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r ZUR EINFÜHRUNG Jean Sibelius, der alte finnische Barde (geb. 1865), ist der Sänger Finnlands. In keinem seiner Werke (Sinfonien, sinfonische Dichtungen, Lieder, Kammer musik) verleugnet er den finnischen Ursprung, über all singt er zum Lobe seiner Heimat die dunklen und wilden Melodien seines Volkes. Er ist ein echter Romantiker, der in unsere Zeit hineinragt wie bis vor kurzem bei uns Deutschen Hans Pfitzner. Seine Werke künden von den ewig rauschenden Wäldern, von den tausend Seen, von den tosenden Wasser fällen, vom Winter Finnlands — aus ihnen klingt das Fcho der großen, unverfälschten Natur dieses nordischen Landes. Sibelius hatte das Glück, vom Staate einen Sold zu erhalten, so daß er ohne Sorgen seinem Schaffen leben konnte. Hierin ist er mit Tschaikowskij zu vergleichen. Er dankte dem Staate durch eine Fülle großartiger und wertvoller Werke, die vor allem mit halfen, den Namen Finnlands in alle Welt zu tragen. Finlandia (op. 26, Nr. 7) ist eine sinfonische Dich tung, die 1899 erschien. Sie zeigt noch nach 50 Jah ren die Frische und Urwüchsigkeit wie zur Zeit ihres Entstehens. Mit kraftvollen, dunklen Akkorden be ginnt sie. Es sind vier Gedanken nach dieser düster — schmerzlichen Einleitung zu hören: einmal ein rhythmisch flackerndes Signal, dann eine Baß- melodig, deren Schwerpunkte sich dauernd ver schieben, darauf eine leuchtende Melodie, die auf das Signal zurückgeht und einen kämpferischen Charakter hat, und zuletzt eine sehnsüchtig-schwär merische Melodie von echt volkstümlicher Wirkung, in der Sibelius den Volkston so gut getroffen hat, daß man meint, ein wirkliches Volkslied zu hören. Mit diesem Material arbeitet der K<^ponist in freier Weise, mit ihm gestaltet er grandiose Höhepunkte, mit ihm ringt er um einen tiefen, bedeutenden Ausdruck. Finlandia ist vielleicht das bekannteste Werk des 84 jährigen Komponisten. Aus ihm spricht das Land selbst, kein anderes enthält so viel von der finnischen Seele. Hier ist also echte Volkskunst zu verspüren, die zugleich zu den Spitzenwerken der Kunstmusik gehört. Und so sollte es - wenn möglich - immer sein . Hilding Rosenberg gehört zu den bekanntesten schwedischen Komponisten. Er wurde im Jahre 1892 in Südschweden geboren und hat u. a. in Stockholm und Dresden studiert. Seine reiche Produktion — teilweise in einem ausgesprochen radikalen Stil — umfaßt u. a. mehrere Opern, Ballette, Schauspiel- und Kammermusik, fünf Sinfonien, die Sinfonia da chiesa Nr. I und II sowie ein Violinkonzert. Hilding Rosenberg ist auch als Pianist, Lehrer und Dirigent tätig (er war u. a. in den Jahren 1932 bis 1934 bei der Königl. Oper in Stockholm als Kapellmeister engagiert). Das Konzert für Streichorchester wurde im Herbst 1946 komponiert. Der erste Satz ist, wie der Kom ponist angibt, „streng“ gehalten. Er hat einen erup tiven Grundcharakter, aber enthält ein spielerisches zweites Thema, das später als Akkompagnements figur verwendet wird. Der Satz; enthält konzertierende Abschnitte für die Soloinstrumente. Der zweite Satz fängt mit einer einfachen, liedartigen Melodie an (pizzicato) die von Variationen hierüber abgelöst wird; er endet phantasieartig in den Soloinstrurnen- ten. Der letzte Satz ist ein Perpetuum mobile, das in schnellen Sechzehnteln vorbeieilt. Als Antonin Dvofäk seine Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ (Nr. V, e-moll, op. 95) schrieb, ahnte er nicht, daß ihm mit diesem Werk ein wahrhaft volkstümlicher Wurf gelingen sollte. Als Huldigung an Amerika gedacht, das ihm für einige Jahre zur Heimat werden sollte, nimmt er melodische Eie mente aus dem Indianischen auf, verarbeitet er rhy th mische Impulse aus ftegro-Spirituals und versucht, ein Abbild des amerikanischen Optimismus dieser Jahre vor der Jahrhundertwende zu geben. Dies gelingt ihm ausgezeichnet. Aber es ist noch mehr in dieser Sinfonie enthalten. Niemals in diesen Jahren, da er Direktor eines ameri kanischen Konservatoriums war, hat er seine tschechische Heimat vergessen, niemals hat er sein Heimweh ganz besänftigen können. Und gerade in dieses Werk ist seine Sehn sucht hineingeflossen. Vielleicht liegt in diesen beiden Eigenschaften: in der Darstellung der Kraftfülle eines jungen Kontinents und im Ausdruck weh mütigen Heimwehs nach der alten Heimat, das Ge heimnis der großen Wirkung dieser Sinfonie begrün det. Der Bereich des menschlichen Gehaltes dieses Werkes ist dadurch so groß und umfangreich gewor , den. Aber das ist noch nicht alles. Die Alte und die Neue Welt konnte an diesem Werke außerdem noch eine unerhört formale Könnerschaft Dvofäks bewun dern. Man vermutet gerade bei ihm, demVollblutmusi kanten, daß ihm formale Belange nicht so wichtig waren. Und doch ist alles da: die zwei Themen des ersten Satzes und ihre Durchführung, die dreiteilige Liedform des zweiten Satzes mit der wundersamen Melodie des Englischhorns, das kapriziöse Scherzo und das gewichtige Finale, das in der Form des Rondos mit sehr melodischen Zwischenspielen nieder geschrieben ist. Aber auch das ist noch nicht alles. Gekrönt wird dieses Werk, das so glücklich Inhalt und Form in einen Ausgleich bringt, von der Tat sache, daß alles klingt. Es klingt alles so schön, so hinreißend, so sinnlich, daß man diese Seite der Könnerschaft Dvofäks nicht mehr überhören kann, ja, daß man sie als vorbildlich und nachahmenswert hinstellen muß. Die Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ mußte ein Wurf sein, weil sie ein vollkommenes Meisterwerk ge worden ist. Und das empfand beglückt die Neue und die Alte Welt und dankte es Dvofäk dadurch, daß sie dieses Werk zu ihrem Liebling erklärte. Und das ehrt beide: Publikum wie Komponist. Johannes Paul Thilman 4. Philharmonisches Konzert: Mittwoch, den 14. Dezember 1949, 19 Uhr Dirigent: Prof. Heinz Bongartz . . Solist: Max Michailow, Berlin (Violine)