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Dresdner Journal : 19.09.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-09-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-189909193
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18990919
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18990919
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-09
- Tag 1899-09-19
-
Monat
1899-09
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Journal : 19.09.1899
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Beilage zu 818 des A-UNlÄA. Dienstag, den 19. September 1899, abends. Nachrichten aus den LandesteUeu. Pirna Ueber die gestrige Reichstag«.Ersatz- wähl ist folgende» bekannt: Lotze (veutschsoz. R«f) 10495, Fraßdorf (soz-dem) 11450, Strohbach (freis ) 1814 Stimmen; au» einigen kleinen Ortschaften fehlen noch die Ziffern; jedenfalls Stichwahl zwischen Lotze und Fräßdorf erforderlich. Bei der Hauptwahl am 16 Juni 1898 erhielten der Reformer 11118, der Sozialdemokrat 10007 und der Freisinnige 652 Stimmen; zersplittert waren 12 Stimmen Ter Reformer wurde somit im ersten Wahlgange mit 223 Stimmen über die absolut« Majorität gewählt Im Jahre 18S3 war der Reformer rn der Stichwahl mit 12429 gegen 9728 sozialdemokratische Stimmen gewählt worden, nachdem im ersten Wahlgang 1139 konservative, 3939 freisinnige, 7805 antisemitische und 7989 sozial demokratische Stimmen abgegeben waren * Leipzig Heute vollzog sich hier die Grundstein legung zum Rathausneubau unter entsprechender Feier- ichkeit. Die in den Grundstein eingelegte Urkunde ent hält einen Rückblick auf die Geschichte des alten Rat hauses am Markte und de» Neubaues, der nunmehr in Angriff genommen worden ist Das neue Rathaus soll sich an der Stelle erheben, wo über drei Jahrhunderte die Plcißenburg gestanden hat D»r gewaltige Turm, da» alte Wahrzeichen dcr Stadt, soll in den Neubau eingesügt werden und so gleichsam ein Bindeglied bilden zwischen der alten und der neuen Zeit, dem alten und dem neuen Raume. Die Bausumme für die gebrauchs fertige Herstellung d,S Gebäudes ist einschließlich de« ArchiteklenhonorarS (297 170 M) auf 6 834 592,58 M. festgesetzt. Nicht inbegriffen sind die Kosten de» Bau- vlatzeS Derselbe ist in Rechnung gestellt mit 2 020 700 M. Da die Verwertung des PleißenburgarealS aber eine bis her äußerst vorteilhafte war und bestimmt auf einen Gesamterlös von mindestens 4 Mill. M. zu rechnen ist (bisher sind aus 6030 qm 2 628 578 M erlöst, und 3650 qm stehen noch zur Verfügung), so dürsten sich nach Hinzurechnung aller Straßenhelstellungtkrsitn die wirklichen Kosten für den RathauSbai platz auf höchsten« 900000 M, gegen 3 571 688 M, die der Rathausbou- platz auf dem Areal zwischen dem Markte, Salzgäßchen, ReichSstroße und Grimmaische Straße gekostet hätte, be laufen Dabei stehen auf dem Pleißenburgareale mindestens 2000 qm mehr für den Rathausneubau zur Verfügung (8900 qm gegen 6800 qm) — Vorgestern nachmittag verstarb nach kurzem Krankenlager am Herzschlag Hr. ReichSgerichtSrat Günther v. Bünau. — Unter Vor behalt der Zustimmung der Stadtverordneten be- fchloß der Rat die Neuregelung der Gehälter der Fachlehrer an den höheren Schulen gemäß den in einer ihm zugegangenen Petition ausgesprochenen Wünschen. — Der Vorstand