Suche löschen...
Universitätszeitung
- Bandzählung
- 13.1969
- Erscheinungsdatum
- 1969
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- 39-2-77
- Vorlage
- Universitätsbibliothek Leipzig
- Digitalisat
- Universitätsbibliothek Leipzig
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1770109730-196900006
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1770109730-19690000
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1770109730-19690000
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Saxonica
- Bemerkung
- Teilweise mit vorlagebedingtem Textverlust.
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitschrift
Universitätszeitung
-
Band
Band 13.1969
-
- Ausgabe Nr. 1/2, 09.01.1969 1
- Ausgabe Nr. 3, 16.01.1969 1
- Ausgabe Nr. 4, 23.01.1969 1
- Ausgabe Nr. 5, 31.01.1969, Sonderausgabe 1
- Ausgabe Nr. 6, 03.02.1969 1
- Ausgabe Nr. 7, 06.02.1969 1
- Ausgabe Nr. 8, 10.02.1969 -
- Ausgabe Nr. 9, 20.02.1969 1
- Ausgabe Nr. 10, 27.02.1969 1
- Ausgabe Nr. 11, 06.03.1969 1
- Ausgabe Nr. 12, 13.03.1969 1
- Ausgabe Nr. 13, 20.03.1969 1
- Ausgabe Nr. 14, 27.03.1969 1
- Ausgabe Nr. 15, 03.04.1969 1
- Ausgabe Nr. 16, 10.04.1969 1
- Ausgabe Nr. 17, 17.04.1969 1
- Ausgabe Nr. 18, 24.04.1969 1
- Ausgabe Nr. 19, 08.05.1969 1
- Ausgabe Nr. 20/21, 15.05.1969 1
- Ausgabe Nr. 22, 22.05.1969 1
- Ausgabe Nr. 23/24, 05.06.1969 1
- Ausgabe Nr. 25, 12.06.1969 1
- Ausgabe Nr. 26, 19.06.1969 1
- Ausgabe Nr. 27, 26.06.1969 1
- Ausgabe Nr. 28, 03.07.1969 1
- Ausgabe Nr. 29, 10.07.1969 1
- Ausgabe Nr. 30, 24.07.1969 1
- Ausgabe Nr. 31, 31.07.1969 1
- Ausgabe Nr. 32, 04.09.1969 1
- Ausgabe Nr. 33/35, 18.09.1969 1
- Ausgabe Nr. 36, 25.09.1969 1
- Ausgabe Nr. 37/38, 02.10.1969 1
- Ausgabe Nr. 39/40, 16.10.1969 1
- Ausgabe Nr. 41, 23.10.1969 1
- Ausgabe Nr. 42, 30.10.1969 1
- Ausgabe Nr. 43, 06.11.1969 1
- Ausgabe Nr. 44, 13.11.1969 1
- Ausgabe Nr. 45, 20.11.1969 1
- Ausgabe Nr. 46, 27.11.1969 1
- Ausgabe Nr. 47, 04.12.1969 1
- Ausgabe Nr. 48, 11.12.1969 1
- Ausgabe Nr. 49/50, 18.12.1969 1
-
Band
Band 13.1969
-
- Titel
- Universitätszeitung
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Auf dieser Seite veröffentlichen wir Auszüge aus dem Beitrag „Kurtschatow, wie ich ihn kannte", der in „Sowjetliteratur" 2/69 er schienen ist. Autor ist das korrespondierende Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR Wassili Jemeljanow, der viele Jahre die Hauptverwaltung Atomener gie beim Ministerrat der UdSSR leitete. Zurückschauend auf eine 15jährige enge Zusammenarbeit mit dem hervorragenden sowjetischen Wissenschaftler Prof. Dr. Igor Kurtschatow, Schöpfer der sowjetischen Atom- und Wasserstoffbombe und geistiger Vater der weitreichenden sowjetischen Kern forschung, zeichnet der Autor ein Porträt des Wissenschaftlers und Menschen Kur tschatow, der nicht nur ein genialer Atom forscher. sondern auch ein unübertroffener Wissenschaftsorganisator und glühender Patriot seines Landes war. Leider können wir nur kürzere Auszüge dieses eindrucks vollen Porträts wiedergeben. Igor Kurtschatow - Atomforscher, Wissenschaftsorganisator, glühender Patriot Im Herbst 1945 war ith zu einer Sitzung des Wis- schenschaftllich-Technischen Beirats beim Volks- kommissarenrat der UdSSR