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Richard Strauß „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ Wie erwähnt, weist die „Schottische“ Mendelssohns die Eigentümlichkeit auf, daß die vier Sätze der Sinfonie unmittelbar aneinander geschlossen ohne Zwischen pausen gespielt werden: ein Verfahren, das nur noch Robert Schumann bei seiner D-Moll-Sinfonie zur Anwendung brachte. Die Sinfonik Richard Strauß’ hat diesen Grundsatz — wenn auch unter veränderten Gesichtspunkten — wieder aufgenommen. Bei ihm handelt es sich nicht um ein loses Aneinanderfügen einzelner, inhaltlich ver wandter Sätze, sondern um ein Zusammen fassen des gesamten Gedankenmaterials zu einem logisch entwickelten Organismus. Ueber Berlioz und Liszt kam Richard Strauß zur Programmusik. Deren sin fonische Dichtungen wollen nur malerisch wirken, die Architektur der alten Sinfonik fehlt ihnen. Sie enthalten eine Unzahl von Motiven und Themen, denn der Komponist illustriert seinen Dichtungs-Stoff. Große Entwicklungsmöglichkeiten Hegen natürlich nicht in der Programmusik. Aber sie hatte das gleiche Gute für die Musik wie der Naturalismus für die Dichtung. Sie ver nichtete allerdings den Begriff der „klassi- sdien Form“, aber sie zwang den Schaffen den zu äußerster Prägnanz. Und es er standen auf diesem Gebiete Meisterwerke, die den Tag überlebten und weit über leben werden. Ein solches ist auch Straußens „Till Eulenspiegel“. Das Genie Richard Strauß hat es ver standen, daß „Tills Konterfei in Tönen“ genau so deutlich und ähnlich ausgefallen ist, wie man den schellenbehangehen, lachenden Philosophen je auf Bildern ge sehen hat. Der Komponist wandte sich hier eigentlidi zum ersten Male von der Tragik der früheren sinfonischen Ton dichtungen („Aus Italien“, „Don Juan“, „Macbeth“) dem Humor zu. Und die Par titur beweist, daß des Meisters Palette ge rade hier über alle nur erdenklichen Farben verfügt. Er sdiui eines der genialsten aller Orchesterwerke. Ein „Rondo“ nennt Strauß diesen witzfunkelnden Orchesterschwank, in dem er sich musikalisch mit Witz selbst konterfeit und in dessen geistiger Atmo- s r, ..„re eigentlidi nichts vorhanden ist, was nicht im Wesenskerne des Autors selbst lievt. Im „Eulenspiegel“ hat Strauß zweierlei zum Ausdruck gebracht: einmal den Schelm und bdialksnarr Till, der derb (und roh zum Teil) die Leute ärgert, und dann das Milieu, das Volk mit aller seiner Bieder keit, uas auf die „lustigen Streiche“ herein fällt — das Volk, das dem Treiben dieses „satirischen Geistes“, dem „bösen Gewissen seiner Zeit“ mit guter Miene so lange zu sieht, bis es — „seine Geißelhiebe auf ge wisse verrottete Zustände falsch ver stehend“ — den „Reformator mit der öuiellenkanne“ dem Henker überliefert und ihn aufknüpfen läßt. Und daß uns Richard Strauß mit der Titelglosse „nach alter Schelmen weise in Rondoform“ etwas vorspiegelt in den kühnsten Verkleidun gen, in den tollsten, aber geistvollsten rhythmischen und harmonisdien Verwand lungen — das versteht sich. Er stützt sich in dem tollen Durcheinander auf vier Volksweisen: das „Pastorenthema“, das „Philisterthema“, die Melodie des „Pro logs“ und die des „Epilogs“. Und so kommt er denn von dem im „Prolog“ die Peitsche schwingenden Schalknarr („Es war einmal ein Schalksnarr Till Eulensoiegel. Das war ein arger Kobold.“) zu den Stationen „Auf zu neuen Streichen“, „Wartet nur, ihr Duck mäuser“, „HopD zu Pferde mitten durch die Marktweiber“, „Mit Siebenmeilen stiefeln kneift er aus“, „In einem Mause loch versteckt“, „Als Pastor verkleidet“, „Doch aus der großen Zehe guckt der Schelm hervor“, „Till als Kavalier mit schönen Mädchen“, „Ein feiner Korb ist auch ein Korb“, „Rache am ganzen Men schengeschlecht“, „Die Thesen für die Philister“, „Große Grimasse von weitem“, „Tills Gassenhauer“, „Das Gericht“, „Tills Sterbliches hat geendet“. „Epilog.“ Der Höhepunkt dieser Bilderserie ist der Gassenhauer, wo auch die Umkehr in dem zweiteiligen Werke einsetzt. Die Partitur ist wohl die komplizier teste, die wir in uer Musikiiteratur Über haupt haben. Das Werk ist geradezu blendend in einem grotesken Kolorit in strumentiert. An die musikalische In telligenz des Dirigenten und der Kapellisten werden hier die allerhöchsten Anforde rungen gestellt. Wir hörten den „Till“ be reits vor einigen Jahren unter Mörike. Constantin Krebs. Druck: Landgraf & Co., Chemnitz