de» Börsenvereins der deutschen Buchhändler zu Leipzig hat an den Staatssekretär de» ReichSpostamtS eine Eingabe gerichtet und gebeten, zu veranlassen, daß wie im nationalen Postverkehr, so auch im Verkehr mit den deutschen Kolonien die Gewichts grenze für Drucksachen auf 2 lex angesetzt und für solche im Gewichte von 1 bis 2 Icx ein entsprechender neuer Taris geschaffen werde. Zwickau. In einer Maurerversammlung wurde beschlossen, im nächsten Jahre 45 Pf. Stundenlohn bei zehnstündiger Arbeitszeit zu fordern, im Falle der Nicht bewilligung dieser Forderung sofort im Frühjahr in den Streik wieder einzutreten Gegenwärtig werden hier 33 bis 36 Pf Stundenlohn gezahlt Der Streik hatte kein Resultat, kostete aber über 11000 M. an Unter stützungen, Agitationsspesen rc. Augustusburg. In Berichten über die am 9. d. Mts. abgehaltene Versammlung der Bürgermeister der kleinen Städte und der berufsmäßigen Ge- meindevorstände ist bezüglich der Frage der Errichtung einer LandeSpensionSkasse gesagt, daß Hr. Gemeinde vorstand Kleinhempel Wilkau auSgesührt habe: „Im Vor stande des Sächsischen Gemeindetages habe man zu große Angst und die Bürgermeister der größeren Städte fühlten nicht da« Bedürfnis, sich mit dieser Frage zu beschäftigen." Es muß dagegen leihen: „Im Vorstande deö Sächsischen Gemeindetages sei man der Ansicht, daß die Errichtung einer LandeSpensionSkasse große Schwierigkeiten biete, ein mal wegen des damit verbundenen Eingriffs in die Ge meinde-Autonomie und zum andern wegen der Aufbringung der Mittel. E» sei deshalb auch beschlossen worden, wegen der Deckungsfrage das Gutachten eines Versicher ungstechnikers einzuholen Die vom Direktorium des Sä buchen Gemeindebeamtenvereink kürzlich eivgele'teten Erhebungen dürften die Folge davon sein. Seiner An sicht nach hätten die Vertreter der kleineren Städte und der Landgemeinden keine Angst vor einem Eingriff in die Gemeinde Autonomie bezüglich der Landekpensiontkoffe; sie wünschten diesen Eingriff sogar selbst. Daß die Bürger meister der größeren Städte nicht so sehr das Bedürfnis zur Errichtung einer Landespensionskaffe fühlten, wäre begreiflich, denn in großen Städten fei längst erreicht, wa» dre Beamten in kleinen Städten und Landgememdrn jrtzl anstrebten!" Meißen Nunmehr treten auch die Sozialdemokraten de« hiesigen 7. städtischen LandtagSwahlkrerse» (Meißen, Roßwein, Nossen, Siebenlehn, Lommatzsch) mit «mer Kandidatur an die Orffentlichkeit Der Erwählte ist der Schuhmachermerster Hermann Findeisen hier, der sckon lange in der lokalen sozialdemokratischen Bewegung eine Rolle spielt. Krippen Am Sonntage hielt hier der Gebirg«- verein für die Sächsische Schweiz seine 22 General versammlung ab Nach Entgegennahme de« Jahresbericht» und glatter Erledigung der sonstigen geschäftlichen An gelegenheiten hielt Hr. vr. pdil Meiche-Sebnitz, der neu« Redakteur de» Gebirg»verein»-Organ« „Ueber Berg und Thal", einen beifällig aufgenommenen Vortrag „über di« Flora und Fauna der Sächsischen Schweiz bi« zum Ende de» 16. Jahrhundert»". Im weiteren brachte di« General versammlung noch einen Vortrag de« durch seine Hand- fertigkeils-Bestrcbungen in weiten Kreisen bekannt ge wordenen dänischen Rittmeister« a D Hrn v Clauson- Kaa« über die Herstellung hölzerner Villenbauten nor wegischen Stil» im Bereiche