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dur, der des letzten Satzes dagegen in dem helleren A-dur (durch die Terz jedoch mit jenem Des-dur verwandt!) steht. Um keinen Zweifel über diese Entsprechung zu lassen, führt Brahms in einer kunstvoll-natürlichen Überleitung den Schlußchor in den Schluß des ersten Chores über. Es ist, als ob wir im ersten Satz durch tröstenden Zuspruch auf das Folgende hätten vorbereitet werden sollen. Denn nun kommt der apokalyptische Zug des Todes heran im schweren Marschrhythmus. Und der Chor stimmt mit einer schaurigen Totentanz melodie ein, an das alte deutsche Volkslied „Es ist ein Schnitter, heißt der Tod“ er innernd. Aber schon meldet sich in einem Ges-dur von präraffaelitischer Zartheit der tröstende Gedanke: „So seid nun geduldig ..(Auch hier: welch ein Koloristiker ist Brahms bei den Stellen: „die köstliche Frucht der Erde“ und „bis er empfahe den Morgenregen und Abendregen“!) Aber noch einmal ziehen die Toten auf. Dann aber wird die grausige Vision hinweggewischt von einem Jubelchor in B-dur, der in stiller Verklärung verklingt — die Skalen im Orchester scheinen eine schimmernde Himmels leiter zu bauen, während die Akkorde des Chors wie Wolken darüberschweben. Dritter Satz und neue Variation des Gedankens: Trauer und Trost. Der Solo bariton fleht: „Herr, lehre doch mich, daß ein Ende mit mir haben muß, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muß.“ Wunderbar eindringliche Melodie, gipfelnd in dem Aufschrei: „Und ich davon muß.“ Der Chor singt ein gedämpftes Echo. Und unterstreicht auch weiterhin das angstvolle Fragen des Solisten, steigernd bis zum ungeduldigen Aufbegehren: „Nun, Herr, wes soll ich mich trösten ?“, das Brahms sehr anschaulich durch ein Fugato zum Ausdruck bringt. Die Erregung verebbt, feierliche Bläserklänge leiten zur Antwort, zum zweiten Teil über. Die Antwort lautet: „Ich hoffe auf dich.“ Als werde ein klingender Dom aufgerichtet, werden die Akkorde auf dem breiten Fundament der Posaunen aufgeschichtet. Und erst recht die folgende Fuge versinnbildet dadurch, daß sie über der Tonika als Orgelpunkt aufgebaut ist (Celli, Kontrabässe, Tuba, Posaunen und Pauken halten während ihres ganzen Verlaufs den Ton D als Fundament des musikalischen Geschehens fest), die Unerschütterlichkeit des Glaubens. Der folgende Satz schildert dann, den Mittelpunkt darstellend, die „liehlichen Wohnungen“, die der Toten harren, mit immer neuen melodischen Schönheiten, immer neuen harmonischen Farben. Der nächste Satz aber (Sopransolo über Orchester und Chor) ist, im Andenken an die Mutter geschrieben, eines jener Lieder, das nur die Mütter singen können, die in dunklen Nachtstunden den Schlaf flohen, weil sie Wache halten mußten, und die in diesen Stunden den Gesang der Sterne vernommen haben. Nicht einem durchgehenden Gedanken zufolge, sondern in der symmetrischen Ent sprechung zum zweiten Satz reiht sich nun der sechste an, indem er wiederum das Thema „Trauer und Trost“ variiert. Ähnlich wie der zweite Satz beginnt dieser mit einem Trauermarsch-Rhythmus, den Gedanken zum Ausdruck bringend, daß wir „keine bleibende Statt“ haben. Im Mittelpunkt steht, vom Solobariton gerufen, die Posaune des letzten Gerichts. „Dies irae“-Stimmung. Aber der Tag des Zornes ist zugleich der Tag der Auferstehung. Die Posaunen sind Posaunen des Sieges. Des Sieges über den Tod. „Tod, wo ist dein Stachel! Hölle, wo ist dein Sieg!“ Immer triumphaler, immer furchtloser, immer wilder wird das Rufen, bis es sich zu einem gewaltigen Fragezeichen: „Wo?“ zusammenballt. Daraus löst sich dann der Lob- und Dank gesang, eine mächtige Doppelfuge. Als ein still verklingender Epilog folgt dann der siebte Satz. Brahmsischer konnte dieses brahmsischste Werk nicht schließen. Dr. Karl Laux.