Volltext Seite (XML)
Beim Anhören dieser Sinfonie wird sich der wirklich musikalische Hörer immer wieder von neuem über die Haltlosigkeit des Märchens vom „verblaßten und ver staubten“ Mendelssohn klar. Die vier Sätze ziehen nach Mendelssohns Vorschrift ohne Pause zwischen den einzelnen Werken in klarer Disposition vorüber. In den drei ersten Sätzen, vornehmlich in dem land schaftlich weit gespannten ersten Allegro und dem anschließenden Scherzo hat die national-nordische Stimmung unmittelbar greifbaren melodischen Ausdruck gefunden. Der Finalsatz, das „Allegro guerriero“, klingt schließlich in einem feierlichen Schlußhymnus aus. Im ganzen ein Meister stück unverfälschter deutscher Romantik, dem in seiner Art nur Schuberts „Unvoll endete“ (allerdings überragend) zur Seite gestellt werden kann. D’Alberts Cello-Konzert C-Dur, opus 20 Eugen d’Albert kann man so halb und halb —• wie es ja die ganze Person dieses Anglofranco-Alemannen ist — als Epigone der musikalischen Romantik zurechnen. Sicher wohnen zwei Seelen — „ach“ — in des Künstlers Brust. Die historische Glo riole wird fraglos dem Klavierkünstler d'Albert zugesprochen werden, dem Despo ten der Tasten, der ein dämonisches Tem perament mit hervorragenden Fähigkeiten der mannigfadisten stilistischen Einfühlung und der grandiosen, so klugen als klaren Vortragsdisposition in sich vereinigt. Oder besser — in sich vereinigte, denn er, der nunmehr 67jährige, hat den Pultdeckel sei nes Flügels — für die Öffentlichkeit wenig stens — endgültig zugeklappt. Launig wie eine Primadonna, abgebrüht wie ein Poli tiker, und doch den glimmenden Funken in sich bewahrend, der zur Flamme auflodert, sobald wirklich inspirierte Klangmateric ihre Ziindkraft an ihm bewährt — steht d’Albert auch heute noch an der Spitze jener Pianisten, die unser Publikum erst zum Genuß des ernsten Musizierens am Flügel erzogen haben, wenn er es selbst auch nidit mehr ausübt. Es ging ihm wie Liszt, der in der letzten Periode seiner Ent wicklung nidits mehr vom Flügel wissen wollte, wie Busoni, der von dem „Aller weltsinstrument“ nach dem Orchester strebte. Er wurde vom ausübenden schaf fender Künstler. Dem Komponisten d’Albert verdanken wir zwei reizvolle musikalische Lustspiele von gepflegt epigonaler Haltung: die „Ab reise" und „Flauto solo“. Es ist das Beste, was d’Albert gesdiaffen. Wie hohes Froh locken ging es durch die musikalische Welt, als die entzückenden Stücke über die Bret ter schritten. Die Sehnsucht aller Musiker schien in Erfüllung gehen zu sollen: die deutsdre komische Oper mit den feinroman- tisdien Schattierungen und nach den neu erworbenen musikalischen Anschauungen schien geschaffen. D’Albert setzte aber das Genre nicht fort, er wechselte vom Humor zur Tragik in der Form des modernen Musikdramas, um im „Tiefland“ und den „Toten Augen“ schon parallel dem Fahr wasser des unbedenklich und primitiv den Effekt zwingenden italienischen Verismo hinzusteuern. Was an Bühnenwerken d’Al- berts dazwischen lag und was nachher kam, ist wohl mit Recht wie der Wind verweht. Neben der Opernkomposition — dem „Hauptberuf“ — hat d’Albert viel für Kon zert und Haus komponiert. Zahlreiche Lie der, viele Klavierstücke, ein Quartett, sogar eine Sinfonie und mehrere Ouvertüren flössen ihm aus der Feder — mehr als aus dem Herzen. Diesen Kompositionen man gelt zum Teil die Plastik in Form und Ge danken. Stärker wird für seine Inspiration die selbstgeschaffene pianistische Kunst in den beiden Klavierkonzerten, wo er, der Kenner, diese in wundervoller Pracht und Ausdruckskraft in Dienst stellt und ihr vom Beethovenschen Stil aus entgegentritt. Audi in dem Cello-Konzert in C-Dur (opus 20), das er für sein Lieblingsinstrument schrieb, ist d’Alberts geistesstarkes Aus schöpfen der hohen Kunst des Konzertie- rens stark empfindbar. Es setzt prachtvoll ein, mit Leidenschaft erfüllt, hält aber dann nicht ganz. Es „sequenzclt“ sich dann zum Teil etwas mühselig weiter. Immerhin versteht d’Albert audi hier das Unbedeu tende in gewissem Sinne interessant zu machen, ohne den Zuhörer damit zu lang weilen. Das Konzert ist für Heinrich Grün feld, den Cello-Meister, geschrieben, mit dem der Komponist seinerzeit viel musi zierte und konzertierte. Bei der spärlichen Cello-Literatur hat das C-Dur-Konzert trotz seiner Sekundität einen beachteten Platz behauptet. Zur Zeit des Zusammenarbeitens des Pianisten d’Albert mit dem Cellisten Grün feld datiert übrigens eine nette Anekdote: D’Albert wurde plötzlich von einer heftigen Leidenschaft für den Reitsport ergriffen — trotzdem er miserabel zu Pferde saß und jeder Ausritt allerhand Unannehmlichkeiten mit sich brachte. Grünfeld erklärte damals: „Idi weiß, warum d’Albert jetzt reitet, das Musizieren wirft nicht genug ab!“ . . . Aus diesem Grunde hat sich dann d’Albert wohl auch später auf das Opern-Kompo- nieren geworfen, das ihm sehr viel abwarf.