der Sächsischen Schweiz, in welcher Beziehung vielfache dankenswerte Anregung« n g«. geben wurden Die Versammlung verwies diese Ange- legenheit auf Vorschlag de» Vorsitzenden, Hrn. Prof. vr. Lehmann, zur näheren Behandlung an den Zentral» auischuß. Als Ort für die nächstjährige Generalversamm lung wurde Hinterhermsdorf gewählt. Vorausgegangen war der Versammlung gestern abend ein Kommers mit Festspiel und vielfachen musikalischen Veranstaltungen, während heute den Beroturgen Festtafel und Ball sich anschloffen. Vermischtes. * Ein ungeheures Instrument wird das sür die Pariser Weltausstellung 1900 geplante Fernrohr werden Die Linsen sollen mit 125 cm Oeffnung selbst die de» Aerke» - Teleskops und die 1896 in Berlin ausgestellten übertreffen; aber auch in Bezug auf die Brennweite soll alle» Bisherige, selbst der Treptower Riese, al« Zwerg dagegen erscheinen. Auf nicht weniger al« 60 m Brenn weite soll da« Objektiv geschliffen werden. Die« ungeheure Rohr wird, wie wir Spemanns „Mutter Erde" entnehmen, ganz bewegungslos sein, und zwar soll e» auf einer Reihe von Pfeilern seiner ganzen Länge nach in Hori- zontaler Lage ruhen. Das Licht der HimmelSobjekte soll das Instrument durch einen großen ebenen Spiegrl em pfangen, der vor seinem Objektiv steht und drehbar auf gestellt ist, so daß er auf jeden Teil des Himmel» ein gestellt werden kann. Dieser Spiegel ist ein außerordent lich wesentlicher Teil des ganzen Instruments und muß daher mit äußerster Sorgfalt verfertigt werden Er soll einen Durchmesser von 2 m bekommen 'Neues von der Telephonie ohne Draht bringen die letzten Nachrichten aus England. Der bekannte In genieur Preece, der sich bereit» seit wesentlich längerer Zeit al» Marconi, allerdings mit geringerem Erfolge, mit der Telegraphie ohne Draht beschäftigte, hat in den letzten Wochen in der Grafschaft Carnarvon Versuche mit draht loser Telephonie gemacht, bei denen ein ganz neues Ver fahren zu Grunde gelegt wurde. Es wurden vier Hoh« Stangen auf einer Sandbank im Gwyrfal Flusse unweit der Kirche Llanfaglan errichtet, am Südende der Menot- Straße, die da» Festland von der vorgelagerten Insel Anglesey trennt. Eine halbe Meile davon wurden vier ähnliche Stangen im Boden befestigt. Noch eine halbe Meile weiter im Belan-Fort befand sich eine hohe Stange mit einer Drahtspule, deren Ende in tiefem Wasser ver ankert war. Es gelang dem Sir William Preece nun mehr, zwischen den beschriebenen Punkten ohne andere Vermittelung als die de» AetherS zu telephonieren, und zwar richtete sich sein Bestreben nicht auf die Uebertrag- ung der menschlichen Stimme, sondern auf die hörbare Vermittelung von Telegrammen. Wenn nämlich an einem der Punkte ein Morse-Telegraph ausgestellt und in Thätig- keit gesetzt wurde, so wurde das Knacken des Telegraphen an den anderen Stellen gehört. Da nun bekanntlich jeder geübte Telegraphist den Inhalt einer Depesche aus dem Geräusch des telegraphischen Apparats mit dem Gehör aufzunehmen vermag, so brauchte auch bei jenen Versuchen ein Telegraphist nur das Ohr an ein von Preece neu konstruiertes Aether-Telephon zu legen, um den Inhalt der Dcpeschr alsbald abzuhören Mehrere Tage hinter einander blieb die telephonische Verbindung zwischen jenen Plätzen auf dem beschriebenen Wege ausrechterhaltrn und funk