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kurz, alles was es an Schwierigkeiten virtuoser Kniffeleien gibt, wird von Paganini angewendet und bis an die Grenzen des Möglichen gesteigert. Es ist ganz im Sinne des Komponisten, wenn Sie als Konzertbesucher nicht nur hören, sondern auch staunen! Nach dem stürmischen Erfolg seines Ballettes „Der Feuervogel“ wollte Igor Strawinski wieder einen Ballettstoff in Angriff nehmen. Ihn bewegte die Vor stellung einer „großen heidnischen Feier“, doch kapitulierte er vorerst vor den sich ergebenden Schwierigkeiten. Später formte er das Thema zu seinem Ballett „Das Frühlingsopfer“. Um sich abzulenken, wollte Strawinski ein Orchesterwerk komponieren, in dem das „Klavier eine hervorragende Rolle spielen sollte — eine Art von Konzertstück“. Auch beim Schreiben dieser Musik hatte Strawinski eine Art Vision, „die hartnäckige Vorstellung einer Gliederpuppe, die plötzlich Leben gewinnt und durch das teuf lische Arpeggio ihrer Sprünge die Geduld des Orchesters so sehr erschöpft, daß es sie mit Fanfaren bedroht. Daraus entwickelt sich ein schrecklicher Wirrwarr, der auf seinem Höhepunkt mit dem schmerzlich-klagenden Zusammenbruch des armen Hampelmann endet.“ Der Komponist suchte nach einem Titel, der die Musik dem Hörer verständlich machen sollte. „Eines T ages machte ich vor Freude einen Luftsprung. ,Petruschka!‘, der ewig unglückliche Held aller Jahrmärkte, die arme, komische, häßliche, empfind same und irregeführte Gestalt, die, berechtigt oder nicht, ständig von trotziger Wut geschüttelt wird und in Frankreich als Pierrot, in Deutschland als Kasperle und in Rußland eben als Petruschka bekannt ist ich hatte meinen Titel gefunden.“ Der russische Ballettmeister Diaghilew, der auf das „Frühlingsopfer“ wartete, spürte auch in diesem Stoff die Möglichkeiten für ein Ballett. Er überredete Stra winski, das Werk „von den Leiden der Gliederpuppe“ weiter fortzuführen und zu einem großen Tanzspiel zu formen. Das Werk wurde 1911 in Rom vollendet und im gleichen Jahre in Paris uraufgeführt. Petruschka war der bekannte russische Tänzer Nijinsky. 1948 bearbeitete der Komponist das Ballett noch einmal, verbesserte es klanglich und in der Instrumentation und brachte einige rhythmische Retuschen an. In dieser Fassung erklingt das Werk heute in Dresden. Zum Inhalt: Ort der Handlung ist Petersburg. Faschingstrubel. Jahrmarkt. Ein Schausteller namens Scharlatan führt drei Puppen vor: den Clown Petruschka, die Tänzerin und den Mohren. Mit Hilfe eines magischen Flötenspiels erweckt er sie zum Leben. Die Puppen beginnen zu tanzen. Petruschka ist mißgestaltet, er leidet darunter und erinnert am stärksten an einen Menschen. Er liebt die Tänzerin, die jedoch nur Puppe ist. Ihr fehlt menschliches Fühlen, ihr fehlt menschliche Wärme. Sie ist dem Mohren zugetan, einem gewaltsamen, herrschsüchtigen Wesen, ober flächlich, gewaltig, äußerlich ausstaffiert. Der Mohr verfolgt Petruschka und tötet ihn schließlich. Man hat das Ballett „Petruschka“ einmal treffend „die Tragödie des menschlichen Geistes im Mikrokosmos eines Puppentheaters“ genannt. Und wie beginnt diese Tragödie musikalisch zu leben: Einfach und raffiniert zugleich ist Strawinskis Musik. Tonarten und Rhythmen werden übereinander geschichtet. Primitivität und Kühnheit werden eigenwillig verschmolzen. Russische Volkslieder klingen auf, „halbheidnische, halbliturgische Themen“, folkloristische Tänze, Leierkastenmelo dien und Parodien (ein Wiener Walzer von Lanner wird zitiert). Grelle Kontraste erhöhen die Vitalität der Musik. Realismus und Stilisierung verschlingen sich mit einander. Ein großer Wurf. Ein wesentlicher Beitrag zur Entwicklung der Neuen Musik.