Anton Dvoraks Sinfonie „Aus der Neuen Welt" — bislang bekannt als des Meisters „Fünfte" — war in Wirklichkeit seine „Neunte", seine letzte Sinfonie. Skizzen und Partitur wurden in den ersten Monaten des Jahres 1893 in New York niedergeschrieben: Mit der „Neuen Welt" war Amerika gemeint, wo Dvorak einige Jahre als Direktor des National-Konser- vatoriums gewirkt hatte. Die Uraufführung der „Neunten" fand am 16. Dezember 1893 in New York unter Leitung Anton Seidls statt. Die europäische Erstaufführung erfolgte einige Monate später durch das Kurorchester Karlsbad. Das amerikanische Publikum überhäufte Dvorak nach der Urauffüh rung mit lang anhaltenden und stürmischen Ovationen. Vom Natio- nal-Konservatorium erhielt er für seine mit einem Preis ausgezeichnete „Originalsinfonie" 300 Dollar. Dvorak lernte während seines amerikanischen Aufenthaltes zahlreiche Volkslieder der Neger und Indianer kennen, die ihn nicht nur als Musiker begeisterten, sondern als Komponist anregten und beein flußten. In einem Briefe des Meisters lesen wir zur Erklärung: „Ich habe nicht eine einzige Neger- oder Indianermelodie verwendet, ich schrieb ein fach nur eigenständige Themen, verleibte ihnen die Besonderheiten der Indianermusik ein und verwertete diese Themen als Motiv; ich entwickelte sie mit Hilfe aller Errungenschaften des modernen Rhyth mus, der modernen Harmonisierung, des Kontrapunktes und der Or chesterfarben." Nach einer langsamen Einleitung beginnt das „Allegro" des ersten Satzes mit dem klar gemeißelten Hauptthema. Das sich anschließende Nebenthema ist ganz und gar tschechisch empfunden. Liedhaft-hym nisch erklingt das eigentliche Seitenthema. Durchführung, Reprise und Coda unterstreichen die klassischen Vorbilder der Sinfonie. Der zweite Satz hatte ursprünglich „Legende" geheißen. Die innig-sehn süchtige Liedweise des Englischhorns gehört zu den populärsten Me lodien auf der ganzen Welt. Mit einem unterlegten Text wird die Weise noch heute in verschiedenen Teilen Amerikas (vor allem im Staate New Jersey) als Volkslied gesungen. Das Scherzo inter essiert durch seinen freien formalen Ablauf. Vor dem eigentlichen Trio bringt Dvorak als erstes Intermezzo eine stimmungsvolle Epi sode. In der Reprise klingen zum ersten Male Themen der ersten beiden Sätze auf. Reich und vielfältig umfängt uns die thematische Welt des Finalsatzes: Dvorak greift auf alle drei Sätze zurück, ver flicht die Themen miteinander, es kommt zu imponierenden Steige rungen, doch läßt der Meister die Sinfonie leise, verhalten und fra gend ausklingen: „Es ist, als wollte der Komponist andeuten, daß die Entscheidung, mit der er sich für einen weiteren Zeitraum der Umarmung des frem den Erdteils hingibt, nicht endgültig ist und nicht endgültig sein kann" (Sourek). Inhaltlich sind es in erster Linie die verwirrenden Eindrücke des ame rikanischen Aufenthaltes, die in dieser Sinfonie widergespiegelt wer den, Stimmungen der riesenhaften Großstadt New York mit ihrer Über fülle von Menschen, Begegnungen mit Negern, denen sich Dvorak freundschaftlich verbunden fühlte. Das gilt vor allem für die beiden