tionierte dauernd ohne Fehler. Nunmehr werden die Versuche auf größerem Maßstabe und in größeren Entfernung»» fortgesetzt werden, und zwar ist zunächst eine Verbindung »wischen dem Belan-Fort einerseits mit dem Llandnyn- Leuchtturm und dem Carnarvon-Schloß anderseits ge ¬ plant. Preece neigt vorläufig zu der Annahme, daß mit fernem neuen System «rn« vrel schnellere Vermittelung drahtloser Depeschen möglich sein werve als mit dem Marconrschtn Verfahren, da letztere« bekanntlich nur eine recht langsame Telegraphie gestattet Vorläufig läßt die Deutlichkeit der telephonierten Geräusche allerdings noch zu wünschen übrig, jedoch befinden sich die Versuche ja erst in ihren Anfängen und werden sicherlich bald wesent liche Verbesserungen erfahren. ' Da« geschmähte Aluminium wird in einer Zu schrift an di« „Allgemeinen Wissenschaftlichen Berichte" verteidigt mit Hinweis auf die kürzlich veröffentlichte Ent deckung eine« neuen Aluminiummetall« durch vr Mach in Jena, da» alle Nachteile de« reinen Aluminium« mit dessen Vorzügen verbinden soll. Es war darin gesagt, daß sich da» reine Aluminium mit gewöhnlichen Werk zeugen nicht in befriedigender Weise bearbeiten ließe, da beim Zerschneiden von Aluminiumplatten nicht glatte Schnittlinien, sondern rissige Ränder entstünden, ferner sollte die Oderfläche von Aluminiumstücken sich nicht mit Feilen glätten lasten Alle diese Behauptungen werden durch jene Zuschrift von sachverständiger Seite au» be stritten Da» reine Aluminium eignet sich allerdings nicht zum Ersatz von Zinn, Eisen, Messing und Nickel, geschweige denn zur Herstellung von eigentlichen Schmuck- und Luxusgegenständen, dagegen hat es sich zur Herstell ung gewisser Geräte ausgezeichnet bewährt und gestattet für diesen Zweck auch eine vollkommen ausreichende Be arbeitung. Die besonderen Vorzüge des Aluminiums sür solche Geräte bestehen außer dem geringen Gewicht be sonders in der leichten Art der Reinigung; als Beweise dieser Behauptung kann die Einführung der Kochgeschirre aus Aluminium rm deutschen Heere gelten, die jetzt auch in fast allen anderen Armeen nachgeahmt wird. Be sonders empfohlen wird die Verwendung de« Metalls zur Herstellung von Schaufenstergestellen, FleischerlädenEin- richtungen, Kochgeräten, Trinkbecher» und Pflanzenschildern. Der bedeutende Nachteil, daß sich das Aluminium nicht löten läßt, ist allerdings nicht abzustreiten und wird so gar für unauSgleichbar gehalten, unser sachverständiger Gewährsmann wenigstens ist der Meinung, daß die Ler lötung eines Stücke» Aluminium mit einem anderen ebensowenig gelingen wird wie die Lötung eine» Steine« an einen anderen, weil schließlich auch da» Aluminium seinem Ursprünge nach nur Stein sei. Die letzte Be hauptung wird schwerlich allseitig angenommen werden, da die Hoffnung auf die Entdeckung eines Aluminium- Lötverfahrens durchaus noch nicht aufgegeben worden ist. Der neuen Machschen Legierung von Aluminium mit Magnesium wird dasselbe Schicksal vorauSgesagt wie den vielen anderen bisher vorgeschlagenen Legierungen mit anderen Metallen, um so mehr als das Magnesium nicht fähig ist, eine gegen die Einflüsse von Luft und Wasser widerstandsfähige Mischung zu bilden. * Um die Bewachung de» „Fort Chabrol" scheint es, wie man uns aus Paris schreibt, nicht gerade glän