geladen. Zur Debatte stand die Frage der Uranisotopen. Meine Vorstel- lungenvon Isotopen waren damals noch höchst ver schwommen. Berichterstatter war Akademiemitglied I. K. Kikoin. Unter den Anwesenden fiel mir ein Mann mit einem schwarzen Stutzbart von eigenartigem, spa- tenförmigem Schnitt auf. der einzige Bartträger, im Sitzungssaal. Vor allem fesselte mich der Blick sei ner erstaunlich lebendigen Augen. Diese Augen prägten sich mir sofort fürs ganze Leben ein. An jenem denkwürdigen Tag wanderte ihr Blick wie. ein Sonnenfleck von einem zum anderen; es war. als beleuchte er jeden in diesem Raum und taste ihn forschend ab. Noch nie im Leben war mir je mand mit solchen Augen begegnet. Und dieser Mann mußte uns vom Gesicht abgelesen haben, daß wir Kikoin nur mit größter Mühe zu folgen vermoch ten. Nun wandte er sich mit den Worten an Kikoin: „Isaak Konstantinowitsch, könnten Sie das. was sich an der porösen Kammerwand abspielt, nicht etwas ausführlicher schildern?" Als Kikoin daraufhip ausführlicher über die be treffenden physikalischen Erscheinungen zu spre chen begann und uns durch Analogien die kompli zierten Prozesse in der Nebelkammer erläuterte, die verschiedene Isotopen enthält, trat ein Lächeln auf die Lippen des Bartträgers, er schaute wieder auf Malyschew und mich, und mir wurde klar, daß er sich nicht etwa deshalb an den Berichterstatter ge wandt hatte, weil ihm etwas unklar gewesen wäre, sondern damit wir alles verstünden. Nach der Sitzung erfuhr ich, daß es der wissen schaftliche Leiter des Uranproblems war — so lau tete damals sein offizieller Titel: Igor Wassiljewitsch Kurtschatow, trotz seiner Jugend bereits Mitglied der Akademie der Wissenschaften. * Oft wird gefragt, warum die wissenschaftliche Leitung der Atomforschungen dem damals noch ganz jungen Kurtschatow anvertraut wurde und nicht einem berühmten Akademiemitglied, einem Wissenschaftler von Weltruf. Die Antwort lautet: Weil Kurtschatow mit dem Problem bereits vertraut war — der Atomkern interessierte ihn schon lange. Seine Arbeiten darüber hatten schon vor dem Krieg Aufsehen erregt. Bereits 1937 erwähnte Akademie mitglied A. F. Joffe in der „Iswestija" die „höchst interessanten Kernspaltungsversuche I. W. Kur tschatows und seiner Mitarbeiter“. Außerdem war er in wissenschaftlichen Kreisen für seine organi satorischen Fähigkeiten, seine Energie und viele andere Eigenschaften bekannt, die ihn zum Leiter prädestinierten. Darum nannten die führenden So wjetwissenschaftler, befragt, wer die Leitung der Uranforschungen übernehmen könnte, einhellig den Namen Kurtschatow, und wir wissen heute, daß sie sich nicht geirrt hatten. Gewiß - Partei und Regierung boten zur Lösung dieses wichtigen Problems alle Kräfte auf und schu fen alle dafür nötigen Bedingungen, aber hätte nicht Kurtschatow an der Spitze des Vorhabens gestanden, so wäre uns ein solcher Erfolg vielleicht versagt ge blieben. Wir wären dann möglicherweise trotz gro ßen Aufwands nicht so rasch zum Ziel gekommen. * Die Jahre nach meiner ersten Begegnung mit Kurtschatow waren von einer äußerst intensiven Arbeit erfüllt. Im Lande mußten zahlreiche Zentren für die verschiedensten Forschungen geschaffen werden. An der Spitze dieser gesamten