22 den Beweis von den in ihr waltenden göttlichen Lebenskräften ge liefert und auf dem unermeßlichen Gebiete des menschlichen Elends eine erneuernde Wirkung ausgeübt, von der auch die außerchristliche Welt den mächtigsten Eindruck empfing. Wie gern möchte man gerade hierbei verweilen, wie gern wenigstens ein und das andere Blatt der reichen Geschichte zu sich reden lassen! Es mangelt hier der Raum dazu; es sei daher nur auf das bekannte schöne Werk von Uhlhorn verwiesen, das aber gerade auch den Nachweis führt, wie dieses ganze großartige Liebeswirken in den Dienst des welt flüchtigen Sinnes trat, wie es schließlich getrieben wurde, haupt sächlich um sich das Heil in jener Welt zu sichern, und wie es im Laufe der Zeit falsch verkirchlicht wurde, indem die Gemeinde, die Einzelgemeinde, dabei immer weniger zu ihrem Rechte kam. Ebenso wenig aber wie ihre Liebesarbeit wollen wir der alten und mittel alterlichen Kirche vergessen, was sie für die Organisation der Gemeinde gethan hat. Noch jetzt leben wir in den Grnndordnungen, die die mittelalterliche Kirche geschaffen. Und diese Einfügung jedes Einzelnen in den kirchlichen Organismus, diese Bindung an eine bestimmte Kirche ist doch für ihn von hoher sittlicher Bedeutung, giebt ihm einen nicht zu unterschätzenden sittlichen Halt, wie wir das zu beobachten gerade jetzt reichlich Gelegenheit haben. Aber im Mittelalter war überhaupt alles in den kirchlichen Rahmen gefaßt. „Die Autorität der Kirche regelte alles: nicht bloß das geistige Leben, Wissenschaft und Kunst, nicht bloß das häusliche Leben und die Sitte des Volkes, ebenso auch das wirt schaftliche Leben, Arbeit, Gewerbe, Handel und Verkehr." Allein wenn dadurch das weltliche Leben ein göttliches Recht zu erhalten, zum Gottesdienst zu werden schien, so schien das doch nur so. Der Gedanke war vielmehr der, daß das an sich Unheilige von außen her legitimiert wurde; es wurde ihm das göttliche Plazet gleichsam von außen her durch die Vermittlung der Kirche aufgedrückt. Der evangelische Gedanke ist doch ein andrer. Die römische Kirche ist auf dem Standpunkt stehen ge blieben; sie ist ein Stück mittelalterlichen Lebens in der Neuzeit. Ja, der Gegensatz zu der Reformation hat eine Gründung hervor gebracht, die uns ein wahres Zerrbild vom christlichen Sinn und