zend bestellt zu sein Am Sonnabend früh um 5 Uhr gelang es dreiJournäüsten,ohnevondenverschiedenenAbsperr- ungsorganen im geringsten behelligt zu werden, bi» zum Thore des Forts zu gelangen, wo sie klopften und nach Guerin fragten. Dieser öffnete bereit», al« die Sicherheitsbeamten bemerkten, daß die mutigen Federhelden auf das „tsrri- toirs militnirs" — den von den Soldaten abgesperrt sein sollenden Halbkreis vor dem Fort — vorgedrungen waren. Die Journalisten wurden nun verhaftet, später aber wieder in Freiheit gesetzt. Dieser Vorfall soll auf der Polizei- präsektur einige Aufregung verursacht haben. Der Unter offizier der Garde röpublicaine, dem er zur Last gelegt wird, erhielt eine Disziplinarstrafe. Wachsamer waren um dieselbe Zeit die Schutzleute auf der anderen Seite des Fort«, in der Citö d'Haute- ville Dorthin hatte sich ein verlaufener Hund verirrt, den sie für toll hielten. Eine so günstige Gelegenheit, vom Revolver Gebrauch zu machen, hatte sich in den ganzen vier Wochen der Belagerung noch nicht geboten Deshalb wurde mit gezückten Feuerschlünden Jagd auf die Bestie gemacht und diese nach dem siebenten Schüsse auch glücklich erlegt Man kann sich denken, daß, infolge des Schießen» au» dem süßen Schlummer geschreckt, sämt liche Einwohner entsetzt an die Fenster fuhren und vor sichtig die Köpfe hinaus steckten, weil sie glaubten, das Bombardement auf die Guörinsche Festung sei nunmehr eröffnet worden. 8. 6. Eine Zigeunerhochzeit. Nicht weit von dem berühmten Jahrmarktsorte Montmerle bei Lyon konnte dieser Tage eine eigenartige Feier beobachtet werden Eine zahlreiche Zigeunerhorde, deren Mitglieder aus allen Richtungen der Windrose gekommen waren, hatte sich dort zusammengefunden, um die Hochzeit eines stattlichen jungen Mannes mit einer der schönsten Töchter de« schwarzhaarigen Nomadcnvolke« gebührend zu feiern. Den kurzen TrauungSakt vollzog der StammeSälleste, ein Zigeuner, der bereit« die meisten großen Landstraßen Europas durchzcgen hat und Pässe von allen Mächten aufweisen kann. Die dunkeläugige Braut empfing^ al« HochMegabe von ihren Stammetgeneffen bunte Seiden stoffe uno nn Halsdano, da» au» mehr al» Hunden Gold- stücken zusammengesetzt ist Bei dem festlichen Gelage, da« unter Gotte» freiem Himmel abgehalten wurde, verzehrte man außer vielen andern mehr oder minder edlen Ge tränken etwa hundert Flaschen Champagner, die man bei einem Weinhändler der Nachbarschaft bestellt und schon im vorau» bezahlt hatte. Vierundzwanzig Stunden später zerstreute sich da» seltsame Völkchen wieder nach allen Himmel«gegenden. Mit nackten Füßen, in ihrer malerischen, aber wenig kostbaren AUtag»kleidung schritten die heimat losen Männer und Frauen hinter den ihr ganze» Besitztum bergenden Wagen her, Sou sür Sou erbettelnd, um all mählich wieder einzubringen, wa« sie in einem in Sau« und Brau« verlebten Tage verthan hatten. * Durch Geistesgegenwart rettete ein Arbeiter der Wiener Stadtbahn sein Leben in dem Augenblicke, al« der Bahnzug über ihn hinwegfvhr Es wird darüber au« Wien berichtet: Der bei dem Bau der Marxerbrücke be schäftigte 22jährige Oberbauarbeiter Alois Cervenka schlief nachmittag« neben dem Gleise während der Arbeit ein. Da wurde er von einem Bahnwächter geweckt, weil ein Stadtbahnzug in kurzer Zeit die Stelle