Zehn Jahre Chemni^er Volksbühne Unter dem Vorsitz des Herrn Bürger meisters Arlart beschäftigte sich der Städti sche Volksbildungsausschufi am 14. Mai 1920 erstmalig mit dem Gedanken, für die von ihm veranstalteten Theater-Vorstellungen eine feste Besuchergemeinde zu schaffen. Am 12. Juni wurde die Gründung einer Volksbühne beschlossen und am 13. Juli die Werbearbeit in großzügiger Weise einge leitet. Am 1. September 1920 konnte im Thaliatheater und in den beiden städtischen Theatern der Spielbetrieb mit 18 000 Mit gliedern aufgenommen werden. Im Oktober war bereits die Höchstzahl mit 22 500 Mit gliedern erreicht. Am 28. November 1920 sonderte sich die Besuchergemeinschaft vom Volksbild ungsausschuß ab und gab sich eine eigene Verwaltung und eigene Satzungen, deren 1. Paragraph lautete: „Der Verein — ein gemeinnütziges Unternehmen — stellt sich die Aufgabe, das Verständnis fiir Kunst und Kunstwerke sowie für den gesamten Kulturbesitz im Volke zu wecken und zu fördern. Er sucht diese Aufgabe zu lösen ins besondere durch Aufführung von Bühnen werken, durch Vorführung bedeutender Werke der Dichtung, der bildenden Kunst und Musik sowie durch erläuternde Vor träge und Druckschriften.“ Von Anfang an bis auf den heutigen Tag bekannte sich die Chemnitzer Volks bühne zu dem demokratischen Grundsätze der Gleichachtung und des Mitbestimmungs rechtes ihrer Mitglieder. Sie bringt diesen Grundsatz dadurch zur Geltung, daß sie für ihre Pflichtvorstellungen von allen Mit gliedern einheitliche Beiträge erhebt und die Auslosung der Plätze unter strengster Aufsicht durch die von den Mitgliedern selbst gewählten Vertreter öffentlich im Theater vornehmen läßt. Damit erfüllt sie, wie keine andere Besucherorganisation, die Bedingungen, unter denen der „Ver band der gemeinnützigen Theater Deutsch lands“ — dem auch die Städtischen Theater angeschlossen sind — Besucher-Gemein schaften als gemeinnützige Kulturorgani sationen anerkennt. Dieser Einstellung ver dankt sie das weitgehende Vertrauen der Stadtverwaltung, der Theaterleitung und breitester Schichten unserer Bevölkerung, von denen sie Tausende und aber Tausende überhaupt erst für das Theater gewonnen und ihnen durch niedrige Eintrittspreise den Genuß der Theatervorstellungen er möglicht hat. An ihren organisatorischen Grundfesten hat manch schwerer Sturm gerüttelt. Die unzulänglichen Leistungen des Thalia theaters im ersten Spieljahre kosteten ihr nicht weniger als 8000 Mitglieder. Dann beeinflußten Inflation und Wirtschaftskrisen, vor allem aber im 5. Spieljahr der Umbau des Alten Theaters, ihren Mitgliederstand in stärkstem Ausmaß. Jahr für Jahr kehrten ihr am Ende der Spielzeit Tau sende von Mitläufern den Rücken, und cs bedurfte oft der größten Anstrengungen, mn die Verluste wieder auszugleichen. Daß dies fast immer gelang, ja, daß darüber hinaus in den letzten Jahren ein stetes An steigen der Mitgliederzahl erreicht werden konnte, beweist die ungeheure agitatorische Kraft, die der Volksbühnenbewegung inne wohnt und die nicht ohne entscheidenden Einfluß auf die Wirtschaftsführung unserer Theater gewesen ist. Man darf — ohne Gefahr laufen zu müssen, widerlegt zu werden — wohl behaupten, daß der fast zuschufifreie Betrieb des Schauspielhauses nur durch die rationelle Zusammenarbeit mit der Volksbühne ermöglicht worden ist. Eine kurze statistische Uebersicht möge die Werbekraft der Volksbühne illustrieren: M itgliederbemegu ng 1. Spieljahr 22 500 2. Spieljahr 18 000 3. Spieljahr 21 500 4. Spieljahr 21 000 5. Spieljahr 11 300 6. Spieljahr 12 200 7. Spiel jahr 12 600 8. Spieljahr 14 000 9. Spieljahr 15 400 10. Spieljahr 16 700 In den 10 Jahren ihres Bestehens ent sandte die Volksbühne weit über 2 Mil lionen Besucher in die Chemnitzer Theater. Mindestens 5000 Plätze belegt sie auch heute noch Woche für Woche im städtischen Opern- und Schauspielhaus, wodurch sie in der Lage ist, ihren Mitgliedern im 10. Spiel jahre je 9 Schauspiele und 3 Opern zu ver mitteln. Daß die Volksbühne alle vom Theater übernommenen Plätze restlos bezahlt, gleichviel, ob sie selbst in vollem Umfange die Beiträge dafür von ihren Mitgliedern erhält, daß sie also das volle Risiko selbst trägt, ist ein besonders günstiger Umstand für die Stadt. Diese Tatsache wiegt um so schwerer, weil die Volksbühne schon seit Jahren ihre erwerbslosen Mitglieder kostenlos ins Theater führt und damit freiwillig der Stadt eine sozial-kulturelle Verpflichtung abgenommen hat, die dem Verein bei dem ungeheuren Ausmaß der Erwerbslosigkeit (sie betrifft gegenwärtig rund 10 Prozent