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Begeisterung zu erfassen und festzuhalten, was ihm im Christentum als etwas Neues aufgegangen war, und das war das Überweltliche, das Jenseitige. „Unser Bürgerrecht ist im Himmel, von dannen wir auch erwarten den Heiland Jesum Christum, den Herrn": das mußte die Grundstimmung seiner Seele bezeichnen. Und nur wenn sie diesen ihren Jenseitigkeitsglauben mit allem Nachdruck, ja mit aller Einseitigkeit geltend zu machen wußte, durfte die Gemeinde boffen in dieser Welt der trägen Gewohnheit durchzudringen. Dazu war und blieb auch die Umgebung der Gemeinde eine zu fremd artige, gegensätzliche. Was von da her in die Gemeinde drang, das konnte, so schien es, nur eine verführerische, verunreinigende Macht ausübeu. Es ist bekannt, wie die Christen der Anfangszeit unter dem Vorwurf standen, daß sie den öffentlichen Angelegenheiten gleichgiltig, teilnahmlos, wenn nicht gar feindselig gegenüberstünden. Denkt man sich in ihre Lage hinein, es war kaum anders möglich. Kam ja dazu noch die Hoffnung auf die nahe bevorstehende Wieder kunft des Herrn und das Ende des gegenwärtigen Weltalters, welche ein lebendiges, tiefgehendes Interesse an der Gestaltung der irdischen Dinge nicht aufkommen ließ, da man sich nur für den Aufbruch zu rüsten hatte. Wir sehen aus den Thessalonicherbriefen, wie stark diese Hoffnung die Gemüter in Anspruch nahm und wie falsch sie angewendet werden konnte. Wie die Gemeinde vor allem auf ihre innere Reinigkeit bedacht war und diese durch asketische Tugend übung sichern zu müssen glaubte, das zeigt uns das merkwürdige Buch der „Hirte" des Hermas, das einen weitreichenden Einfluß übte und fast kanonisches Ansehen erlangte. Und wenn ich dazu noch an Tertullian erinnere, so steht es uns vor Augen, in welch herben, schroffen Gegensatz zur alten Welt das christliche Ethos geriet: „das Christentum erscheint hier nur noch als Gericht, nicht als die Erlösung der Welt" (Luthardt). Auf diesem Wege wäre freilich die Kirche nicht zn dem Baum geworden, unter dessen Zweigen die Vögel nisten, hätte die in ihr lebende Gotteskraft des Evangeliums nicht das ganze Mehl durchsäuern können, sie wäre zu einer Art Sekte herabgesunken, wie sich ja Tertullian selbst schließlich dem Montanismus zuwendete. Nach ihm hatte das Christentum nicht ein neues Gnadenverhältnis zu Gott, sondern ein