Sein Werk lebt Wer den Namen Peter Tschaikowskijs nennt, denkt an den Dreiklang seiner „großen“ Sinfonien, an den Meister wahrhaft volkstümlicher Opern und Ballette, an den Komponisten stimmungsstarker Lieder und Kammermusik werke. Wir wissen, wie Zeit und Menschen das Gesamtwerk Tschaikowskijs beurteilten, ablehnten oder begeistert begrüßten. Wer jedoch denkt einmal ernsthaft darüber nach, welchen Einfluß Tschaikowskijs Werk auf die Musik der letzten 60 Jahre ausgeübt hat? Nach dem Tode des Meisters gab es wohl keinen russischen Komponisten, der sich nicht mit dem Erbe Tschaikowskijs auseinandergesetzt hätte: Vasilij Rebikow (1866—1922) muß genannt werden, auch Alexander Skrjabin (1872—1915), vor allem in seinen frühen Werken, Anton Arenskij (1861—1906), Alexander Glasunow (1856—1936) und Vasilij Kalinikow (1866—1900). Außerhalb Rußlands waren es der Engländer Edward Eigar (1857—1934), der Finne Jan Sibelius (geboren 1865) und der Pole Karol Szymanowski (1883 bis 1937), die zwar nicht in der Gesamtheit ihres Schaffens, so doch in einzelnen bezeichnenden Werken den Einfluß Tschaikowskijs erkennen ließen. Sergej Rachmaninow (1873—1944) und Igor Strawinsky (geboren 1882) müssen besonders erwähnt werden, denn beide Meister haben sich große Verdienste um das lebendige Weiterwirken Tschaikowskijscher Musik in unserem Jahr hundert erworben. Schon als Schüler hatte Rachmaninow Tschaikowskijs Manfred-Sinfonie aus übergroßer Verehrung für den Meister für zwei Klaviere bearbeitet, und auch seine erste Suite (op. 5) widmete er Tschaikowskij. Mit seinem Trio op. 9, in „Erinnerung an einen großen Künstler“, gedachte Rachmaninow des verehrten Meisters. Vielfältig sind die Anklänge Tschai kowskijscher Musik in den Sinfonien und Liedern Rachmaninows. Selbst die Verwendung der „idee fixe“ (Tschaikowskij: Vierte Sinfonie) kehrt bei Rachmaninow wieder (Sinfonie Nr. 2). Bei Strawinskys geistbetonter, glasklarer Musik wird es dem Hörer vorerst schwerfallen, eine Verbindung zur Gefühlswelt Tschaikowskijs herzustellen, und doch: Ein Tschaikowskij-Gedächtniskonzert in Moskau (mit der „Pathe- tique“) begeistert den elfjährigen Strawinsky so sehr, daß er den Entschluß faßt, sein zukünftiges Leben der Musik zu widmen. In ihrer ersten Sinfonie verwenden Tschaikowskij wie Strawinsky das gleiche russische Volkslied thema. 1929 beauftragt Djagilew, einer der bedeutendsten Meister europä ischer Ballettkunst, Strawinsky mit der grundlegenden Neubearbeitung von Tschaikowskijs Dornröschen-Ballett, und zwar auf Grundlage der Original partitur, die man bei den bisherigen Aufführungen weitgehend negiert hatte. Strawinsky instrumentierte einige Teile neu, die von Tschaikowskij nur als Skizzen geschrieben waren. Es war für Strawinsky eine beglückende Arbeit, an die er sich noch heute gern erinnert. Die Reihe der Komponisten ist noch nicht zu Ende: Die Finalsätze zahlreicher Sinfonien Mjaskowskijs zeigen formal eine starke Ähnlichkeit mit den Schluß-