Organisa- tions- und Forschungsarbeit stand Kurtschatow. Igor Wassiljewitsch übernahm stets die kompli ziertesten wissenschaftlichen und organisatorischen Aufgaben. Man sah ihn in Laboratorien, auf Sit zungen. in Ministerien. Ämtern und Komitees, in Instituten. Ständig beschäftigten ihn sowohl physi kalische als auch chemikalische und ingenieurtech nische Forschungen. Er hörte Menschen an. gab ihnen Ratschläge, half bei der Beschaffung der er forderlichen Ausrüstungen und Materialien, gewann Fachleute für diese oder jene Aufgaben, erklärte ihnen, was sie zu tun hatten und warum das so wichtig war. ♦ Schließlich brach das denkwürdige Jahr 1949 an. Es kamen die Tage der Erprobung der ersten Atom bombe. und Kurtschatow begab sich an den Ort des Geschehens. Wird sie explodieren oder nicht — diese Frage hielt uns alle in Atem, am stärksten wohl Kurtschatow, obwohl er sich nichts anmerken ließ. Ein Jahr vor dem ersten Atombombenversuch hatte Igor Wassiljewitsch seine Aufnahme in die KPdSU beantragt und war durch einen besonderen Beschluß des ZK gleich als Mitglied aufgenommen worden. Sein Aufnahmeantrag erinnerte mich an Anträge, wie sie Soldaten der Sowjetarmee stellten, bevor sie in den Kampf zogen. Aber endlich explodierte die Bombe, über dem Versuchsgelände zeigten sich die künstliche Sonne und die pilzförmige Wolke; die zur Bestimmung der Explosionsstärke erbauten Industrieanlagen. Wohnhäuser und Brücken waren zerstört, ebenso UZ 20-21/69, Seite 10 die auf dem Testgelände aufgestellten Panzer, Flug zeuge, Geschütze, Waggons und Lokomotiven .. . Das Land besaß nun eine mächtige Waffe, einen zuver-/ ■lässigen Schutz der Errungenschaften des Oktober. in diesem Augenblick verlor Igor Wassiljewitsch, der sich am Befehlsstand befand, für einen Augen blick die Nerven. Aufschluchzend fiel er einem der neben ihm stehenden Genossen um den Hals . .. Doch bald faßte er sich wieder, und vor uns stand der frühere Willensstärke, tatkräftige Kurtschatow. Die Weit staunte darüber, wie rasch die Sowjet union ihre Atomwaffe entwickelt hatte. Alle Zeitun gen des Westens hatten ja behauptet, es würde, mindestens fünf, wenn nicht gar.zehn oder zwanzig Jahre dauern, bis die Russen eine eigene Atom bombe hätten. Tatsächlich aber war an unserem Erfolg nichts Sensationelles. Die Amerikaner waren einfach Opfer ihres Wunschdenkens geworden. * Die Erfolge bei der Atomforschung übten und üben großen Einfluß auf viele andere Bereiche von Wissenschaft und Industrie aus und heben sie auf eine neue Stufe.. Kurtschatow wußte das und warb auf jede Weise für die radioaktiven Isotope. -Ernes. . Tages beraumte er in seinem Institut eine. Konfe renz an, zu der er Minister, stellvertretende Mini ster. Mitarbeiter der Plankommission und andere führende Funktionäre einlud. Dabei kümmerte er -sich nicht darum, ob das eine, wie der Jurist .sagen würde., verfassungsmäßige Konferenz war. Er fand einfach, das Land habe das nötig, und deshalb müsse man sich mit dem Problem befassen. Als alle erschienen waren, bemerkte, jemand im Scherz, , Kurtschatow habe den Ministerrät einberuen — soviel Minister und stellvertretende Minister waren anwesend. Die meisten hatten'der Einladung Folge geleistet, denn Kurtschatow