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ZUR EINFÜHRUNG Heinz Bongartz, geb. 1894, verdient viel mehr als Komponist herausgestellt zu werden. Seine drei Stücke für Orchester, Werk 31, bestätigen dies voll auf. Das Werk ist 1942 entstanden. Bongartz hat mehrmals von sich gesagt, daß er, Romantiker sei. Das spürt man an allen Ecken und Enden seiner drei Stücke, die er Aufschwung, Romanze und Bur leske nennt, denen er also schon romantische Titel verleiht. Es bedeutet Mut,' sich heute so offen zur / Romantik zu bekennen, aber bei Bongartz kommt diese Einordnung aus einer leidenschaftlichen Musik besessenheit und einem eminenten Können, das dauernd durch seine Dirigententätigkeit gespeist wird. In der melodischen Erfindung ist sein Roman tischsein am deutlichsten zu spüren, aber auch in der Verwendung spätromantischer Klänge und in der großen, an bedeutenden Vorbildern geschulten Kunst, den Orchesterklang zu beherrschen und voll und viel seitig auszunützen. Rhythmisch scharf 'profiliert beginnt der Auf schwung. Drängend entwickelt, sich die Musik zu mehreren Höhepunkten, die sich gegenseitig über- treflen. Bongartz verwendet dazu die Mittel der Motivnachahmung und der steigenden Engführung. Viele solistisch eingesetzte Instrumente setzen Glanz lichter auf das schon farbige Bild. Die Romanze stellt zu Beginn den klagenden Hör nern das weiche, gedämpfte Streichorchester gegen über. Die Hornmelodie erweist sich als tragend für den ganzen Satz. Englisch Horn und Klarinette greifen sie auf und wetteifern an Süße und Schön klang. Ein leidenschaftlich belebter Mittelteil ent wickelt sich aus dem Motiv des Streichorchesters. Die Melodie des Beginns rundet diesen Satz ab. In der Burleske sind alle rhythmischen und instrumen- tatorischen Teufeleien losgelassen. Markante Bläser akkorde, unterstützt vom präzisen Schlagzeug geben den Hintergrund für eine kapriziöse Strcicher- melodie. Die Klanggruppen wechseln oft und bringen dadurch Farbigkeit und Vielfalt ins Klangbild. Über raschungen durch Generalpausen, solistische Kon traste neben dem vollen Orchester sorgen dafür, daß der burleske Charakter des Stückes unterstrichen wird. Das reizvolle Stück mündet in ein Fugato, das den Satz glanzvoll und wirkungsvoll steigernd ab schließt. Das ganze Stück ist ein Paradestück für leistungsfähige Orchester. Aram Chatchaturian, der 1904 geborene Ar menier, zählt zu den großen Begabungen und Hoff nungen der neuen russischen Musik. Seine bisher bei uns gehörten Werke, das Klavierkonzert, das Violon cellokonzert, bestätigen dies durch ihre Urwüchsig keit und Kraft, durch ihre Frische und Kühnheit. Chatchaturian ist ein Beweis dafür, daß die klang lichen Mittel der Neuen Musik sich durchaus mit volksliedhaftem Gut vereinigen lassen. Seine Musik spricht nicht nur den einfachen Menschen spontan und unmittelbar an, sondern befriedigt auch vollauf den Kenner. Das Violinkonzert ist 1940 entstanden. Borodin ist für Chatchaturian das große Vorbild, dem er vor allem in der warmen, farbigen Instrumen tierung seiner melodisch blühenden und rhythmisch beschwingten Musik nacheifert. Das dreisätzigeWerk hält sich streng an das klassische Schema des Kon zertes. Dies ist ein erstaunlicher Beweis mehr für die Auffassung, daß in den bisherigen Formen noch viel auszusagen möglich ist. Nach einer kraftvollen, im Einklang geführten Orchestereinleitung beginnt mar- cato das Soloinstrument mit seiner unaufhörlichen Bewegtheit, die motorisch und .elementar zugleich wirkt. .Auch das