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ZUR E I N F Ü H R U N G Armin Schibier, ein 1920 geborener Schweizer Komponist, vollendete seine 1946 geschriebene Sin fonie „Quasi una Fantasia“ op. 17 in London, wo er sein in Zürich begonnenes Musikstudium abschloß. In dem einsätzigen Werk sind klar drei Teile zu er kennen, die er „wie eine Fantasie" aneinanderreiht und womit er auf eine von der üblichen Sinfonieform abweichende sinfonische Gestalt zusteuert. Über den Inhalt sagt er: „Sosehr dieses Werk aus dem Zeiterlebnis heraus entstanden ist, möchte es einen Weg in die Zukunft weisen. „Per aspera ad astra" (Durch das Dunkel zum Licht) ist das Motto, mit welchem man den geistigen Gehalt am besten fassen kann.“ Seine Sprache, der Neuen Musik stark verhaftet, nimmt an den Bestrebungen vieler heute schaffenden Komponisten teil, sich an der Barockmusik zy orien tieren. Interessant ist, daß Schibier jedoch ganz romantisch fühlt, da er als das Ziel des Werkes d^i verklärten Ausklang bezeichnet, in welchem es „wie ein sinnvoll durchkämpftes Leben in den erlösenden Tod“ verströme. Mit dieser Auffassung, daß der Tod die Erlösung vom Leben sei, unterscheidet er sich von uns, die an eine freudige, lebendige Zukunft glauben. Drei Themen formen das Ganze. Immer sind die Anfangsmotive dieser Themen am wichtigsten, denn sie sind entscheidend am Aufbau des Werkes be teiligt. Sie werden häufig imitiert, oft auch rhyth misch variiert. Zwei dieser Themen bilden in ihrer erst spät gefundenen Gestalt das Material zur ab schließenden, frei durchgeführten Doppelfuge. Vor dieser Fuge schiebt sich eine Episode ein, in der das dritte Thema sich zum Adagioteil des Werkes ent wickelt. In seiner versunkenen, zarten Haltung bildet er einen wirkungsvollen Gegensatz zu den ihn ein fassenden Teilen, in denen eine kämpferische Grund haltung zum Ausdruck gelangt. Das Werk bedeutet einen wichtigen Beitrag zum sinfonischen Schaffen der Gegenwart. Armin Schibier hat mit seiner ernsten, von hohem Verant wortungsbewußtsein getragenen Auffassung vom Wesen der Sinfonie Bedeutendes auszusagen. Jacques Ibert, geb. 1890 in Paris, war kein Mitglied des berühmten Musikerkreises der „Six", dem Honegger, Milhaud, Poulenc und Auric angehörten, aber er bekehrte sich zu den Ideen dieser Gemein schaft, die er heute noch in seinen Werken verficht und verwirklicht. Er bemüht sich um eine Musik, die durch eine selbstgewählte Einfachheit auffällt. Er ringt um die Verwirklichung der Forderung Coc- teaus, daß man eine irdische Musik bauen müsse, in der man wohnen könne wie in einem Haus. Das be deutet Absage an die Romantik und Einwendung zur Klassik. In Frankreich liebt man, sich klar, offen, ge wandt. geistvoll, oftmals parodistisch auszudrücken. Alles dies findet man in Iberts Musik wieder, die flüssig und sprühend, sich nach' der heiteren Seite des Lebens hinneigt. Das Konzert für Flöte und Orchester (1934) spiegelt diese Eigenheiten seiner musikalischen Sprache wider. Das Allegro des ersten Satzes läuft heiter, leicht und hurtig ab. Zwei Themen stehen sich klar gegenüber, von denen das erste, hurtig laufende dem ganzen Satz sein Gepräge verleiht. Das Andante des zweiten Satzes klingt zart und süß. Der Einfluß des Impressionismus und seines großen Wortführers De- bussy hat alle Komponisten der Gegenwart be einflußt. So auch Ibert. Der Schlußsatz (Allegro scherzando) wirbelt nur so dahin. Rhythmische Feinheiten verleihen ihm einen besonders spritzigen Charakter. Ibert liebt und be vorzugt die Holzbläser, denen-er seine wichtigsten Einfälle anvertraut. Das Konzert für Flöte und Orchester zeigt das Können dieses liebenswürdigen und geistvollen Meisters von der besten Seite. Anton Bruckner (1824—1896) ist mit neun Sin fonien in die Unsterblichkeit eingegangen. Aber nur wenige wissen, daß er elf Simonien geschrie ben hat, daß den bekannten und berühmten neun zwei unbekannte, ja verheimlichte und von ihm ver leugnete vorangegangen sind. Nach der „Schul Sinfonie“ in f-moll und der wirklichen Ersten schiebt sich noch die 1869 komponierte sogenannte „Nullte" Sinfonie in d-moll ein, die Bruckner der Öffentlichkeit vorenthielt mit der Überzeugung, daß dieses Werk nichts wert sei. Sie ist dann aus dem Nachlaß im Jahre des 100. Geburtstages Bruckners 1924 veröffentlicht worden. Dieses Werk zeigt in jedem Takt die unverwechsel bare Handschrift des Meisters. Diese Sinfonie braucht sich im Kreise ihrer neun berühmten Schwestern nicht zu schämen. Es ist zwar so, daß ihre Themen gegenüber den späteren Werken eine gewisse Naivität und Bescheidenheit erkennen las sen, daß die Durchführungen noch nicht von einer so majestätischen Größe sind und die Kontraste noch nicht so scharf profiliert wie später — aber im ganzen ist sie schon ein vollgültiges Werk und ist würdig, Bruckners Namen zu tragen. Der erste Satz entwickelt drei Themen, die er mit voller Entfaltung des Blechbläserchores durchführt, um sie dann wiederholend nochmals aufzuzeigen. Eine großartige Schlußsteigerung dieses Satzes deutet klar auf den späteren Bruckner hin. Der zweite Satz ist von choralartiger Schönheit. In ihm ist schon eine sehr dichte motivische Arbeit von höchster Kunstfertigkeit festzustellen. Das Scherzo ist sehr konzentriert, das Wechselton motiv des Anfangs spielt eine architektonisch wich tige Rolle. Ein knappes, zartes Trio bildet den denk bar schärfsten Gegensatz dazu. Nach der kurzen, langsamen Einleitung des Schlußsatzes erklingt ein wuchtiges Unisono-Thema, dessen Kopfmotiv, ein Oktavsprung nach unten und ein Dezimensprung nach oben, für die Weiterentwicklung und Durch führung sehr wichtig ist. Das zweite Thema wird zu nächst von den Geigen vorgesungen; aber erst die Celli erfüllen es mit sehnsüchtigem Ausdruck. Das dritte Thema, ein Choral in den Streichern, leitet zu den ruhigen Anfangstakten dieses Satzes über, die eine großartige Durchführung vorbereiten. In ihr zeigt sich schon die Meisterschaft Bruckners. Diese Sinfonie enthält im Keime alles, was Bruckner später nur eindringlicher und deutlicher wiederholte und ausbaute. Seien wir dankbar, daß es die „Nullte“ neben ihren großen Schwestern gibt. Johannes Paul Thilman 8. Philharmonisches Konzert am Mittwoch, dem 19. April 1950, 19 Uhr Dirigent: Prof. Heinz Bongartz . Solistin: Margot Pinter, Wiesbaden, Klavier Werke von Poser,. Tschaikowsky und Beethoven