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schrieb Beethoven gleichzeitig ideale Kir chen- und Weltgeschichte! - Es war daher wohl verständlich, daß Beethoven die Uraufführung beider Werke an ein und demselben Tage wünschte. Denn beide waren Zwillinge, zusammen erzeugt und -geboren. Aber wie hatte sich der taube Meister aufregen, ärgern und abquälen müssen, bis es zu dem Geburts tage seiner Musenkinder kam! Erst auf reibende Verhandlungen mit allen mög lichen Konzertsaalbesitzcrn. Alle wollten sich an Beethoven bereichern. Sic gönnten ihm die lumpigen 420 Gulden nicht, die die Aufführung ihm später einbrachte. Die so sittenstrenge Zensur verbot den Titel „Missa“ und den lateinischen Text für die Vorführung in einem „Theater“, da die hohe Geistlichkeit darob Zeter schrie. Beethoven war schon dabei, den ganzen elenden Bettel hinzuwerfen und die Ur aufführung der „Neunten“ und von Frag menten der „Missa“ den Berlinern zu zudenken, die sich direkt darum rissen, als es den Bemühungen des Fürsten Lich- nowsky und seines Freundes Schindler endlich gelang, alle Hindernisse aus dein Wege zu räumen. Aber als man endlich die Aufführungs genehmigung hatte, bekamen wieder die beiden „schönen Hexen“ (wie sie Beethoven nannte), die Henriette Sonntag und die Karoline Unger, die Solistinnen der „Missa“ und der Sinfonie, — weil sie hier nicht die gewohnten italienischen Triller und Rou laden zeigen konnten — ihre „Vapeurs und Ohnmächten“. Sie nannten Beethoven, der die Gesangspartie selbst mit ihnen ein studierte und kein Tempo ändern wollte, einen „Tyrannen aller Singorgane“. Aber Beethoven, — er der Taube, las den Ge sang und auch ihre Fehler von ihren Lip pen ab — blieb unerbittlich. Als er mit den „Madamen“ endlich im reinen war, kamen die Kopisten und verlangten für das Aus schreiben der Instrumental- und Chor stimmen geradezu erpresserisch-hohe Un summen. — Doch endlich war alles in Ord nung. Und Frau Schnaps, die entsetzliche Wirtschafterin Beethovens, konnte sich gnä digst herablassen, dem Meister seine Kon zerttoilette für den „Fracktag“ anzulegen - so drückte sich Beethoven aus, wenn er den ihm unsympathischen Frack anziehen mußte. Die Aufführung begann. Das Haus war überfüllt. Die Kaiserloge gähnte leer. Was ging dieser Herr van Beethoven die Habs burger Erlauchten an, wie konnten die ahnen, daß dieser 7. Mai 1824 in der so reichen Geschichte Wiens der reichste wer den sollte? Beethoven selbst dirigierte nicht; er hörte ja nicht mehr, war taub. Hörte nicht mehr die hehren Klänge, die seinem Wunderwerke entquollen. Der Kapellmeister Umlauf war der Begnadete, dem die unerhörte Ehre zuteil wurde, als Erster die unsterbliche „Neunte“ zu diri gieren. Neben ihm im Orchester stand „zur Assistenz“ der Meister selbst, „um die Tempi anzugeben“. Aber wie ein heiliges Fluidum strömte es unwillkürlich vom Meister über auf den Taktschläger: der Geist Beethovens lenkte unsichtbar die Spieler und Sänger. Und als im zweiten Satze die Pauke das Hauptmotiv nachwir belte, brach das Publikum in einen bei spiellosen Jubelsturm aus. Das Orchester war unhörbar, den Kapellisten fehlt die Fassung, weiterzuspielen. Mechanisch gibt Beethoven, der nichts von alldem hört, wei ter Takt. Es ist ihm unfaßbar, warum das Orchester nicht folgt. Da macht ihn Um lauf durch eine Handbewegung auf die beifallrasende Menge aufmerksam. Der Meister dreht sich um, sieht hin und ver neigt sich ruhig, tränenden Auges: der größte Augenblick im Leben des Großen! Von dem Jubel des wie besessen Hüte und Tücher schwenkenden Hauses am Schlüsse der Sinfonie hörte Beethoven wie derum nichts. Still dreht er dem Publikum den Rücken. Erst die lustige Karoline Unger machte den Meister auf den Applaus aufmerksam und zieht den sich Sträuben den an das Proszenium heran, w o er sich stumm und kurz verneigt. Er sieht ja nur den Beifallssturm, hört ihn nicht. Furcht bare Tragik im Leben des Musiktitanen, daß er nur sehen kann, wo er hören sollte. Nur eine einzige kurze Verbeugung als Dank! Und wie viele, die nach ihm sein Werk interpretierten, konnten sich in dem Strahl des durch ihn verursachten Beifalls sonnen! ... Was nachher kam war prosaisch nach dieser Ekstase höchster Poesie: die Abrechnung. Beethoven hatte auf Tausende Reinverdienst gehofft. Man errechnete nur einige hundert Gulden. Und Beethoven hätte so gut Geld gebrauchen können. Mit seinem Freund Schindler wankte er nach Hause. Man bettete den völlig Niederge schmetterten auf sein kümmerliches Sofa. Doch als an einem der nächsten Tage die beiden „Hexen“ (die Sonntag und die Unger) bei ihm erschienen, da lachte dem Künder des Liedes der Freude wieder so etw r as wie Freude. „Da sie mir durchaus die Hände küssen wollten“ ; — schreibt er an seinen Bruder — „und recht hübsch taten, so trug ich ihnen lieber an, meinen Mund zu küssen.“ Beethoven war ja be kanntlich für Frauenanmut jederzeit emp fänglich.