Volltext Seite (XML)
STEINSAAL DEUTSCHES HYGIENE MUSEUM Dienstag, 27. März 1962, 19.30 Uhr 4. KAMMERMUSIKABEND der Kammermusikvereinigung der Dresdner Philharmonie Ausführende : Günter Siering Violine Günther Schubert Violine Herbert Schneider Viola Erhard Hoppe Violoncello Johannes Walter Flöte Wolfgang Amadeus Mozart 1756 - 1791 Quartett für Flöte, Violine, Viola, Violoncello D-Dur KV 285 Allegro Adagio Rondo, allegretto Dmitri Schostakowitsch geb. 1906 Streichquartett Nr. 8 c-Moll Largo - allegro molto - allegrctto - largo - largo Pause Ludwig van Beethoven 1770 - 1827 Streichquartett e-Moll op. 59 Nr. 2 Allegro Molto adagio Allegretto Presto ZUR EINFÜHRUNG Das Flötenquartett in D-Dur, KU 285, vom 25. Dezember 1777, entstammt lUolfgang Amadeus Mozarts Mannheimer Zeit und ist nebst den beiden Flötenkonzerten KV 313 und 314, dem Andante für Flöte und Orchester, KV 315, und zwei weiteren Quartetten für Flöte und Streicher, KV 285b und 298, für den vermögenden Holländer De Jean komponiert. Alle diese Werke beweisen, wie sehr Mozart das ganz eigene Wesen der Flöte erfaßte, ihren technischen Forde rungen gerecht wurde, obwohl er eigentlich dieses Instrument niemals recht leiden mochte. Schon der Beginn des Flötenquartetts D-Dur weist in der Melodik typische Mannheimer „Seuf zer“ auf. Der erste Satz fällt überhaupt durch eine bemerkenswerte Stimmführung und eine für Mozart ungewöhnlich umfangreiche thcynatische Durchführung auf. Am reizvollsten ist wohl das Adagio mit seiner romanzenartigen Flötcnmelodie zur Pizzicatobcglcitung der Streicher. Dmitri Scbostakowitscb, bedeutendster Exponent der sowjetischen Musik, dessen Meisterschaft auf dem Gebiete der Sinfonik internationale Anerkennung fand, hat auch die musikalischen Gattungen der Kantate, des Oratoriums und - nicht zuletzt - der Kammermusik mit gewichtigen Schöpfun gen bedacht. Seine zahlreichen Werke für Streicher und Klavier, für Klavier allein und vor allem die bis jetzt vorgelegtcn acht Streichquartette sind lebendige originelle Zeugnisse von Schosta- kowitschs nicht nur der dramatischen Großform, sondern auch dem intimen Musizieren zu gewandten Haltung. Auch in seinem 8. Streichquartett c-Moll, das während der Salzburger Fest spiele 1961 erfolgreich von dem berühmten Moskauer Borodin-Quartett uraufgeführt wurde, begegnen uns alle Vorzüge seines eigengeprägten Personalstils: Verständlichkeit, Gedanken reichtum, eine Fülle starker Empfindungen, Wahrung der traditionellen Tonalität unter Aus schluß abgebrauchter harmonischer Mittel, eine an starken Wirkungen und Wendungen reiche Melodik und Rhythmik, ungewöhnlicher Einsatz der instrumentatorischen Klangfarbenregionen. Schostakowitschs 8. Streichquartett ist fünfsätzig; davon stehen drei Sätze im langsamen lento- Tempo. Inhaltlich ist daher in diesem Werk ein Übergewicht des vergrübclt-lyrischcn Elements gegenüber einer fröhlichen Lebendigkeit festzustcllen. Diese Neigung zu einer quasi monologi schen gelegentlich rczitativischcn Grübelei entspringt jedoch keiner naiven Redseligkeit, sondern einem echten künstlerischen Mitteilungsbedürfnis. In den beiden raschen Sätzen begegnen brillante Ostinatowirkungen. Schostakowitschs immer persönliche Handschrift steht in diesem Quartett, wie man meinen möchte, zwischen Honeggers Schwung einerseits und Pfitzners Introvertiertheit andererseits. Drei Quartette, op. 59, aus dem Jahre 1806 stehen am Anfang einer Reihe von Streichquartetten aus Ludwig van Beethovens mittlerer Schaffensperiode. Der Meister widmete sie dem musiklicbenden russischen Fürsten Andrej Rasumowski. Daher heißen diese Werke Rasumowski-Quartette. Sie gehören zu Beethovens bedeutendsten Leistungen. In den Quartetten, die durch einen eigen willigen Stil und hohe technische Ansprüche an die Ausführenden gekennzeichnet sind, ver arbeitete der Komponist russische Volksweisen. Das 2. Rasumowski-Quartett e-Moll beginnt mit einem Sonatensatz (Allegro), dem mottohaft zwei Akkordschläge vorangcstellt sind, ehe nach einer Generalpausc das Hauptthema pp einsetzt. Der ganze Satz gewinnt seine Kraft aus der Auseinandersetzung mit verschiedenen Motivgruppen, wobei es zu erregenden klanglichen und rhythmischen Bildungen kommt. Empfindungsreichtum zeichnet den zweiten Satz (Molto Adagio) mit seinem choralartigen Hauptgedanken aus, den die 1. Violine einführt, während die übrigen Instrumente kontrapunktisch hinzutreten. Das melodische Bild des Adagios wird von rhythmischen Impulsen belebt. Nach dynamischen Steigerungen verklingt cs ruhig. Zweiteilig (Minore und Maggiore) ist das anschließende kapriziöse Allegrctto. Das Maggiore bringt als Trio das gedankliche Zentrum des Quartetts, das „Thieme russe“ (das Kopfmotiv des ersten Satzes ist unter anderem auch als Umdeutung dieses Themas aufzufassen), das später übrigens Mussorg- ski in der Krönungsszcnc seines musikalischen Volksdramas „Boris Godunow“ verwendete. Beethoven führt cs in unentwegter Steigerung polyphon durch die Stimmen. Mitreißend beginnt das Prestofinale, dessen schwungvolles Hauptthema sich nach Rondoart immer wieder gegen über Nebengedanken behauptet. Mit einer humor- und temperamentvollen Coda schließt das Werk. Dieter Härtwig