passieren sollte. Schlaftrunken wälzte er sich gerade auf da« Gleis Im nächsten Augenblicke kam der Eisenbahnzug. Die Loko motive erfaßte den Arbeiter, der zweifellos zermalmt worden wäre, wenn er nicht im Augenblicke der höchsten Gefahr so viel Geistesgegenwart gehabt hätte, seine Füße rasch einzuziehen und sich zwischen die Gleise zu legen. Die Lokomotive und zwei Waggon« fuhren über Cervcnka hinweg, ehe der Zug angehalten werden konnte. Eisen bahnbedienstete zogen den Arbeiter heraus und brachten ihn in den Wartesaal der Station Hauptzollami. Er hatte vier Rißwunden am Scheitel und ausgebreitete Kontusionen am ganzen Rücken erlitten Seine Ver letzungen sind wohl schwerer Natur, jedoch nicht lebens gefährlich. * Die indische Pest auf ihrem Höhepunkte. Die Pest scheint in einigen Teilen Indien« jetzt einen Grad erreicht zu haben, der einer Steigerung wohl nicht mehr fähig ist In Poona, dem Distrikt südöstlich von Bombay, hat Ende August die Sterblichkeit mehrere Wochen hintereinander (auf das ganze Jahr berechnet) einen Be trag von 500 auf 1000 erreicht, mit anderen Worten: e« stirbt die Hälfte aller Einwohner, wenn dieser Zustand ein Jahr hindurch anhält. Die Geschäfte sind fast alle geschloffen und der Verkehr stockt beinahe gänzlich. In den Quartieren der Beamten der südlichen Mahratta- Vahn wurden ganze Haufen toter Ratren gesunden, und einige der Tiere sah man tot von den Dächern herunter- fallen Die Behörden fürchten die allgemeine Panik zu vergrößern, wenn sie die wahre Zahl der Pestkranken be kannt geben, die in den Krankenhäusern ausgenommen werden. Trotzdem eine erhebliche Zahl der Bewohner die Flucht ergriffen hat, beträgt die Zahl der Todesfälle in jeder Woche mehr als 1000; fast alle sind auf die Rech nung der Pest zu setzen Im Februar erschien die Seuche von neuem in der Stadt Poona, schien aber bi« zum Juni wieder eingeschlasen zu sem; dann brach sie von neuem mit größter Heftigkeit au«. In den ersten drei Wochen de« August wurden in dem städtischen Hospital allein 500 Pestkranke ausgenommen. Die Zahl der Wärter genügte nicht entfernt, und nur wenige waren mutig ge nug, ihre Dienste zur Aushilfe anzubieten Das Elend der Bevölkerung spottet jeder Beschreibung. Ein nach England gelangter Bericht lautet: „Man könnte Bücher mit Erzählungen der Vorgänge füllen, die sich auf den zur Leichenverbrennung bestimmten Plätzen zutragen. Infolge der ungeheuren Zahl von Leichen, die tag täglich zur Verbrennung herbeigeschafft werden, spielen sich dort die fürchterlichsten Scenen ab. Da« Schlimmste ist, daß die Leichen gar nicht mehr beseitigt werden können, da eö an Brennmaterial fehlt und diese» nur zu ungeheuerlichen Preisen erhalten werden kann. Kaum wagt einer der Angehörigen, «ine Leiche nach dem Ver brennungsplatze hinaus zu begleiten; und geschieht die«, so fliehen gewöhnlich alle, sobald der Tote auf den Scheiterhaufen gelangt und das Feuer angezündet ist, letzterem das Weitere überlastend. In der Stadt Haide- rabad am unteren Indus ist die Pest von neuem er schienen, und die Sterblichkeit ist außerordentlich hoch Die ganze Stadt scheint durchseucht zu sein Au« mehreren Straßen flohen die Bewohner bis auf den letzten Mann, überall herrscht große Furcht vor Zwangtmaßregeln seitens der Behörden. Der größere Teil