Die klassische „Neunte“ Ihre Uraufführung und ihre Jetjtaufführung. Von Constantin KJr e b s Es war in Wien am 7. Mai 1824. Man strömte nach dem Kärtnertor-Theater. Was gab’s dort? Hatte man wieder einmal ein neues Werk des „Schwans von Pesaro“ auf dem Programm? (Rossini war damals der Lieblingskomponist der Wiener.) Oder mimte man „Donauweibehen“ oder so was ? — Nichts von dem! An allen Ecken und Enden der Stadt war nur angeschlagen ge wesen: „Die Neunte Symphonie des Herrn van Beethoven und Fragmente aus des selben Kompositeurs Missa solemnis“ wer den an diesem Tage uraufgeführt. Es waren zwei ernste Jahre vorange gangen. Was längst in Andacht in Beetho vens Leben wogte, mußte als ein demüti ges Opfer seiner Gottesverehrung dar- gebracht werden. Der Meister mußte zeigen, wie er die Weise verstünde, in der sich Millionen von Menschen zu Gott be kennen. Beethoven war kein Mann der Kirche, wie Johann Sebastian Bach. Audi die strengen Formen der katholischen Liturgie waren ihm fremdes Gebiet. Eine Messe, wie sie Bach in H-Moll durch alle Ewigkeiten fortklingend schuf, konnte Beethoven nicht schreiben. Er mußte des Hochamtes walten, wie es ihm gegeben war. Beethoven konnte nur die Messe Beethovens schreiben, durch und durch als lnstrumen talist, in freier, schöpferischer Phantasie: so ward die „Missa“ 1822 voll endet. Ein Jahr später wurde die „Neunte“ in Angriff genommen und schon nach drei Monaten geendet. Trotz dieser Kürze der Zeit machte das Werk Beethoven viel Kopfzerbrechen. Schwer wollte sich vor allem das erlösende Wort finden, das den Eintritt der Men schenstimmen begründete. Nur diese konn ten dem Hymnus der Verbindung aller Menschen seine überwältigende Ueberzeu- gnngskraft geben, nachdem die Instru mente an die Grenze ihrer Ausdrucks möglichkeiten gelangt waren. „Eines Tages ins Zimmer tretend“ - so erzählt Beethovens vertrauter Schind ler — „rief er mir entgegen: ,Ich liab’s, ich hab’s!“ Damit hielt er mir das Skiz zenheft vor, wo notiert stand: Laßt uns das Lied des unsterblichen Schiller sin gen, worauf eine Solostimme unmittelbar den Hymnus begann. Allein diese Idee mußte später einer unstreitig zweck mäßigeren weichen, nämlich den Worten: O Freunde, nicht diese Töne, sondern laßt uns angenehmere anstimmen und freudvollere.“ Mit der „Missa“ steht die „Symphonie“ in organischem Zusammenhang. Die Messe ist die Geistesmutter der Chorsinfonie. Die Verwandtschaft der Tonarten in D, die Stellen, in denen die Messe zur Sinfonie und die Sinfonie zur Messe wird — alles läßt uns erkennen, daß beide Werke Eins im Geiste sind. Kirche und Welt stehen uns in zwei Kolossen gegenüber. „Et vitam ventu ri saeculi“ predigt die Messe, „diesen Kuß. der ganzen Welt“ die Sinfonie. So