zweite Thema, ausdrucksvoll, läßt den strömenden Fluß dieser naturnahen Musik nicht abreißen. Chatchaturian putzt das Figurenwerk mit Doppelgriffen, Flageolets, Trillern und Glissandi heraus, um dem Solisten, auch in der Kadenz, dank bare und klingende Aufgaben zu stellen. Rhapsodisch frei beginnt der zweite Satz, der dem Soloinstrument eine breitströmende Melodie gibt voll melancho lischer Verhaltenheit und trotzdem wunderbarer Süße. Der Satz Steigert sich im Tempo zu einem leidenschaftlichen Ausbruch. Der dritte Satz setzt mit einem Thema des vollen Orchesters ein, das von Lebendigkeit überschießt, das vor Kraftgefühl schier zu bersten scheint. Die Bewegtheit des Soloinstru mentes erinnert an ein perpetuum mobile. Rhyth misches Gleichmaß hämmert sich ein. Kurze lyrische * Zwischenspiele lassen trotzdem die drängende rhyth mische Urkraft weiterbestehen. So rast dieser Satz seinem Ende zu, alles mitreißend, alles in seinen Bann ziehend. Alexander Borodin (1833—1887) war eines der an regendsten Mitglieder des ,.Mächtigen Häufleins“, jener jungrussischen Komponistengruppe, die das Volkstum als künstlerische Kraftquelle entdeckten und sich nun in die Mythen, Sagen, Legenden und Märchen des russischen Volkes hineinlebten. Borodin • war ein Dilettant, da er nicht Musik studiert hatte. Er war Professor an der militärärztlichen Akademie in Petersburg. Er war ein leidenschaftlicher Lieb haber der Musik und hat sich mit großer Zähigkeit und unter Ausnutzung einer genialen Anlage für Musik zu einem der großen russischen Meister empor gearbeitet. Von seinen drei Sinfonien sagt man, daß sie wirkliche Meisterwerke seien. Die 2. Sinfonie in h-moll (1869—1875) beweist in allen ihren Sätzen die Liebe für volkstümliches russisches Musiziergut, das Borodin mit Geschick und großer Kunstfertigkeit verarbeitet. Der 1. Satz hält sich an das Formen schema der Sonate. Die Holzbläser spielen nach den Einleitungsschlägen das frische 1. Thema, während die Violoncelli etwas später das lyrische zweite Thema Vorsingen. Interessant ist, daß schon eine reiche rhythmische Entfaltung zu spüren ist und daß der Taktwechsel sich aus dem Volkstümlichen ab leitet. Das Scherzo ist eine Stakkato-Studie für die Holzbläser, die energischen Synkopen in den Strei chern beleben diesen von Lebendigkeit vibrierenden und überschießenden Satz, der ein stark gegen sätzliches Trio als Mittelteil aufweist. Das Andante beginnt mit einer echt romantischen Melodie, vom Instrument der Romantik, dem Horn, vorgesungen. Andre Instrumente singen sie nach. Ein belebter Zwischenteil greift mit einem anderen Rhythmus auch andere Klänge und andere Motive auf, die aber nicht die immer wieder durchbrechende Haupt melodie unterdrücken können. Klarinette. Horn und Harfe lassen sie leise verklingen. Das Finale, der Schlußsatz, beginnt mit einem pochenden Rhyth mus, der sich fast durch den ganzen Satz hindurch zieht und ihm seine Geschlossenheit verleiht. E 11 kurzatmiges, sehr lebendiges, dahinhuschendes Motiv gibt die Melodiebestandteile. Auch hier ein häufiger Taktwechsel! Kraftvoll und urwüchsig ist diese Musik, die so viel # vom Charakter des russischen Volkes und der russischen Landschaft enthält. Die Farbigkeit der Instrumentationskunst ist erstaun lich, sie ist für viele Komponisten der Neuen Musik zum Vorbild geworden. Job. Paul Thilman. Vorankündigung: 10. Philharmonisches Konzert am Mittwoch, dem 7. Juni 1950 Solist: Prof. Hugo Steurer, Leipzig (Klavier) Werke von Wenzel, Scriabine und Franz Schubert