der geängsteten Einwohner von Haiderabad ist nach dem Hafen Karachi geflohen, wo seit mehreren Wochen fast kein einziger Pest fall mehr vorgckommen ist; nunmehr aber hat sich natür lich auch für diesen Ort die Gefahr wieder erneuert. Höchst ungünstige Nachrichten kommen auch au» der Provinz Mysore, besonder« von der Hauptstadt Bangalore. In Bombay und in Calcutta scheint die Seuche sehr herabgegangen zu sein, nach den bisherigen Erfahrungen Der Leher. Novelle von Rudolf Lindau 7 (Fortsetzung.) III. Der Winter nahte seinem Ende. Es war im Monat März. Ich war durch verschiedene Einlad ungen mehr als gewöhnlich in Anspruch genommen worden und hatte zum ersten Male seit meiner Be kanntschaft mit Stachowitsch diesen mehrere Tage lang nicht gesehen. E'nes Abends gegen elf Uhr, als ich nach Hause gehen wollte, führte mich mein Weg an seiner Wohnung vorüber. Ich blickte auf und sah die Fenster seines Zimmers erleuchtet Ich klingelte, trat in das HauS und erfuhr vom Portier, daß Herr Stachowitsch nicht auSgegangen sei. Ich fand ihn schreibend. „Sie kommen wie gerufen", sagte er sich schnell erhebend und mir entgegengehend. „Ich habe Sie um einen Freundschaftsdienst zu bitten." Darauf nötigte er mich zum Sitzen und nahm mir gegen über Platz. Ich bemerkte auf den ersten Blick, daß er sich in außerordentlicher und peinlicher Auf regung befinde. , Was ist vorgefallen?" fragte ich Stachowitsch erhob sich und ging einige Male schnell im Zimmer auf und ad. Dann blieb er vor mir stehen und fragte mich: „Hollen Sie mich für einen Feigling?" „Nein, sicher nicht!" antwortete ich „Aber was foll diese Frage bedeuten?" „Ich bin beleidigt worden... und kann mich nicht schlagen." „Hm", antwortete ich etwas gedehnt, „eS giebt Leute, die sich grundsätzlich mcht schlagen. Das ist eine Gew.sscnefrage, vielleicht auch nur eme Geschmack- sache; darüber läßt sich nicht streiten . . ." „Sie verstehen mich falsch", unterbrach mich Stachowitsch. „Ich habe bereits mehrere Duelle in meinem Leben gehabt . . . aber ich bin von Mofferat beleidigt worden . . Er stockte. „Nun", fragte ich, „was hat das zu bedeuten? ob von Mofferat oder von einem andern?" „Ich kann mich mit Mofferat nicht schlagen." „Weshalb nicht?" „Ich kann eS nicht... ich darf eS nicht!" Er sprach laut, mit großer Heftigkeit. „Lieber Stachowitsch", sagte ich ruhig, „ich stehe gern zu Ihren Diensten, unter der Bedingung jedoch, daß eS Ihnen gefallen möge, mir klar zu machen, wie ich Ihnen nützlich sein kann. Ich verstehe Sie nicht. Sie sprechen in Rätseln. — Was ist vorgefallen?" „Ich bin von Mofferat beleidigt worden." „So sagten Sie mir bereits zweimal." „Ich habe ein Recht, Genugthuung zu verlangen." „Darüber werden wir uns verständigen, sobald Sie mich etwas mehr in die Sache eingeweiht haben. Mofferat gilt für einen Ehrenmann, der Ihnen keine Genugthuung verweigern wird." „Aber ich kann mich nicht mit ihm schlagen." Ich war nahe daran, die Geduld zu verlieren, urd erhob mich. „Ich werde morgen früh um neun Uhr zu Jhncn kommen", sagte ich, „bis dahin werden Sie sich hoffentlich genügend beruhigt haben, um wie ein vernünftiger Mensch mit mir zu sprechen. Gute Nacht!" „Nein, bleiben Sie! Verlassen Sie mich nicht! Ich weiß nicht, was ich anfangen soll, wenn Sie mir nicht teistehen." „Sehr