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Verglichen mit dem Vokal- und Klavierwerk Robert Schumanns nehmen die Kom positionen für Orchester einen verhältnismäßig engen Raum ein. Außer den vier Sinfonien, dem Orchesterwerk „Ouvertüre, Scherzo und Finale“ kennen wir nur noch einige Ouvertüren für Orchester, die verhältnismäßig selten in unseren Kon- zertsälen erklingen. 1839 schrieb Robert Schumann in einem Briefe an seinen alten Lehrer Born (14. April): „Das Klavier möchte ich oft zerdrücken, und es wird mir zu eng zu meinen Gedanken. Nun hab' ich freilich im Orchestersatz noch wenig Übung, doch denke ich noch Herrschaft zu erreichen." Die Musik zu Lord Byrons „Manfred" komponierte Robert Schumann während der Jahre 1848/1849 in Dresden. Das Stück erregte damals fast soviel Aufsehen wie vorher Goethes „Werther". Schumann ging es bei der Komposition vor allem um das Stimmungshafte, um die Ausdeutung des Atmosphärischen, das in dieser echt romantischen Dichtung eine so große Rolle spielte. Man hat des öfteren versucht, die gesamte Manfred-Musik Robert Schumanns wieder zu neuem Leben zu erwecken. Doch ohne den Zusammenklang mit der Dichtung ist das nicht möglich, und so ist denn allein die Ouvertüre zu „Manfred“ geblieben, ein großartiges Orchesterstück, formal überaus frei geformt, eine Art „Seelengemälde" oder auch ein „Selbstbekenntnis" wie es einmal treffend formu liert wurde. Auch wenn in diesem Orchesterwerk die Stimmungen des Nachdenk lichen und Grüblerischen über dem Frohen und Heiteren stehen, wirkt die Musik auf den Hörer nie deprimierend, da alles von den Gesetzen der Schönheit be stimmt wird. Und doch: wenn wir an das erschütternde Schicksal Robert Schumanns denken, das dieser in den letzten Jahren seines Lebens erleiden mußte, können wir diese Ouvertüre nicht ohne Bewegung hören. Franz Schubert, der unerreichte Meister des Liedes, ist auch in seinen Instru mentalwerken vor allem Lyriker. Seine h-moll Sinfonie besteht nur aus zwei Sätzen. Wir nennen sie deshalb die „Unvollendete“. Warum Schubert an dem im Oktober 1822 entstandenen Werk nicht weiter gearbeitet hat, wissen wir nicht. Vielleicht fürchtete er sich davor, nach dem wundervollen Gesang des langsamen Satzes noch einen dritten und vierten zu schreiben. Man scheut sich zuweilen, an gesichts eines solchen Kunstwerkes von formalen Dingen wie Thema und Durch führung zu sprechen. Aber auch einer solchen Betrachtung hält das Werk stand, das im ersten Satz die Sonatenform in klassischer Weise erfüllt: Dem schwer mütigen ersten Thema, dem sehnsuchtsvollen Gesang von Klarinette und Oboe über den Sechzehnteln der Geigen steht das volksliedhafte, ländlerartige zweite Thema in den Celli entgegen, jene berühmte Melodie, die man einmal die „berühmteste der Welt“ genannt hat. Kurze Zeit vor Mozarts Tod suchte der Theaterdirektor und Sänger Schikaneder ein zugkräftiges Volksstück, eine große „Operette" (Richard Wagner), um das k. und k. private Wiedner-Theater vor dem Zusammenbruch zu retten. Es sollte ein Märchenstück sein, lustig, nachdenklich, mit Zaubereien und Überraschungen, kurz, ein Zaubermärchen, wie es dem Publikumsgeschmack eines echten Wiener Vorstadt-Theaters angepaßt war. Unter Schikaneders Händen und vor allem im Zusammenwirken mit Mozart wurde mehr daraus, denn in die Märchenhandlung wurden Gedanken der Weisheit, Humanität, Verschwiegenheit eingefügt, wie sie uns in den Satzungen der Freimaurer begegneten, so daß aus der ursprünglichen Zauberposse ein „höherer Sinn” erwuchs und ein menschlich-ethischer Inhalt entstand. Der Grundgedanke des menschlichen Strebens nach Licht, Sonne und edlem Menschentum wurde damit zum Leitmotiv der Handlung: Königin und Sarastro, Falschheit und Wahrheit, Nacht und Licht stehen sich gegenüber: dazwischen ist der Mensch gestellt, der wählen kann, der sich entscheiden muß. Die strahlende Welt des Lichtes siegt über die Finsternis. Musikalisch verschmilzt W. A. Mozart eine Vielheit unterschiedlicher Elemente zu einer persönlich geformten Einheit. Die drei Einleitungsakkorde der langsamen Einleitung zur Overtüre weisen auf die Weihe und Erhabenheit der Welt Sarastros hin. Ein fugiertes Allegro ist kontrapunktisch reich verziert, es soll die Ordnung und Gesetzmäßigkeit in Sarastros Tempel charakterisieren. Robert Schumann nannte die Ouvertüre zur „Zauberflöte" das „seligste Wunder kind, das, Licht und Freude spendend, immer wieder auftauchen wird trotz Nebel und Finsternis.“ Als Peter Tschaikowski in den Monaten Mai bis August 1888 an seiner 5. Sinfonie arbeitete, wurde er oft von Stimmungen des Zweifels und der Resignation über fallen: „Ist es nicht an der Zeit aufzuhören? Habe ich nicht meine Fantasie über anstrengt? Ist die Quelle nicht versiegt?“ Nach der Petersburger Uraufführung am 5. November 1888 war der russische Meister überzeugt, daß seine „Fünfte" ein mißglücktes Werk sei. Tschaikowski irrte. Durch den Abstand der Zeit wurde eine gerechte Wertung möglich: Die „Fünfte" bedeutet im Schaffen Tschaikowskis einen glanzvollen Höhepunkt. Sie steht gleichberechtigt neben der „Symphonie pathetique;“ ja, es gibt sogar Stimmen, die meinen, daß die „Fünfte" überhaupt die bedeutendste Sinfonie ist, die Tschaikowski je geschrieben hat. Wie dem auch sei: Tschaikowskis 5. und 6.Sinfonie bilden einen Gipfelpunkt vollendeter Sinfonik im 19. Jahrhundert.