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neuen musikalischen Realismus. Bei der Uraufführung in Berlin errang das Werk einen so starken Publikumserfolg, daß der letzte Satz wiederholt werden mußte. Kochans Violinkonzert steht — Zufall oder Absicht? — in D-Dur, der gleichen Tonart, in der auch Beethoven, Brahms und Tschai- lcowskij ihre Violinkonzerte geschrieben haben. Im ersten Satz stellt Kochan zwei im Charakter sich ähnelnde Themen gegenüber, die wie im klassischen Konzert „durchgeführt" und verarbeitet werden. Nach einer Kadenz des Solisten schließt der Satz mit einer Koda. Der langsame Mittelsatz ist sehr kurz. Fagott und Solovioline stimmen eine breit ausgesponnene Melodie an: Als Kontrast zu dieser ruhigen Stimmung erklingen später akzentuierte Rhythmen der Blechbläser. Im letzten Satz verwendet der junge Komponist die Form des Rondos. Die Solovioline setzt mit dem ersten Takt ein, begleitet von den gezupften Bratschen. Sprühendes Temperament und Musizierlust klingen uns aus der Musik des dritten Satzes entgegen, das Bekenntnis eines jungen Menschen zum Leben unserer Zeit. Peter Tschaikowskij (1840-1893) 3. Sinfonie D-Dur Op. 29 Die 3. Sinfonie op. 29 komponierte Tschaikowskij im Sommer 1875 vom Juni bis Mitte August, wo sie fertig abgeschlossen in Partitur vorlag. Schon am 10. November desselben Jahres wird sie in Moskau untfer Nikolaus Rubinstein uraufgeführt und „enthusiastisch aufgenommen". Tschaikowskij selbst ist nach der Uraufführung skeptisch wie immer. Er, der beim Schaffen in einem Freudenrausch lebt, hat nach Vollendung eines Werkes oft einen Überdruß, der sich wohl aus der so intensiven Beschäftigung erklärt, aus dem. Anspruch, den das Werk an seinen Geist und an sein Können beim Komponieren gestellt hat. Das Werk ist fünfsätzig, was schon ungewöhnlich bei der sonst nur in vier Sätzen üblichen Form einer Sinfonie ist. Tschai kowskij hat seinen Sätzen diesmal genaue Überschriften gegeben. So ist der erste Satz eine Einleitung (Introduzione), abgefäßt im Schritt des Trauer marsches, die dann in ein lebhaftes und brillantes Musizieren übergeht, welcher, von drei Themen beherrscht wird. Den zweiten Satz nennt er „Alla Tedesca", was etwa „auf deutsche Art" heißt. Er läßt einen einfachen Walzer aufklingen, der sich kunstvoll verdichtet, um dann wieder in die graziöse Melodie zurückzusinken, die am Ende das Fagott ausklingen läßt. Das folgende Andante ist der Kern der ganzen Sinfonie. Schön ist wieder um, daß Tschaikowskij die tiefe Schwermut dieses Satzes aus zwei russi schen Volksmelodien entwickelt, die gleich zu Beginn Flöte und Fagott vorblasen. Das Scherzo ist ganz auf vorüberhuschende Figuren gestellt, das Trio nimmt einen heileren Marschcharakter an. Der Schlußsatz (Finale) greift den Rhythmus der Polonaise auf; das glanzvolle Stück mit seinem rauschenden Schluß ist überdies ein Rondo. Während Caesar Cui, einer aus dem „Mächtigen Häuflein", nach der Uraufführung sagte, daß die Sinfonie talentvoll sei, was ziemlich geringschätzig klingt, sagte ein anderer Kritiker, Laroche, sie sei ein europäisches Ereignis gewesen. Er hatte Recht.