hat die Frage so ge stellt. daß gar nichts anderes übrig blieb, als zu erscheinen. * ■Ist von Kurtschatow die Rede, so darf man auch nicht vergessen, wie er für die Ausbildung des Nachwuchses sorgte. Er tat sehr viel für die Schu lung von Kernphysikern. Das begann vor etwa zwanzig Jahren. Als wir uns dem Atomproblem zu wandten, war die Zahl der Gelehrten, die zu dieser Arbeit eingesetzt werden konnten, nicht allzu groß. Die Kernphysik war an sich noch eine sehr junge Wissenschaft, und hur wenig Personen befaßten sich mit ihr und der Radioaktivität. Ingenieure, die Kur tschatows Projekte atomindustrieller Anlagen hätten realisieren können, gab es überhaupt nicht. Darum war das Kaderproblem höchst akut. Damals hatte die Ausbildung von Kadern für die Atomarbeiten in mehreren Instituten des Landes, namentlich in der Moskauer Universität begonnen. Aber Kernphysiker wurden an dieser Universität faktisch nicht ausgebildet, ja viele Gelehrte huldig ten sogar der Ansicht, die Relativitätstheorie sei eine idealistische Theorie. Das war eine der Fragen, in . der die Physiker der Moskauer Universität und der Institute der AdW die Klingen kreuzten. AU das ließ Kurtschatow keine Ruhe. Er beschloß, aktiv ein zugreifen, um an der Moskauer Universität eine ge sündere Atmosphäre zu schaffen. Wir zerbrachen uns den Kopf, welche Wissen schaftler als Lehrer gewonnen werden könnten und wer als. Dekan der physikalischen Fakultät zu emp- Atomenergieinstitut „Igor Kurtschatow", Moskau: Plasma forschungsanlage „PR-2". fehlen sei. Furssow, der jetzige Dekan, -war einer, der. engsten Mitarbeiter .Kurtschatows. Igor Wassilje witsch konnte ihn nur mit großer Mühe überreden., das schwere Amt des Leiters der Fakultät zu über- . nehmen. Kurtschatow befaßte sich nicht nur mit Fragen der Ausbildung von Spezialisten für die im Aufbau be griffene Atomindustrie an .der Moskauer Universität. Zusammen, mit, Sawenjagin,Wannikow, und anderen wandte er auch viel- Zeit und Kraft daran, die Ka derschulung im gänzep Land zu organisieren. Aul seinen Rät wurde sie in einer: ganzen Reihe von In stituten aufgenommen'. Eine harte Nuß war es auch, wer die Vorlesungen für die Studenten halten sollte. Ailes war neu, und darum mußten viele Leiter der Atomforschungen als die fast einzigen Fachleute auf dem betreffenden ..Gebiet auch Lehrämter überneh men. ■ ' Kurtschatow selbst; lehrte nicht — dazu hatte er einfach keine Zeit. Aber er arbeitete mit dem Spit- zenkorps. Und alle, die Lektionen läsen, kannten ihn, und.darum war ihnen klar, was sie vorzutragen ■haften. Hier bestand ein unmittelbarer Zusammen hang * Viele klagen gern:‘Ich bin ganz fertig, mir tut der Kopfweh, bin überlastet, habe keine Zeit... Kur tschatow habe ich nie: klagen hören. Kein einziges Mal in den fünfzehn Jahren unserer Zusammen arbeit. Manchmal fühlte er sich sehr schlecht: Schon nach dem ersten -Schlaganfall war sein linkes Bein leicht gelähmt, er ging am Stock, ließ sich aber nicht gern behandeln und leistete immer das Maxi mum''Von dem, iwozuer fähig war ; ■ 913VIV n4 . Einmal besuchte ich ihn und fand ihn krank, im Bett liegend; vor. Aber auch da hatte er die dielte Kladde vor sich, in die er seine Aufzeichnungen eintrug und die Aufträge, die er seinen Mitarbeitern gab. An seinem Bett stand Anna Filippowna, die Ärztin, die ihn behandelte, und flehte ihn förm- lieh an: „Igor Wassiljewitsch. Sie sind doch krank, das dürfen Sie wirklich nicht!" 