Verhältnis herzustellen sei die Aufgabe der Gegenwart. Ich glaube, die Aufgabe besteht schon seit langem, wenn sie auch in der Gegen wart besonders brennend geworden ist. Sie besteht nicht für die römische Kirche; denn für sie ist die Gemeinschaft alles, und der Einzelne nichts. Sie besteht nicht für den gewöhnlichen Liberalismus; denn für ihn ist der Einzelne alles und die Gesellschaft nichts. Aber in ihrer ganzen Schwere empfindet sie unsre Kirche, sür die ebenso der Einzelne Zweck, Zweck an sich selbst ist, wie er das nur sein kann mit und innerhalb der Gemeinschaft. Darum hat die Frage auch hier, innerhalb des Protestantismus, ihre eigene Geschichte, die uns aber zugleich lehrt, wie sie nicht von außen her durch irgend eine Formel oder einen Gesetzesparagraphen, sondern nur von innen her, durch die rechte Gesinnung, gelöst werden kann. Jedenfalls wissen wir uns alle gesellschaftlich tief verpflichtet. Das Bewußtsein davon geht durch die weitesten Kreise, wie schon das eine zum Überdruß oft gebrauchte Wort „sozial" beweist. Aber wie oft hört man auch das Wort „kirchlich"; ich glaube kaum, daß zu andern Zeiten das Wort so viel in aller Munde war. Allein wir sozial gerichteten und kirchlich gesinnten Leute haben dabei doch, wenn irgend möglich, jeder seinen eignen Standpunkt, auf den wir nicht wenig zu halten pflegen. Das Wort ist ganz modern und ebenso auch das darin so stark sich ausprägende individuelle Bewußtsein. Und es pflegt darin ein förmliches Mißtrauen zu liegen gegen das Objektive, das Gemeinschaftliche, dem gegenüber wir uns vor allem nicht zum Vertrauen, sondern zur Kritik aufgefordert fühlen. Darin glaube ich die charakteristischen Züge der christ lichen Sittlichkeit der Gegenwart sehen zu müssen: das Sittliche tritt überhaupt stark hervor, man ist mit aller Energie dieser Welt zugewendet, man will im Sittlichen den Erweis der christlichen Wahrheit sehen, entfaltet den lebendigsten Eifer in der dienenden und helfenden Liebe und ist erfüllt von der Bedeutung der großen Gemeinschaftsordnungen, wobei sich der Einzelne doch seinen eignen Standpunkt vorbehält. Es springt hier der Unterschied gegen frühere Zeiten in die Augen, die im Religiösen an sich selbst eine viel tiefere Be friedigung fanden und davon auch ganz anders ergriffen waren, in