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14 neues, weitergehendes Gesetz gebracht. Menn ihm nun aber auch die Kirche in seine schroffe, gegensätzliche Stellung zur Welt nicht folgen konnte, so nahm doch auch in ihr je länger je mehr äußerliches, gesetzliches Wesen überhand. Es war das Erbe des römischen Volksgeistes, des durch das äußere Gesetz die Völker leitenden und beherrschenden, und zugleich Rückfall in den Judaismus, daß man in der Kirche das innerlich Gemeinte, was auch nur als Innerliches Wert hatte, wie die Buße und das Gebet, zu äußeren Werken um wandelte, die sie unter ihre gesetzliche Leitung nahm. Die Haupt sache, die Gesinnung, litt da Not, sie kam nicht zu ihrem Rechte, während die Kirche sich zur Gesetzgeberin und Zuchtmeisterin aus bildete. Eine solche Veräußerlichung war aber auch die Anschauung, die, aus dem Orient stammend, jetzt ebenfalls mehr und mehr an Boden gewcknn. Ihr erster hervorragender Vertreter ist Clemens von Alexandrien, der eigentliche Vater der wissenschaftlichen Theo logie, in dem die Wissenschaft, zunächst die hellenische Philosophie, mit dem Christentum einen Bund einging. Bei ihm wird einerseits die Ethik zur kleinlichsten Kasuistik, während er andrerseits einen überschwänglichen Hochflug nimmt und in dem christlichen Ideal eine aller Lebenswahrheit bare Gestalt zeichnet: es ist der christliche Gnostiker, der sich in einem Zustand vollkommener Vereinigung mit Gott zur Gottgleichheit aufschwingt, und Gott anschauend wie dieser in den Zustand der unbewegten Identität und Einfachheit gelangt. Man erkennt den Widerschein stoischer Gedanken. Aber in Alexandrien verbanden sich mit den philosophischen auch jüdisch-essenische Ein flüsse und schufen ein Gegenstück zum neuplatonischen Ideal. Und das kam dem durch die Kirche gehenden weltverneinenden Zug ent gegen und mußte ihm willkommen sein. Daß dieser Zug gerade die Ernst- und Edelgesinnten immer unwiderstehlicher ergriff, dafür sorgten zur Genüge zwei einander entgegengesetzte, in ihrer Wirkung gleiche Erfahrungen, nämlich einmal die Verfolgungen und dann die öffentliche Anerkennung des Christentums. Dort erfuhr man es handgreiflich, daß man in der Welt kein Bürgerrecht hatte, daß man sich ihr nur entgegensetzen konnte; und als hier die großen Massen unbekehrt und ungeläutert, wie sie waren, in die Kirche