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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE-MUSEUM Sonnabend, 9. Dezember 1961, 19.30 Uhr Sonntag, 10. Dezember 1961, 19.30 Uhr 4.PHILHARMONISCHES KONZERT • Dirigent: Siegfried Geißler Solist: Manfred Scherzer, Berlin Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791 Sinfonie D-Dur, KV 504 (Prager Sinfonie) Adagio allegro Andante Presto Igor Strawinski geb. 1882 Gesang der Nachtigall (Sinfonisches Poem) PAUSE Alexej Matschawariani geb. 1913 Konzert für Violine und Orchester Allegro Andante sostenuto Allegro vivo Paul Dukas 1865-1935 Der Zauberlehrling (Scherzo nach einer Ballade von J. W. von Goethe) Manfred Scherrer ZUR EINFÜHRUNG Unter den Orchesterwerken Mozarts nimmt die Sinfonie in D-Dur (Köchelverzeichnis Nr. 504) einen höchsten Rang ein. In Musikantenkreisen führt sie den Namen „Prager Sinfonie“, weil sie - zwischen Figaro und Don Giovanni komponiert - am 19. Januar 1787 in Prag ur aufgeführt worden ist. Sic hat eine große, langsame Einleitung voller Spannung, zugleich voller Gesang und Wehmut. Im anschließenden Allegro des ersten Satzes schwingt die Spannung der Einleitung in den Synkopen noch nach, während das Hauptthema in Terzen in den Mittel stimmen gesungen wird. Obwohl das Gegenthema bei der Wiederholung in Moll erklingt, gewinnt der tragische Ton nicht die Überhand. Die Stimmungssphäre des zweiten Satzes (Andante) weist in ihrer erregten Gespanntheit die Legende von Mozarts „Rokokoliebreiz“ weit von sich, ein wolkenloser Himmel wölbt sich nur über dem zweiten Seitenthema in D-Dur, der Dominante des G-Dur-Andantes. Warum die Sinfonie kein Menuett hat, also nur dreisätzig ist, wissen wir nicht. Der Finalsatz deutet nochmals durch seine Synkopen auf die Erregung der ganzen Sinfonie hin, dabei fällt er musikalisch liebenswürdiger aus als der erste Satz: Das Konzertieren zwischen Streichern und Bläsern führt zu reizenden und wirkungs vollen Effekten. Man hat Igor Strawinskis Oper „Gesang der Nachtigall“ gleich im Uraufführungsjahr 1914 in Petersburger Fachkreisen eines kompositorischen Stilbruchs beschuldigt. Man warf ihr vor, daß der erste Akt, dessen musikalischen Entwürfe noch Strawinskis Instrumentationsmeister Rimski-Korsakow vorgelegen hatten, französisch-impressionistisch sei, während der zweite und dritte Akt Arnold Schönbcrgsche Klanghystericn zeigten. Auf Drängen des genialen russi schen Ballettmeisters Sergei Djagilew arbeitete Strawinski diese Oper Le ebant du rossignol (= Gesang der Nachtigall) zur Tanzkomposition um. Der Komponist war freilich von der Pariser Aufführung (1920) der Bearbeitung längst nicht so angetan wie von der rein konzer tanten Aufführung der Oper als Poewe sympbonique (als Symphonische Dichtung). Jedenfalls hat das dauernde Arrangieren des Werkes - mal als Oper, mal als Ballett, mal als Symphonische Dichtung - die ursprüngliche, angefeindete Opernfassung kaum bekannter oder beliebter wer den lassen. In Deutschland war die Oper jahrzehntelang unbekannt, der Dirigent Hans Rosbaud brachte sie 1960 in Köln ohne eigentlichen Repertoircerfolg heraus. Die konzertante Form der Symphonischen Dichtung, hinter der noch immer die vokale Urform der Oper zu erkennen ist, paßt besser zur Aussage des Märchens als der artistische Stil des Balletts. In der Symphonischen Dichtung, die wir in unserem Konzert hören, bleibt vom Gesamt duktus der Oper nicht viel übrig, aber charakteristische und reizende Einzelheiten bleiben haften: Nach einem Harfen-, Klavier- und Hornglissando weisen Piccoloflötenseufzer auf die Nachtigall als Hauptthema des Andcrsenschen Märchens hin. Der wundersame Garten, der köstliche Porzellan-Pavillon, der prächtige Thronsaal tun sich auf, ein Posaunenthema erklingt, vor dem sich Triolcn wie sich verbeugende Diener ausnehmen, die Bezeichnung marcato deutet wichtig-witzig die „Majestät“ des Kaisers an, denn „in China ist der Kaiser ein Chinese, und alle, die er um sich her hat, sind auch Chinesen“. Im Andantino (kleinen Andante) singt die Nachtigall zur Freude der Fischer im kaiserlichen Garten, ein anschließen der marebe ebinoise (Chinesischer Marsch) bringt das notwendige exotische Element hinein. Und dann kommt die eigentliche Flötenkadenz: Die Nachtigall singt vor dem Kaiser! „Dem