'Er antwortete: „Bin ich nicht folgsam? Sie haben mich ins Bett geschickt, und Sie sehen: Ich muckse mich nicht!" Aber als betlägriger Patient arbeitete er. so in tensiv wie in seinem Büro. Der Besucherstrom nahm kein Ende Erließ immer neue Leute zu sich kom men, sprach mit ihnen, hörte sie an. notierte sich, was gemacht werden mußte. Von Kurtschatows Frau, Marina Dmitrijewna, weiß ich, daß er regelmäßig um sieben Uhr auf- stand, rasch frühstückte — er aß überhaupt schnell — und sofort in sein Institut, in einen Betrieb, zu einer Konferenz oder zu jemand fuhr, mit dem er verabredet war. Er war immer in Bewegung. Seine wissenschaftliche und organisatorische Tä tigkeit nahm ihn ganz in Anspruch. Ich erinnere mich an eine Sitzung, in der über Methoden zur Analyse schweren Wassers diskutiert wurde. Wie sollte man da herangehen, wo einhaken? Bald wür den wir schweres Wasser gewinnen, aber wie seine Zusammensetzung feststellen, wie den Gehalt an schwerem Wasser in der Gesamtmenge bestimmen? Auf chemikalische Weise? Urimöglich. Auf physi- kalische? Aber wie?. Spezialisten dieser Fachrichtung gab es noch nicht. Blick auf die Plasmaforschungsanlage „ORECH" im selben Institut. Fotos: ZB/TASS (2) Jemand sagte ärgerlich: „Da haben Sie uns eine schöne Suppe eingebrockt. Wassili Semjonowitsch! Sagen Sie mal offen: Verstehen Sie etwas- von schwerem Wasser ? ... , „Nein. ich. bin Metallurg. - ' „Und wer unter den Anwesenden versteht etwas davon?" „Keiner, kein einziger." Wirr hatten nicht bemerkt, daß einen Augenblick zuvor Kurtschatow ins Zimnler gekommen war. Ich sah, wie sich sein Gesicht verfinsterte. Er hatte die letzten Worte mitbekommen und war über die Fragestellung selbst ungehalten. Er sagte: „Ja. wollen Sie denn, daß wir die Amerikaner um Hille bitten? Daß sie die Methode für uns ausarbei- ten? Das Land steht vor einem hochwichtigen Pro blem- and wir, die sowjetischen Wissenschaftler, müssen es lösen. Niemand wird es an unserer Statt tun. Das ist es. worüber wir nachdenken müssen. Wo man einhaken soll? Gut, wollen wir uns das zusammen überlegen, irgend etwas gibt es da im- mer." * Kurtschatow hatte eine ungemein große „Durch schlagskraft". beruhend auf seiner Überzeugungs- gäbe, clei’ niemand standhalten konnte. Er gehörte keineswegs zu den ..Sprechkünstlern" unter den leitenden Funktionären. Stets suchte er festzustel len, welche Hindernisse bei der Lösung der Auf gabe im Wege standen, und hatte er sie gefunden, so ging er ihnen mit aufgekrempelten Hemdsärmeln zu Leibe. Fehlte es ap Materialien, so telefonierte er, sprach, überzeugte. Waren Menschen nötig, fehlte eg an Wissen, so suchte er; wer helfen könnte. Klar- heit zu schaffen, und zog diese Leute heran. Igor Wassiljewitsch redete nie von der Notwendigkeit. Aufgaben zu lösen, erhalt' praktisch, sic zu lösen. Kurtschatow konnte seine Gedanken klar und verständlich darlegen, verstand es aber auch gut zuzuhören, was leider nur wenige können. Wenn ich mit Igor Wassiljewitsch sprach oder ihn mit anderen