wohl. Ich bleibe. Seien Sie ruh'g. Geben Cie mir Feuer. Stecken Sie sich eine Zigarette an. — So. — Nun sagen Sie mir, weshalb Sie sich nicht mit Mofferat schlagen können." Er sah mich lange starr an. Seine weitgeöffneten Augen nahmen einen Ausdruck des Entsetzens an. „Weil ich nicht sein Mörder werden will", ant wortete er endlich langsam, jedcS Wort fest betonend. „Sie werden immer unverständlicher." „Weil ich sicher bin, Moffcrat zu töten, wenn ich mich mit ihm schlage." Ich zuckte die Achseln und gab deutliche Zeichen von Ungeduld. „Lassen wir das für den Augenblick", sagte ich ziemlich übler Laune. „Wir können davon später sprechen. Aber zunächst erklären Sie mir, was vor- oefallen ist. Ehe ich das nicht weiß, ist eS mir schlechterdings unmöglich, irgend etwas sürSiezu thun." Die Geschichte, die mir Stachowitsch nun endlich erzählte, war kurz und durchaus nicht verwickelt. Seit längerer Zeit bereits war da- alte freundschaft liche Verhältnis zwischen ihm und Mofferat ab gebrochen worden. Die beiden jungen Leute waren gegenseitig auf einander eifersüchtig und beobachteten sich, wenn sie bei Frau v. Mauny mit einander zu sammentrafen, mit schwer zu verbergendem Uebelwollcn. — Vor einigen Wochen hatte Mofferat um die Hand von Fräulein v. Massieux angehalten; lein Antrag war von dem jungen Mädch n wie etwas gänzlich Unerwartetes mit El staunen und auf das «ntschiedrnste abgewicfen worden. Seitdem hatte Mofferat das Haus seiner Tante gemieden, aber er haste Stacho- witsch doch nicht ganz aus den Augen verloren. Er traf mit ihm nach wie ror häufig im Klub zusammen. Tie beiden begrüßien sich zwar noch, aber seit geraumer Zeit wlchseltcn sic kein Wort mehr miteinander. Vor einigen Stunden, im Fechtsaal des Klubs, haste Mof ferat seinen ehemaligen Freund plötzlich angeredet und rhn gefragt, ob er einen Gang mit ihm machen wollte. Stachowitsch hatte dies, wie bei früheren Gelegen heiten, abgelehnt. „Ich bin mir bewußt, mit ausgesuchter Höflichkeit gesprochen zu haben", — erzählte er weiter — „denn die Absicht, Streit mit Mofferat zu suchen, lag mir fern; aber dieser hatte eS darauf abgesehen, mit mir anzubinden. Er antwortete mir gereizt, beinahe un höflich, und als verschiedene andere Mitglieder des Klubs, die dem Auftritt beiwohnten, ihn beschwichtigen wollten, ihm geradezu sagten, daß er im Unrecht sei, da jedermann im Klub meine Sonderbarkeit in der Wahl meiner Gegner seit Jahren als etwas voll ständig Harmloses dulde, wurde er nur noch heftiger und zuletzt so beleidigend, daß ich mich gezwungen sah, ihn zu ersuchen, seine Worte zurückzunehmcn. Er lachte und sagte, er denke gar nicht daran, etwas AehnlichcS zu thun, und überlasse eS mir, seine Worte rinzusteckcn oder dafür Rechenschaft von ihm zu fordern. — Alle Anwesenden gabcn ihm einstimmig unrecht. Einige waren über sein Betragen entrüstet und er klärten unumwunden, daß man ein solches im Klub nicht dulden dürfe, daß Mofferat mich um Verzeihung bitten oder seiner Ausstoßung gewärtig sein müsse; — aber das alles ändert an meiner Lage nichts. Ich darf die Beleidigung, die mir -»gefügt ist, nicht auf mir sitzen lasten und muß dafür Rechenschaft ver langen. — Raten Sie mir, stehen Sie mir bei." (Fortsetzung fclgt.)
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