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— 2 — einem Weinfrühschoppen in dem rühmlich bekannten Juliushospital. Da saßen wir auf den Stühlen, auf denen tags zuvor der Kaiser und die Kaiserin gesessen hatten. Was waren wir stolz! Abends fühlten wir zum ersten Male so recht die Freiheit des angehenden akademischen Bürgers in uns und begossen uns beim „Brückenbäck" die Nase in Heurigem so, daß wir beinahe am nächsten Morgen um 5 Uhr den Zug nach Rothenburg o. d. T. verpaßt hätten. In Tübingen haben wir die herrliche Fuchsen- und Burschen zeit miteinander verlebt, sind in das schöne schwäbische Land hinaus geritten, haben auf Mensur unseren Mann gestanden, haben manchen Rausch geschleppt und uns dabei doch in die Anfänge der Juris prudenz hineingefunden. Aus dieser Zeit ist mir eine gemeinsame Pfingsttour in den herrlichen Schwarzwald unvergeßlich. Fröhliche Studentenlieder singend haben wir acht Tage lang zusammen den Schwarzwald von oben bis hinunter zum Titisee durchwandert und kehrten, jeder mit 3 Pfennigen von 20 Mark — wie billig konnte man damals noch reisen! —, nach Tübingen zurück. Auch im Korps war Otto Schmidt bei jedem Korpsbruder gleich beliebt, stets in Scherz und Ernst gut aufgelegt, stets hilfs bereit, treu, fleißig und tüchtig und dabei immer bescheiden, so recht ein Ritter unseres Wahlspruchs: llouor 6t virtu8, amieitia, llä68. Dann gingen wir beide nach Leipzig und haben wirklich studiert, bis wir im gleichen Semester, Anfang des Jahres 1905, die erste juristische Staatsprüfung ablegten, auf die uns zusammen mit manchem anderen der gute „Thebaner" — Gott hab' ihn selig! — eingepaukt hatte. Dann verloren sich, nachdem wir das Amt und die Würde eines Referendars angetreten hatten, unsere Wege etwas. Otto Schmidt war Referendar unter anderem in Hainichen, wo ich ihn einmal besucht habe, in Chemnitz und beim Anwalt in Grimma. 1908 promovierte er zum voetor juri8. Während seiner Referen darzeit in Chemnitz packte ihn zum ersten Male die tückische Krank heit, die ihm später den frühzeitigen Tod bringen sollte, die Lungen tuberkulose. Aber er heilte sich in längerer Kur in Reiboldsgrün, wo ich mit ihm in Briefwechsel stand, so vollkommen wieder aus, daß er, nachdem er 1909 oder 1910 sein zweites juristisches Staats examen bestanden und sich in Schandau als Rechtsanwalt nieder gelassen hatte, im Oktober 1913 zum ersten Male heiratete. Sein Tätigkeitsfeld in Schandau wollte ihm nicht genügen, er hoffte, in Sebnitz ein größeres zu finden, siedelte aber nach kurzer Zeit auch von dort wieder weg und nach Bautzen über, wo er Sozius des angesehenen Rechtsanwalts Wessel wurde. Inzwischen war er auch Vater eines Sohnes und einer Tochter geworden; der Sohn ist wieder gestorben. Dann kam der Krieg, der auch ihn aus Familie und Beruf Herausriß. 1916 wurde er zur Artillerie ausgehoben — er hatte nicht gedient — und zog als einfacher Kanonier mit ins Feld, wo