franz Schu bert bei John Ficld erhalten: Beim ersteren bildete er seinen Geist in Kühnheit, bei Schu bert sein Herz in Zartheit, beim (Meister der Klavier-Nocturnes) Ficl^l seine Hand in Fertigkeiten aus! . . . Chopin tritt nicht mit einer Orchesterarmec auf, wie es Großgenies tun, er besitzt nur eine kleine Kohorte, aber sie gehört ihm ganz eigen bis auf den letzten Helden . . .“ Im Dienste wahrhaften romantischen Ausdrucks steht die brillante und virtuose Musik des c-Moll-Klavierkonzertes op. 11 von Frcderic Chopin. Nicht umsonst ist das Konzert dem Deutsch-Pariser Virtuosen Friedrich Kalkbrenner (1785-1849) gewidmet. Die Form des dreisätzigen Konzerts ist klassisch-klar: Der erste Satz bringt zwei Themen, das erste in der Tonika (e-Moll), das zweite in der gleichnamigen Dur-Tonart. Noch ist in diesem frühen Werk von den tragischen, thematischen Kontrasten, wie wir sic später in den Balladen oder Nocturnes fcststcllen, nichts zu merken. Dagegen blüht hier Chopins hohe Kunst der Figuration in ihrer ganzen virtuosen Pracht auf. Der langsame Satz der Romanze erinnert stark an Chopins Nocturnes. Chopin schrieb in einem Brief an seinen Freund Tytus Wojciechowski, daß er sich den zweiten Satz „romanzenhaft, ruhig und melancholisch . . ., so ein Hinträumen in einer herrlichen Stunde im Frühling beim Mon- dcnschein“ dächte. Der Finalsatz in E-Dur ist ein Rondo im Krakowiakrhythmus (Kra kowiak ist ein feuriger, polnischer Volks- und Hupftanz im 2 / z ,-Takt). ..Der virtuose Aus bruch der Passagen und Läufe, in seiner ungestümen Bewegung alle Register des Klaviers umfassend, entfesselt am Schluß einen wahren Tanztaumel (Zofia Lissa)!“ Die ..Romco-und-Julia“-Opcrn reichen bis um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert zurück. Die Opcrngcschichtc läßt uns zuerst wissen von dem Pariser und Petersburger Modekomponisten und -pianisten Daniel Stcibclt (1765-1823) und seiner Oper Romeo et Juliette, dann von Vincenzo Bellini (1801-1835) und seiner Oper I Capuleti ed i Montecchi, von den zarten Julia-Kantilencn in der Oper des Charles Francois Gounod (1818-1893) bis zu Heinrich Sutermeisters (geb. 1910) Romeo-und-Julia-Opcr, Urauf führung 1940 in Dresden. Alle Opern mit diesem Vorwurf hatten keinen oder nur einen kurzen Zeiterfolg. Sergej Prokofjew (1891-1953) war der erste, der den richtigen Weg fand, den Stoff zum „wortlosen“ Ballett zu gestalten. Peter Ts chaikowski hatte ursprünglich auch vor, eine Oper zu schreiben, in der er das Thema des idealen Liebespaares „Romeo und Julia“ behandeln wollte. Die Idee von zwei Liebenden inmitten des mittelalterlich-fanatischen Kampfes zweier vornehmer italienischer Patrizierfamilien erschien dem Komponisten zunächst reizvoll (Montaguc und Capulet sind die Häupter zweier feindlicher Häuser, Romeo ist der Sohn von Monta- gue, Julia die Tochter von Capulet). Aber Tschaikowski, der wohl ahnte, daß aus diesem dankbaren Shakespeareschen Sprechbühncndrama keine rechte Oper zu schaffen war, blieb bei der symphonischen Dichtung für Orchester allein. In der Fantasie-Ouvertüre geht er nicht dem genauen Verlaufe des Shakespeareschen Dramas nach, die Ouvertüre gibt nur die musikalisch interessanten Höhepunkte wieder: Die sakrale Einleitung schil dert den weisen und klugen Pater Lorenzo. Die musikalische Schilderung wird dramatisch unterbrochen vom Kampfthema der feindlichen Familien. Auch das Thema der Liebe, „eines der genialsten lyrischen Themen Tschaikowskis (Schönewolf)“, wird erneut von Kampfstimmung abgclöst. Das Thema der Feindschaft und das Thema des Paters Lorenzo stehen sich in der Durchführung gegenüber. In der Reprise (= Wiederaufnahme der Themen) leuchtet das Liebesthema nochmals auf - zum letzten Male nach der Stille des Todes der beiden Liebenden. Die Schlußakkordc zelebrieren die Versöhnung der beiden feindlichen Familien,