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ZUR EINFÜHRUNG Hans Pfitzner (1869—1949) nannte sich selbst oft einen „Unzeitgemäßen", der in unserer Zeit die Ideale der Romantik hochhielt und sie vertrat. Überraschend war deshalb für seine Freunde und Anhänger, als er gegen Ende seines Lebens, etwa ab op.42, seinen Stil änderte und einige Werke schuf, die wegen ihrer Durchsichtigkeit und Klar heit, wegen ihrer Ausgewogenheit zwischen Inhalt und Form ein fast klassisches Gepräge erhielten. Zu diesen Spätwerken von großer Reife gehört das 1935 geschriebene Konzert in G-dur für Violoncello und Orchester, op. 42, das außerdem durch seine eigenwillige Form auffällt. Dieses einsätzige Werk, einer Fantasie für Violoncello und Orchester ähnlich, besticht zunächst durch die große Kunst der Instru mentierung, mit der es Pfitzner vermocht hat, nie mals das Violoncello zuzudecken. Sparsam und kammermusikalisch begleiten immer wenige Instru mente den Solisten, nur an einigen Stellen reckt sich das volle Orchester zur Wucht und ihm angemesse nen Größe auf. Das Violoncello ist meist seiner Eigen art gemäß eingesetzt: elegisch zu singen. Pfitzner ha.t dem Instrument in diesem Konzert eine Fülle schöner Melodien an vertraut und weniger auf das virtuose Element geschaut, das aber trotzdem noch in einigen Passagen und Figuren zur Geltung ge langt. Gleich nach dem geheimnisvoll raunenden Be ginn setzt eine großangelegte Melodie des Solo instrumentes ein. Und nun löst ein melodischer Ein fall den anderen ab, als wollte Pfitzner beweisen, daß seine schöpferische Kraft im Alter keineswegs ge brochen sei. Diese Einfälle prägen auch die Form des Werkes — Pfitzner reiht sie aneinander wie die Per len einer Kette. So leise, wie das kurze Werk begann, verklingt es auch. Pfitzner hat es nicht nötig, die Hörer zum Beifall zu verlocken, da er sich seines Könnens sicher ist. Aber das Werk ist nicht nur für Kenner da, es wendet sich wegen des Reichtums seiner melodischen Fülle an alle. Und damit kann Pfitzner zum Vorbild für viele Schaffende werden, die, ebenso wie er, die Schönheit in der Musik durch schöne Melodien ausdrücken sollten. 1895 ist das geniale Werk „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ von Richard Strauß geschrieben worden, über ein halbes Jahrhundert ist dieses op. 28 schon alt und hat noch nichts von seiner Jugendfrische, Unbekümmertheit, Drastik und Unverwüstlichkeit eingebüßt. Strauß schildert die Lausbübereien, die Streiche, die Narreteien und Einfälle des witzigen, geistvollen, lustigen Till Eulenspiegel. Er beschreibt den Ritt durch die zum Verkauf ausgestellten Ton töpfe und die darob kreischenden Marktweiber, die Maskerade Tiffs, der als Pastor verkleidet Moral predigt, wie er dann ausreißt, wie er sich verliebt, wie er in eine Diskussion mit verstaubten Gelehrten gerät, die nur den „grünen Tisch“ kennen und nichts vom Leben wissen, wie er sie auslacht, sich vor Gericht verantworten muß, verurteilt und gehängt wird. Richard Strauß wählt für dieses Geschehen aus einer prallen vollblütigen Welt die Rondoform, die durch ihre immer wiederkehrende Zitierung des Haupt themas an die Art Eulenspiegels erinnert, überall da beizusein, überall seine Figur drinzuhaben, überall seine Glossen zu machen. Dieses Aufeinanderbeziehen eines lebendigen Geschehens und einer musikalischen Form ist genial, und genial ist auch das Können, mit dem Strauß aufwartet. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll an diesem Werk und an seinem Schöpfer: die instrumentalen Künste, die schon bald Teufeleien sind, die Gabe der Drastik, mit der Strauß die verschiedenen Situätionen schildert, oder den Reichtum an geistvollen Wendungen und Verände rungen der musikalischen Substanz. Dieses Werk erobert die Herzen der Hörer. Mit Recht! Denn wo sonst gibt es ein ähnlich heiteres Werk, eine ähn liche Tondichtung von so befreiendem Humor? Hätte Strauß nur den „Till Eulenspiegel“ geschrieben, so hätte dieses Werk allein genügt, ihn unsterblich zu machen. Aptonin Dvofäk (1841—1904) schrieb für den Cellisten Hans Wihan sein berühmt gewordenes op. 104, das Cellokonzert in h-moll. Es ist in den Jahren 1894/95 komponiert worden; es ist ebenfalls ein Werk, das in der Neuen Welt entstanden ist. Dieses dreisätzige Konzert, in Neuyork geschaffen, bildet den Ausklang von Dvofäks Werken, die in Amerika entstanden sind. 1895 zog es ihn mit un widerstehlicher Gewalt in die Heimat zurück. Dvofäk, der einige Jahre als Direktor eines Kon servatoriums in Amerika zubrachte, litt an tiefem Heimweh. Die Sehnsucht nach seinem Geburtslande war so stark, daß sie sein Schaffen gegen Ende seines amerikanischen Aufenthaltes völlig überstrahlte. Auf Schritt und Tritt begegnet man den Klängen seines Vaterlandes in den damaligen Werken. Dvofäk hat wohl außer seinen Slawischen Tänzen kein zwei tes Werk mit so ausgesprochen nationalen Anklängen geschrieben wie diese Sinfonie mit dem Solocello. Das klangfreudige Werk ist mit Dvofäks großer in- strumentatorischer Kunst geschrieben: es hört sich alles so natürlich und taufrisch, so voll und rein an. Straffe Rhythmen klingen auf, Volkstänze klingen an — das Ganze ist ein wunderbarer Traum von seiner tschechischen Heimat. Der erste Satz hält streng die Sonatenform ein, allerdings vermeidet Dvofäk den Form teil der Durchführung. Das Adagio ist ein dreiteiliges Lied (es ist interessant, daß er die Melodie eines eigenen Lied^ aus op. 82 verwendet, das „Laß mich allein in meinen Träumen gehen“, womit er unbewußt auf seine steten Heimatträume anspielt). Der Schlußsatz ist ein Rondo. Dvofäks sprudelnder Einfallsreichtum ist zu be wundern. Er ist ein glücklicher Mensch gewesen, dem das Komponieren keine Probleme aufgab. Von dieser im Grunde glücklich-heiteren Stimmung ist in diesem Konzert, trotz des h-moll, überall viel zu spüren. Auch gegen einige technische Kniffligkeiten bewahrt die Musik ihren Charakter des Mühelosen, des Gesunden und natürlich Gewachsenen. Und das bezaubert uns an Dvofäk immer wieder. Johannes Paul Thilman (19543) D 05 1249 0,5 Landesdruckerei Sechs