Franz Liszt (1811—86), der größte Klaviervirtuos des 19. Jahrhunderts, als Komponist der Hauptvertreter der Programmusik, war Freund und Be schützer Richard Wagners. Ihm widmete er 1856 seine „Sinfonie zu Dante’s Divina commedia“ ln diesem Werk folgt der Komponist genau wie in seiner Faust-Sinfonie noch der bei der klassischen Sinfonie üblichen Einteilung in einzelne Sätze. Alle seine späteren Orchesterwerke sind einsätzig. Liszt will hier Hölle und Fegefeuer in Tönen nachbilden, wie sie der italienische Dichter Dante (1265—1321) in seiner großen Dichtung „Göttliche Komödie“ in Worten vorgebildet hat. Er beschränkt sich natürlich darauf, nur einige hervorragende Ideen, die musikalisch faßbar sind, nachzudichten; den Teil ihres Wesens bloßzulegen, den Töne besser und eindringlicher wieder geben können als Worte. Im Inferno- (= Hölle-) Satz werden in realistischen Tonbildern die Qualen der Verdammten geschildert. Dissonanzen, fieberische, zuckende und hastende Rhythmen, drohende und ängstigende Instrumentalfarben dienen der Darstellung. In der wuchtigen Bläsermelodie der Einleitung kann man wohl eine musikalische Versinnlichung der berühmten Worte sehen, die über Dantes Höllentor stehen: „Laßt jede Hoffnung fahren.“ Inmitten des Satzes deuten zarte, duftig schwebende Klänge auf das klassische Liebespaar Paolo und Franzeska. Der Höllenspektakel vertreibt aber das liebliche Bild wieder. Der Pu rga to ri o- (= Fegefeuer-) Satz ist eine anheimelnde Idylle. Auch weihevolle, religiöse Klänge mischen sich ein. Der Weg zum Himmel wird gesucht, die Erde mit ihren Leidenschaften gemieden. Der Satz klingt jedoch mit einer Fuge etwas trübsinnig aus. Wie in Beethovens „Neunter“ sind im Endsatz menschliche Stimmen verwendet. Ein Frauenchor singt im schlichten altkirchlichen Stile das fromme Magnificat (die Verherrlichung): Magnificat anima mea Dominum, et exultavit Spiritus meus in Deo salutari meo. Hosanna, Halleluja. . . ’ ‘ (Lucas I, 46-47.) (Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilands. Hosanna, Halleluja.) Das Orchester begleitet bald zart und geheimnisvoll, bald machtvoll und prächtig.