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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES H Y G I E N E - M U S E U M Sonnabend, 29. Oktober 1960, 19.30 Uhr Sonntag, 30. Oktober 1960, 19.30 Uhr 2. ZYKLUS-KONZERT DIRIGENT Siegfried Geißler SOLISTIN Lore Fischer, München (Alt) ANTONIN DVORAK 1841—1904 Der Wassermann, Sinfonische Dichtung, op 107 nach der Ballade von Karel Jaromir Erben (Erstaufführung) Zigeunerlieder op. 55 a) Mein Lied ertönt . . . b) Ei, wie mein Triangel wunderherrlich läutet c) Rings ist der Wald so stumm und still d) Als die alte Mutter . . . e) Reingestimmt die Saiten f) In dem weiten, breiten luft’gen Leinenkleide g) Horstet hoch der Habicht auf den Felsenhöhen Aus den 10 Legenden op. 59 Nr. 2 G-Dur Nr. 3 g-Moll PAUSE 2. Sinfonie B-Dur Op. 4 (Erstaufführung) Allegro con moto Poco adagio Scherzo, allegro brio Allegro con fuoco ik und Gattin Die sinfonische Dichtung „Der Wassermann“ op. loy aus dem Jahre 1896 gehört in eine Gruppe von fünf Belegen dieser Kategorie, die Dvoraks letzten Beitrag zur Programmusik darstellen. Vier davon sind einander nah verwandt, schon allein aus dem Grunde, weil ihre Stoffe dem Gedichtband „Der Blumenstrauß“ von Karel Jaromir Erben (1811— 1870) entnommen sind (übrigens auch der zur balladischen Kantate „Die Geisterbraut“ aus dem Jahre 1884). Erbens Dichtungen wurzeln in Überlieferungen, wie sie in Glauben und Aberglauben beim Volke lebendig waren; ihre Sprache ist knapp und anschaulich wie die des Volkes, ungesucht und gefühlsstark: Wesenszüge, die sich mit denen Dvoraks decken und die er bei allem Einsatz seiner nunmehr zur Vollendung gereiften technischen Meister schaft in dieser Gruppe seiner sinfonischen Dichtungen vordergründig zu halten weiß. Nachstehend der Inhalt der Volksballade 1 : „Am Ufer des Sees sitzt auf einer Pappel, bei fahlem Mondlicht, der Wassermann, näht sich ein grünes Kleid und rote Stiefel und singt dazu, denn am nächsten Tag soll seine Hochzeit sein. Das Opfer, das er sich aus erlesen, ein Mägdlein aus dem nahen Dorfe, erhebt sich frühmorgens von seinem Lager und will im See seine Kleider waschen. Vergebens sucht die Mutter, unter Hinweis auf einen unheilkündenden Traum, den sie in der verflossenen Nacht gehabt, dies zu verhindern; vergebens warnt sie, da heute Freitag ist. Die Tochter aber läßt sich nicht abhalten und, von einem unwiderstehlichen Drange getrieben, eilt sie zum See. Kaum aber taucht sie das erste Tüchlein ins Wasser, da bricht der Steg unter ihren Füßen, und jubelnd klatscht der Wassermann in die Hände, da er sein Opfer in die Fluten versinken sieht. Sie wird sein Weib. Aber traurig und öde ist es in der Wassertiefe, wo der Wassermann die Seelen der Ertrunkenen gefangen hält, und traurig ist das Wiegenlied, das die Arme, ihr unseliges Schicksal beklagend, ihrem Kinde singt, denn sie krankt an Heimweh und heißer Sehnsucht nach der Mutter. Den Wassermann erzürnt das Lied, ergrimmt droht er, sie in einen Fisch zu verwandeln. Aber selbst zum fühllosen Steine will sie werden, wenn er ihr nicht gestatten will, wenigstens einmal zur Mutter zu gehen. Unaufhörlich dringt sie mit Bitten in ihn; so gibt er schließlich nach und entläßt sie auf einen Tag zur Ober welt; das Kind jedoch behält er zum Pfände. Das ist nun ein trauriges Wiedersehen mit der Mutter, und die Tränen und Klagen wollen kein Ende nehmen. Als die Dämmerung hereinbricht, wird ungestüm an die Türe gepocht; es ist der Wassermann, der sein Weib zurückverlangt. Die Mutter weist ihn höhnend zurück. Da erhebt sich auf dem See ein furchtbarer Sturm; plötzlich schleudert jemand mit großer Gewalt etwas auf die Schwelle der Hütte. Die Mutter öffnet und findet — die Leiche des Kindes, dem der Wassermann den Kopf vom Rumpfe getrennt hat.“ Dem Vorwurf entsprechend macht Dvorak, der das Werk in der freien Rondoform ange legt hat, den Vodnik (Wassermann) zur zentralen Gestalt des Ganzen, deren Thema sowohl zu Eingang als auch jeweils nach den Episoden Mutter—Tochter, Schlaflied der Tochter für das Kind und wiederum Mutter—Tochter bestimmend bleibt für die düstere Grundfarbe des Werkes. Bestechend, wie der Meister Kontraste zu setzen weiß, etwa in der ersten Episode Mutter—Tochter, wo er in der Form eines im Volkston gehaltenen drei teiligen Liedes nach Leos Janäceks Worten eine „so liebliche Melodie“ schreibt, „daß sie die ganze Seele mit einem Strom von Wärme erfüllt“, oder in der Schilderung des Zu standes der aller Hoffnung beraubten jungen Mutter in der Gewalt des Dämons, die ihrem Kinde, dem grünhaarigen „Wassermännlein“, ihr Wiegenlied singt. Ein Werk meisterlicher Gestaltung auch von der Instrumentation her, die jedwede Mög lichkeit der Klangfarben und der dynamischen Mittel souverän zu nutzen weiß. Der Gattung des Sololiedes widmet sich Dvorak über sein gesamtes Schaffen hinweg mit Hingabe, sobald das Ausruhen von größeren Arbeiten ihm den Blick auf intimere Bezirke freigibt. Gern schafft er dann Zyklen auf Dichtungen eines Autors oder aus einem Sammel werk und weiß die Textvorlage durch seine Tonsprache trefflich in den Reiz des Unmittel baren einzukleiden. Die sieben Zigeunerlieder aus dem Jahre 1880 (deutschsprachige Texte: Adolf Fleyduk), geschrieben für den Kammersänger Gustav Walter in Wien, sin gen in bunter Folge von den hellen und auch den dunkleren Seiten des Lebens, von Ungebundenheit und Liebe zu Musik und Gesang — insofern ganz persönliche Bekennt nisse und (trotz des Titels, dem er zwar durch gewisse Elemente der Verzierungstechnik der Zigeuner, nicht aber durch Verwendung der Zigeunertonleiter nachgeht) von durch aus tschechischem Charakter. Die zehn Legenden op. 59 schrieb Dvorak zwischen dem 12. Februar und 22. März 1881 ursprünglich für Klavier zu vier Händen und instrumentierte sie für Orchester vom !) Stud.-Part. Wiener Philharm. Verlag 1925