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13. November bis 9. Dezember des gleichen Jahres. Sie stehen in zeitlicher Nähe der „Slawischen Tänze“ (die ebenfalls zunächst für Klavier zu vier Händen geschrieben sind) und bilden ein besinnliches Gegenstück zu diesen. Entstanden in einer Periode des Dvo- fäkschen Schaffens, in der sich — bei aller Wahrung der nationalen Intonation — das thematische Material zu persönlicherem Ausdruck verdichtet, stellen sie nicht im eigent lichen Sinne Programmusik dar, stehen aber wohl — möglicherweise von dichterischen Eingebungen getragen — der legendären Idylle oder dem legendären Epos nahe. Ihr eng- begrenzter Rahmen (das Programm bringt die in sich kontrastierenden Nummern 2 und 3) und die weise Bescheidung auf geringbesetztes Orchester ließen transparente Stücke von fesselndem kammermusikalischem Zuschnitt entstehen, über die Eduard Hanslick (1825—1904, Verfechter der Kunst eines Johannes Brahms und leidenschaftlicher Gegner von Wagner und Bruckner) urteilte: ,,Vielleicht ist diese die schönste von diesen zehn Legenden, vielleicht ist’s eine andere: darüber wird es verschiedene Meinungen geben innerhalb der einen allgemeinen: daß sie alle schön sind.“ Und Brahms schrieb dem Ver leger Simrock: ,,Grüßen Sie doch ja Dvorak, und sagen Sie ihm, wie mich seine Legenden andauernd erfreuen. Es ist ein reizendes Werk, und neidenswert die frische, lustige, reiche Erfindung, die der Mann hat.“ So sehr die Orchesterfassung ihre Popularisierung begün stigte, so möchte ihnen doch in der ursprünglichen Fassung (auch eine solche für Klavier zu zwei Händen liegt vor) ein fester Platz im häuslichen Musizierkreis sicher sein! Die 2. Sinfonie B-Dur op.4 (Skizze: 1. August bis 9. September 1865; Partitur beendet am 9. Oktober 1865 in Prag; Überarbeitung des Werkes 1888) weist gleich ihrer Schwester, der 1. Sinfonie aus dem Anfang des gleichen Jahres, zumal in den Ecksätzen (Allegro con moto und Allegro con fuoco) noch eine Reichhaltigkeit des thematischen Materials auf, die gewiß ihre Wurzeln in der Fülle der inneren Spannungen hat, unter denen Dvorak in der Verfolgung seines Berufszieles stand. Mag sich auch in den beiden Sinfonien in manch weitgesponnenem Thema von unperiodischem Bau über ruheloser Harmonik der Einfluß der um die Jahrhundertmitte vordergründig werdenden deutschen Neuromantik (geschart um Franz Liszt in Weimar) widerspiegeln: bestimmend für ihren Charakter war im Grunde doch wohl der unablässig strömende, in Dvoraks ,,böhmischem Musikan- tentum“ wurzelnde Einfallsreichtum, dem erst in einem späteren Entwicklungsstadium die Fähigkeit des organischen Maßhaltens zuwuchs. Eine solche Feststellung besagt wenig gegenüber der Tatsache, daß umfassende musikalische Potenzen (über das durchschim mernde Vorbild großer Vorgänger der Gattung Sinfonie hinaus) Dvorak in seiner Eigen ständigkeit nach Einfall und Ausformung in melodischer, harmonischer und rhythmischer Beziehung auch hier schon als Sinfoniker von Rang ausweisen, als Sinfoniker, dem diese Gattung mehr ist denn nur eine überkommene Form, nämlich eines der Mittel, die per sönliche Aussage ins Allgemeingültige zu binden. Und ein Blick auf die Neunzahl seiner Sinfonien zeigt bei zunehmender Flügelweite ihrer Gesamtanlage wachsende Ausprägung des Persönlichkeits- (und damit zugleich des National-) Stils,womit Dvorak als der eigent liche Begründer der tschechischen Sinfonie und der Vollender ihrer ersten Phase in die Musikgeschichte eingegangen ist. Nicht in vollem Umfange trifft dies auf die eingangs gemach ten Bemerkungen der Mittelsätze (Adagio und Scherzo) zu: diese bieten— obwohl auch von be