sprechen hörte, wollte mir immer scheinen, daß er alles, was ihm seine Gesprächspartner mitteilten, in einem Akkumulator speicherte. Er verstand es. seine Fragen so zu stellen, daß die Menschen ihm gerade das sagten, was zur Lösung des jeweiligen Problems nötig war. Nie unterbrach er seinen Partner, wenn das, was er sagte. Hand und Fuß hatte. Doch wenn sein Ge genüber etwas dahinfaselte, wurde Igor Wassilje witsch ungehalten, und dann fiel bestimmt die uns wohl bekannte Frage: „Und wo ist der Hafer?“ Dieser Ausdruck wurde zum geflügelten Wort, kam in vielen Instituten in Umlauf, und so mancher Referent mußte sich diese Frage gefallen lassen. Wissenschaftlich-technische Konferenzen berief Kurtschatow meist für Montag um „zehn null null" ein, und wenn sich jemand auch nur um eine Mi nute verspätete, sagte Igor Wassiljewitsch: „Der und der ist um eine Minute zu spät gekommen. Ver merken Sie das im Protokoll.“ Und er gewöhnte uns alle daran, pünktlich zu sein, damit- keine Mi nute verlorengehe und keiner auf den anderen zu warten brauche. Igor Wassiljewitsch eröffnete eine solche Konfe renzjedesmal, indem er kurz erklärte, warum die betreffende Frage zur Diskussion gestellt wurde. Dann erteilte er dem Referenten das Wort, sagte aber gleich: ..Zwanzig Minuten Redezeit." Manch mal protestierte der Referent: „Damit komme ich nicht aus.“ „Versuchen Sie's. es wird schon sehen." Alle wußten, daß Kurtschatow für Geschwätz, für „Wasser“ nichts übrig hatte-. Sprach der Referent interessant, so vergaß Igor Wassiljewitsch die Ge schäftsordnung. Aber wehe, wenn der Berichterstat ter abschweifte. oder sich wiederholte —. dann er klärte Igor Wassiljewitsch unbarmherzig: „Ihre Redezeit ist abgelaufen. -- Bei Kurtschatow verliefen Konferenzen dynamisch und zogen sich nicht in die Länge. Waren die Referate meist kurz, so konnte die. Diskussion aber manchmal recht lange dauern. * Kurtschatow stellte an alle die strengsten Forde rungen, ließ keine Lässigkeit durchgehen. Mir ist noch gut in Erinnerung, wie wir 1955 die Referate zur ersten Genfer UNO-Konferenz über die fried- liehe Nutzung der Atomenergie vorbereiteten. Als wir erfuhren, daß die Redezeit auf zehn bis fünf zehn Minuten beschränktwar, machte uns die For mulierung unserer Mitteilungen beträchtliche Mühe. Igor Wassiljewitsch beschränkte sich nicht darauf, jedes Kurzreferat zu lesen, er ließ alle, die zur Konferenz fuhren, ihre Mitteilungen vortragen. Ich hörte, wie er einem der Delegierten sagte: „Stellen Sie sich vor, Sie sind schon in Genf. Treten Sie ans Pult und sprechen Sie. Aber höchstens zehn Mi- nuten." Als der Redner fertig war, sagte Kurtschatow: ..Ihr Referat taugt nichts. Es lohnt sich nicht einmal, daran zu feilen. Sie reden von Dingen, die jeder weiß, auf einer internationalen Konferenz aber muß man Neues sagen. Und Sie haben auch Neues zu sagen, haben sich aber nicht genügend vorbereitet. Darum möchte ich Ihnen raten, es neu zu schreiben." Er selbst hielt nie lange Reden. Stets sprach er frei, ich kann mich nicht erinnern, daß er je nach einem vorher geschriebenen Text gesprochen hätte, dazu hatte er keine Zeit. Aber die Wirkung seiner Reden war kolossal.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)