Volltext Seite (XML)
Von den nationalen Eigenarten Haydn- Paganini - Strawinski. Drei Werke, drei Namen, drei Länder: Österreich, Italien und Rußland. Es sind nicht nur die unterschiedlichen Namen der Länder und die stilistischen Gegensätze der verschiedenen musikalischen Epochen Klassik, Romantik und Gegenwart, es sind in erster Linie die nationalen Eigenarten und Überlieferungen, die das Werk eines Komponisten bestimmen und denen sich kein schöpferischer Meister verschließen kann. .Joseph Haydn war Österreicher. Er konnte an dem Schatz der österreichischen Volksmusik nicht vorübergehen. Er wuchs mit den Liedern und Tänzen der Heimat auf, und wenn er auch diese Lieder und Tänze nicht wörtlich in seinen Werken zitierte, der Einfluß der heimatlichen Volksmusik ist nicht zu überhören. Nicht nur in den Scherzosätzen seiner Sinfonien spüren wir das, nein, Haydns Melodik ist ohne das Volkslied seiner Heimat undenkbar. Herzlichkeit, Innigkeit des Gefühls und Echtheit des Empfindens sind so typisch österreichisch, daß wir Haydn und Österreich nie trennen können. Nicolo Paganini wuchs in einer Zeit auf, da in Italien und in aller Welt die Komponisten der Oper die Konzertsäle beherrschten: Cherubini, Rossini, Rellini, Donizetti, Verdi, Puccini, Leoncavallo und Mascagni. In der Oper brillierten die Primadonnen, die ausgesuchten Lieblinge des Publikums. Sie schrieben dem Kompo nisten in vielen Fällen vor, was er zu schreiben hatte. Kehlfertigkeit und Stimm virtuosität dominierten. Die Freude des Südländers am schönen, weit ausschwingen den Gesang mußte berücksichtigt werden. Wenn Paganini auch keine Opern komponierte, in seinen Konzerten für Violine konnte er den Italiener nicht verleugnen, und er zollte dem Publikumsgeschmack fleißig und willig seinen Tribut. Konzerte für Violine und Orchester? Gewiß! Und doch in erster Linie Koloraturarien für Geige und Orchester — mit allen Vorzügen, aber auch mit allen Nachteilen. Und Igor Strawinski, geborener Russe, der heute amerikanischer Staatsbürger ist und am liebsten französisch spricht — Weltbürger und Kosmopolit. Er kann seine Heimat doch nie ganz verleugnen. Nicht immer tritt die innige Verbindung zum Volkstum seiner Heimat so deutlich zutage wie im Rallett „Petruschka“, wo Strawinski heidnische und liturgische Floskeln der alten russischen Musik ver wendete, Volkslieder aus Rimsky-Korssakows Sammlung vom Jahre 1876, Volks und Ralalaikamelodien und täglich gespielte Gassenhauermelodien, wie er sie von einem Leierkasten vor seinem Hotel hörte. Es ist ein durch und durch russisches Stück, dieses Hanswurstspiel; und wer ein Verhältnis zur russischen Musik besitzt, wird das in jedem Takt spüren. Sosehr sich Strawinsky später von diesen heimat lichen und nationalen Bedingungen löste, im Grunde blieb er doch immer Russe. Man muß sich nur die Mühe machen, nach den Quellen zu suchen. Joseph Haydn wurde von dem Konzertunternehmer und Violinvirtuosen Johann Peter Salomon (1745—1815) zu zwei Reisen nach England aufgefordert, die in den Jahren 1791/92 und 1794/95 stattfanden. Gemeinsam mit Haydn veranstaltete Salomon Subskriptionskonzerte, für die Haydn (laut Vertrag!) „zwölf Symphonien“ zu komponieren hatte, die später unter dem Namen „Londoner Symphonien“ bekannt wurden, während der zu Haydns Lebzeit gebräuchliche Begriff „Salomon- Symphonien“ in Vergessenheit geriet.