achtlichen Ausmaßen — strukturell ein Mehr an thematischer Straffung und erscheinen nach ihrer Form im ganzen und nach den Proportionen der einzelnen Teile abgerundeter. Lag es nahe, aus dem Untertitel „Die Glocken von Zlonice“ der 1. Sinfonie eine program matische Darstellung psychischer Vorgänge in Dvoraks Sturm- und Drangperiode abzu leiten, so zeugt die Zweite ihrem ganzen Charakter nach von deren Abklingen, zeigt das Bild einer, wenn auch noch nicht in sich widerspruchslosen, so doch bereits dem Kom menden zugewandten Jugend, der die gültige Überwindung alles Hemmenden zur Gewiß heit geworden ist. Die Anekdote weiß zu vermelden, daß diese Sinfonie dem Feuertode verfallen wäre, hätte nicht ein Orchesterkollege Dvoraks, der die bescheidene Wohnung mit ihm teilte, unter Hinweis auf seinen Kostenanteil an den Buchbinderarbeiten des Werk als Pfand begehrt und es so vor der Vernichtung durch den kritischen Autor gerettet. Walter Bänsch Zigeunerlieder Mein Lied ertönt, ein Liebespsalm, beginnt der Tag zu sinken, und wenn das Moos, der welke Halm Taupcrlen heimlich trinken. Mein Lied ertönt voll Wanderlust, wenn wir die Welt durchwallen, nur auf der Puszta weitem Plan kann froh mein Sang erschallen, kann froh mein Sang erschallen. Mein Lied ertönt voll Liebe auch, wenn Heidestürme toben; wenn sich befreit zum letzten Hauch des Bruders Brust gehoben! Ei! Ei, wie mein Triangel wunderherrlich läutet! Wie Zigeunerlieder, wenn zum Tod man schreitet! Wenn Triangelklänge mich zum ’l'od begleiten, ist’s mit Tanz und Liedern aus für alle Zeiten! Lieder, Reigen, Liebe aus für alle Zeiten, aus für alle Zeiten. * Rings ist der Wald so stumm und still, das Herz schlägt mir so bange, das Herz schlägt mir so bange; der schwarze Rauch sinkt tiefer stets, die Träne trocknend meiner Wange. Doch meine Träne trockne nicht, sollst anderswohin wehen, sollst anderswohin wehen! Wer auch im Schmerz noch singen kann, der lebt, nicht wird sein Lied vergehen! Als die alte Mutter mich noch lehrte singen, sonderbar, daß Tränen ihr am Auge hingen. Jetzt die braunen Wangen netzen mir die Zähren, wenn ich will die Kinder Sang und Spielen, Sang und Spielen lehren! Reingestimmt die Saiten! Bursche tanz’ im Kreise! Heute froh, überfroh noch heute, morgen trüb’ nach alter Weise, trüb’ nach alter Weise! Nächsten Tag am Nilstrand, der den Vätern heilig, reingestimmt, reingestimmt die Saiten, in den Tanz, in den Tanz spring eilig, in den Tanz spring eilig! Reingestimmt die Saiten! Bursche tanz’ im Kreise! * In dem weiten, breiten, luft’gen Leinenkleide freier der Zigeuner als in Gold und Seide, freier der Zigeuner als in Gold und Seide! Jaj! der gold’ne Dolman schnürt die Brust zu enge, hemmt des freien Liedes wanderfrohe Klänge. Wer beim Schwung der Lieder wahre Lust empfindet, wünscht, daß alles Gold jetzt aus der Welt verschwindet, wünscht, daß alles Gold jetzt aus der Welt verschwindet! Horstet hoch der Habicht auf den Felsenhöhen, wird den goldnen Käfig er mit Recht verschmähen. Kann das wilde Fohlen jagen durch die Heide, wird’s am Zaum und Zügel finden keine Freude. So hat dem Zigeuner die Natur gegeben, daß er sich der Freiheit freu’ sein ganzes, sein ganzes, ganzes Leben. Literaturhinweise: Sourek: Antonin Dvorak, Biographie und Werkanalysen, Bd. 1, Artia-Verlag Prag Vorankündigung: Nächste Konzerte im Anrecht B 12./13. November 1960, 19.30 Uhr Einführungsvorträge jeweils 18.30 Uhr 20. November 1960, 19.30 Uhr Festkonzert zum 90jährigen Bestehen der Dresdner Philharmonie Dirigenten: Prof. Heinz Bongartz, Siegfried Geißler, Siegfried Kurz Freier Kartenverkauf! 2. Zyklus-Konzert 1960/61 6197 Ra III-9-5 1060 1,4 ItG 009/66/69